Suche starten De menü de ClientConnect
Suche starten
Ergebnisse
Top-5-Suchergebnisse Alle Ergebnisse anzeigen Erweiterte Suche
Häufigste Suchbegriffe
Meistbesuchte Seiten

Von Auvo Kaikkonen

Die Coronapandemie hat die Diagnostikbranche kräftig durchgeschüttelt. Über Nacht explodierte die Nachfrage nach Tests, Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten. Die Hersteller versuchten durchaus, der überwältigenden Nachfrage gerecht zu werden. Vielen fehlten dafür aber das Geld und das Personal.

Wegen des exponentiellen Verlaufs der Pandemie benötigten die Unternehmen Hilfe von außen, um rasch zu reagieren. Die Europäische Union versuchte deshalb, ihnen durch neue Finanzierungsprogramme unter die Arme zu greifen, und sie erleichterte der Europäischen Investitionsbank die Finanzierung von Projekten. Im Rückblick jedoch hätten die Unternehmen klarere Ansagen und mehr Führung benötigt, die deutlich gemacht hätten, wie Europa der Pandemie Paroli bieten wollte.

Es ist ein Fakt: Wir leben im Zeitalter der Pandemien. Auf einer G20-Konferenz hieß es, die nächste Pandemie könne bereits im kommenden Jahrzehnt ausbrechen. In der aktuellen Krise haben wir mehr globale Zusammenarbeit, technologischen Fortschritt und finanziellen und politischen Rückhalt für das Gesundheitswesen erreicht. Das wird uns bei künftigen Virusausbrüchen helfen. Nach einem holprigen Start macht die medizinische Diagnostik. Und das kam so.

Die Anfangshürden

Zu Beginn der Coronapandemie war es in vielen Ländern schlicht nicht möglich, sich auf das Virus testen zu lassen. Es gab nur wenige PCR-Tests, und bis das Ergebnis vorlag, vergingen mehrere Tage oder sogar eine Woche. Inzwischen liefern viele Labore das Resultat innerhalb von 48 Stunden, und Apotheken bieten in Pavillons Antigentests mit einem Ergebnis innerhalb von 15 Minuten an. Es hat sich viel getan – aber es war nicht immer einfach.

Warum dauerte es so lange, die Testproduktion hochzufahren? Viele Diagnostikunternehmen hatten einfach nicht genügend Kapazitäten, um auf einen neuen Erreger wie SARS-CoV-2 zu testen. Tests für neue Erreger lassen sich nicht aus dem Hut zaubern. Biotech-Entwicklungen sind per se komplex. Manchmal dauert es schon ein Jahr, um die Basistechnologie zu identifizieren, die Genehmigung einzuholen und die Produktion der neuen Tests oder sonstigen Diagnostika hochzufahren. Mehr Geld für zusätzliche Ressourcen kann zwar helfen – aber übers Knie brechen lässt sich trotzdem nichts.

In der besten Ausgangsposition für eine rasche Reaktion befanden sich Firmen wie Mobidiag, Scope Fluidics oder Biosurfit – alles Kunden der Europäischen Investitionsbank –, die bereits Tests für andere Atemwegsviren wie etwa Grippeviren entwickelt hatten. Diese Firmen konnten ihre Tests rasch an das neue Coronavirus anpassen.

>@Bestravelvideo/Shutterstock
©Bestravelvideo/ Shutterstock

Etwa drei bis fünf Monate nach Beginn der Pandemie stieg die Zahl der Testhersteller endlich sprunghaft an. Allerdings waren ihre Tests (die zuweilen nur Nachahmungen von bereits am Markt vorhandenen Produkten waren) häufig unzuverlässig, weil sie die Viruslast nicht genau nachweisen konnten. Das galt vor allem für Antigentests.

Darüber hinaus gab es bei der Entwicklung der Covid-19-Diagnostik ein weiteres Problem. Die Unternehmen hatten Schwierigkeiten, das nötige Geld aufzutreiben, um auf den enormen Bedarf zu reagieren. Kredite an Biotech-Firmen sind häufig an konkrete Entwicklungspläne gebunden. Wenn das Geld stattdessen für neue Projekte oder für Tests auf neue Erreger verwendet werden soll, müssen die Investoren zustimmen. Bis das geschieht und aktualisierte Entwicklungspläne vorliegen, können Monate vergehen. Wenn es wirklich dringend ist, können neue Produkte innerhalb von drei bis vier Monaten entwickelt werden – aber das sind Ausnahmen.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

Technologie ist eine unserer wichtigsten Waffen im Kampf gegen die Pandemie. Wir alle kennen nationale Apps, die zur Nachverfolgung von Coronafällen, Virusvarianten und der berühmten Reproduktionsrate dienen. In Europa haben wir sogar den digitalen Impfpass.

Diese technologischen Fortschritte erinnern ein wenig an „Big Brother“, haben der Immunologie und Forschung aber wertvolle Daten geliefert. Dank moderner Technologie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Genomsequenzen verschiedener Virusvarianten teilen. Das wiederum half dabei herauszufinden, ob die bisher entwickelten Impfstoffe und Therapien wirksam sind. Anhand der gesammelten Daten ließen sich mögliche Verläufe der Pandemie modellieren. Die Daten waren auch für die Regierungen wichtig, wenn sie schwierige Entscheidungen über den Umgang mit der Pandemie und mögliche Lockdowns treffen mussten.

>@DR
© DR

Note: Schematic illustration of symptoms and transmissibility of (COVID-19). Source: Rezaei M et al. Point of Care Diagnostics in the Age of COVID-19. Diagnostics 2021, 11(1), 9.

Prognosen über die künftige Entwicklung können dazu beitragen, neue Pandemien oder regionale Ausbrüche von Krankheiten einzudämmen. Solche Fortschritte gibt es nicht nur im Westen. Vergleichbare Technologien werden in vielen Ländern eingesetzt, und sie dürften sich weiter verbreiten.

Die Pandemie hat die Gesundheitssysteme in vielen Entwicklungsländern gestärkt. Die Länder haben ihre Kapazitäten zum Umgang mit Pandemien und ihre Diagnostikmöglichkeiten verstärkt. Darauf müssen wir aufbauen. Viele Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen können ohne internationale Unterstützung nicht mehr weiter in ihr Gesundheitswesen investieren.

Deshalb arbeitet die Europäische Investitionsbank mit der Bill and Melinda Gates Foundation auf der African Health Diagnostics Platform zusammen. Diese Plattform soll die Qualität von Diagnostika und Labordiensten und den Zugang dazu in Teilen Subsahara-Afrikas verbessern.

Die Pandemie hat auch zu einer dezentraleren Handhabung von diagnostischen Leistungen geführt. Es gibt jetzt Selbsttests für zu Hause und Tests in Apotheken oder Ambulanzen. Für einen zuverlässigen Test muss man nicht mehr ins Krankenhaus. Dank dieser Fortschritte können die Menschen bei künftigen Ausbrüchen rascher auf Erreger getestet werden und müssen nicht mehr mit potenziell ansteckenden Patienten in der Schlange vor dem Labor warten.

Auch der Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten hat sich sehr verändert. Über Videokonferenzen oder mithilfe künstlicher Intelligenz wie Chatbots können sie ausreichend Informationen einholen, um zu entscheiden, ob jemand zu Hause oder ambulant behandelt werden kann oder ins Krankenhaus muss. All dies kann die Effizienz und Effektivität des Gesundheitswesens verbessern – vor allem dann, wenn die Ressourcen ohnehin knapp sind.

Dank moderner Technologie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Genomsequenzen verschiedener Virusvarianten teilen. Das wiederum half dabei herauszufinden, ob die bisher entwickelten Impfstoffe und Therapien wirksam sind.

Vergessen als Gefahr

Die Lehren aus der Pandemie lassen sich in drei Worten zusammenfassen: Vorbereitung ist alles. Die Coronapandemie wird nicht die letzte Pandemie oder regionale Epidemie sein, mit der wir es zu tun haben. Allein in der jüngsten Vergangenheit kam es zu Ausbrüchen von Ebola, Zika, dem Schweren Akuten Atemwegssyndrom (SARS) und dem Mittlerer-Osten-Atemwegssyndrom (MERS). Diese Epidemien beschränkten sich weitgehend auf bestimmte geografische Regionen. Das Coronavirus hat uns jedoch gezeigt, wie schwer Virusausbrüche und -mutationen unsere vernetzte, globalisierte Welt treffen können.

Wir müssen global denken. Wir müssen unterentwickelte Länder – wo sich ansteckende Krankheiten womöglich rasch ausbreiten können – in den Blick nehmen und die dortige Gesundheitsinfrastruktur unterstützen. Niemand ist in Sicherheit, bis alle in Sicherheit sind. Außerdem müssen wir weiter in biotechnologische und medizinische Innovationen investieren – auch wenn ein Erfolg nie garantiert ist. Nur durch Innovation haben wir die Coronaimpfstoffe in Rekordzeit bekommen. Innovation ist der Schlüssel für die Bekämpfung künftiger Pandemien.

Die größte Gefahr besteht darin, dass wir die Pandemie als Ausnahmeereignis ansehen und zum normalen Leben zurückkehren. Wir haben gespürt, wie verwundbar unsere Gesellschaften und Gesundheitssysteme sind – ganz zu schweigen von den enormen wirtschaftlichen Kosten einer Pandemie. Die Lektion lautet: Wir müssen am Ball bleiben und die Werkzeuge entwickeln, die uns in der nächsten großen Prüfung schützen.

Auvo Kaikkonen ist Leiter der Regionalvertretung für China und Mongolei bei der Europäischen Investitionsbank.