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Der nachfolgende Text gibt die Ansicht der Autoren wieder, die nicht unbedingt der Sichtweise der Europäischen Investitionsbank entspricht.


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Kochen mit Sinn

Ich bin Koch und Italiener, geboren und aufgewachsen in Modena. Wie meine Heimat riecht und schmeckt, machte mich zu dem, der ich bin: In meinen Adern fließt Aceto Balsamico, und meine Knochen sind aus Parmigiano Reggiano. Als Kind flüchtete ich mich vor meinen Brüdern oft unter den Küchentisch, wo meine Mutter und Großmutter Nudelteig ausrollten und daraus Tortellini formten. Wenn sie nicht hinschauten, stibitzte ich einige davon und kaute den Teig so lange, bis ich den Geschmack ganz in mich aufgesogen hatte. Seit damals weiß ich, was Appetit ist. Dies klingt nach einer individuellen, sehr persönlichen Kindheitserinnerung – als seien diese rohen Tortellini meine ganz eigenen Proust‘schen Madeleines gewesen. Und es ist ja auch eine persönliche Erinnerung, aber eine, die viel mehr Menschen teilen, als man vielleicht denkt. Jede Italienerin und jeder Italiener in meinem Alter würde Ihnen vermutlich die gleiche Geschichte erzählen. Jedes Land hat seine besondere Beziehung zum Essen, und in Italien ist Essen nun mal untrennbar mit der Familie verbunden, mit den Großmüttern und Müttern, die am Sonntag in der Küche das Mittagessen zubereiten. Das Bild ist immer das gleiche: Die Frauen der Familie sind zusammen in der Küche, um zu kochen und zu schwatzen. Um sie herum spielen die Kinder und angeln sich eine knusprige Ecke von der Lasagna hier, einen rohen Tortellino dort. Viele Speisen machen uns nostalgisch und versetzen uns in unsere Kindheit zurück.

© The Felix Project

Der Geschmack der Kindheit

Als ich älter wurde, erkannte ich, wie stark diese Erinnerungen sind und wie kostbar. Mittlerweile weiß ich sie kritisch zu betrachten; ich habe gelernt, traditionelle Rezepte zu hinterfragen und sie mir durch Kreativität und kochhandwerkliches Geschick zu eigen zu machen. In der Osteria Francescana sehen wir die Küche als Labor und als Observatorium. Hier beleuchten und beobachten wir die traditionelle Kochkunst aus neutraler Distanz. Wir greifen unsere kulinarischen Erinnerungen auf und schreiben sie um. Wir suchen neue Wege, um sie auch denen nahezubringen, die unsere Geschmackserinnerungen nicht teilen. Durch unsere Distanz halten wir die Traditionen lebendig und bewahren sie davor, zu Klischees zu verkommen oder als Dioramen in Museen zu enden. Doch dazu müssen wir unsere Vergangenheit kennen und verstehen – nur so ist ein kritischer Blick möglich. Wir müssen Wege finden, unsere Traditionen so auszudrücken, dass sie überleben können. Wir müssen die Schätze der Vergangenheit in die Zukunft retten.

Die italienische Küche lehrt uns vor allem zwei Dinge: alles stets optimal verwerten und niemals etwas wegwerfen. Keine Brotkrümel, keine Knochen – nichts. Ragù etwa ist nichts anderes als eine Soße aus Fleisch-, Fisch- oder Gemüseresten. Pellegrino Artusi hat in seinem italienischen Kochbuchklassiker Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens aus allen Ecken des Landes Rezepte zusammengetragen. Wir Italiener sagen, dass Garibaldi das Land auf dem Schlachtfeld vereinte und Artusi in der Küche. Es ist faszinierend zu sehen, wie bestimmte Zutaten immer wieder auftauchen, etwa Brot vom Vortag. Brösel aus altbackenem Brot werden in Hunderten von Rezepten verwendet: für Suppen, Pasta und Würzmittel, für Fisch- und Fleischgerichte, für Nachspeisen und Kuchen. Und auch das Fleisch, mit dem eben noch eine Brühe zubereitet wurde, lässt sich in zahllosen anderen Rezepten wiederverwenden und zu Fleischbällchen oder Nudelfüllungen weiterverarbeiten. Gemüsereste, Käserinden und natürlich Knochen verleihen den jahrhundertealten Rezepten unserer Mütter und Großmütter erst ihren besonderen Geschmack. Allerdings ist die italienische Cucina Povera mehr als eine Nose-to-Tail-Küche, die alles vom Schwein oder von der Karotte verwertet: Sie macht aus jedem Bestandteil der Lebensmittel in jeder Phase das Beste.

© RicPic

PIZZA IN DEN SOCIAL TABLES MADE IN CLOISTER IN NEAPEL

Eine meiner Lieblingsspeisen als Kind war die Zuppa di Latte meiner Mutter. Jeden Morgen rangelte ich mit meinen Brüdern um die größten Brotstücke vom Vortag. Dieses harte Brot tauchten wir in warme Milch mit einem Schuss Kaffee und Zucker – ein ziemliches Gemansche, das wir Zuppa di Latte nannten. Und auch diese Tradition ist nicht auf meine Familie beschränkt: Viele andere Italienerinnen und Italiener meiner Generation wuchsen mit einer ähnlichen Variante dieser Milchsuppe auf. Ich persönlich mochte das Brot am liebsten, wenn es direkt in die Schüssel gerieben wurde. Meine Mutter musste mir dabei immer helfen. Danach schüttete ich so lange Zucker in die Milch, bis sie rief: „Massimo! Nicht so viel! Dein Löffel steht ja in der Milch!“ Diese Geschichte erzählte sie später immer wieder gerne, um am Ende hinzuzufügen: „Und heute ist er ein berühmter Koch!“

In der Osteria Francescana wollten wir dieser Kindheitserinnerung neues Leben einhauchen. Plastisch und essbar sollte sie werden, aber vor allem sollte sie unsere Gäste emotional ansprechen. Wir haben mit gerösteten Brotkrümeln, Milch und Zucker in allen Varianten experimentiert und unsere Kreationen gemixt, gefiltert und gerührt. Das Ergebnis: eine Schichtspeise aus süßer Bröselcreme, karamellisierter Brotkruste und Broteis mit feiner Salznote. Sie schmeckte besser als die Milchsuppe, die ich in Erinnerung hatte: Die Mischung aus geröstetem Brot, Karamell und Salz gab ihr eine wohlige Note mit dem Aroma meiner Kindheit – aber die beigefarbenen Schichten sahen fad und langweilig aus. Das Gericht sprach die Menschen nicht an. Niemand außer mir konnte sich für eine Schüssel mit Brot, Milch und Zucker begeistern. Es fehlte eine Botschaft, das gewisse Etwas. Als ich zu Hause in einer Kunstzeitschrift blätterte, fiel mir ein goldbeschichteter Papierkorb der schweizerischen Künstlerin Sylvie Fleury ins Auge. Fleury überzieht Objekte der Populärkultur mit Silber und Gold und verwandelt das Gewöhnliche in etwas Außergewöhnliches. Das Unsichtbare wird plötzlich sichtbar. Das war die Idee! Zurück in der Küche formten wir aus geschmolzenem Zucker eine dünne Goldhülle, die aussah wie ein zerknülltes Papier aus dem Papierkorb. Die Hülle war so fein, dass sie beim Berühren zerbrach. So verwandelte sich die goldene Illusion im Mund in ein amorphes Gebilde aus Kindheitserinnerungen. Wir nahmen das Gericht in die Karte auf und tauften es Il pane è oro – „Brot ist Gold.“

© Red Photographic Ltd

FREIWILLIGE BEDIENEN GÄSTE DES REFETTORIO FELIX IN LONDON

Eine braune Banane, ein Apfel mit Druckstellen oder ein Stück altes Brot können einem Gericht noch eine wunderbare Textur und köstliche Geruchs- und Geschmacksnoten geben.

Damit war aus der Milchsuppe plötzlich mehr geworden als nur eine Kindheitserinnerung. Wir wollten auf den Wert des Essens aufmerksam machen. Das Rezept stand stellvertretend für all die vergessenen Gerichte und die verkannten, verschmähten und unterschätzten Zutaten, die in der italienischen Küche stets eine so wichtige Rolle gespielt hatten.

Es heißt oft, dass Menschen eine „innere Schönheit“ haben. Das gilt auch für Lebensmittel. Eine braune Banane, ein Apfel mit Druckstellen oder ein Stück altes Brot können einem Gericht noch eine wunderbare Textur und köstliche Geruchs- und Geschmacksnoten geben. Ein Koch – und wir alle, die am Herd stehen – muss die innere Schönheit jeder Zutat hervorzaubern und in jeder Phase das Beste daraus machen. Ein frisch gebackenes Brot, das warm, duftend und knusprig ist, kann sofort auf den Tisch kommen und gegessen werden. Am Tag darauf lassen sich die Scheiben rösten, etwa für Bruschetta. Noch einen Tag später verwandelt es sich zusammen mit Tomaten in leckere Panzanella oder Pappa al Pomodoro. Und am vierten Tag eignen sich die Brösel für Passatelli oder köstliche überbackene Gerichte. So bringen wir Reste wieder auf den Teller und geben dem Essen auch noch das gewisse Etwas.

© Angelo Dal Bo

Refettorio Ambrosiano

Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sind fast eine Milliarde Menschen auf der Welt unterernährt. Gleichzeitig landet jedes Jahr ein Drittel der weltweiten Lebensmittelproduktion auf dem Müll. Das ist ein absoluter Irrsinn! Unter all den weggeworfenen Lebensmitteln sind fast vier Billionen Äpfel. Wie viele Apfelkuchen könnte man daraus backen! Als ich diese Zahlen 2014 das erste Mal las, bereitete Italien gerade die Weltausstellung 2015 in Mailand vor. Ihr Motto: „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“. Köche wie ich wurden eingeladen, um Kochspektakel und Galas zu veranstalten und Pop-up-Restaurants zu eröffnen. Wie das alles zu dem so ernsten und drängenden Motto der Veranstaltung passte, erschloss sich mir nicht, und die erschreckenden Zahlen verfolgten mich. Mir war klar: Wenn wir nicht jetzt und hier etwas dagegen tun, wird die Lage nur noch schlimmer. So kam mir die Idee zu einem besonderen Expo-Pavillon. Den idealen Rahmen dafür fand ich in einem verlassenen Theater vor den Toren der Stadt, zwischen Eisenbahnschienen und Vorortausläufern. Ich wollte einen Pavillon außerhalb des Ausstellungsgeländes, der sichtbar macht, was bis dahin unsichtbar, vergessen und verdrängt war. Damals hatte ich keine Ahnung, dass dieses Projekt in dem alten Theater zu einer Bühne für Hoffnung und Hilfe werden würde; dass es sich zu einer ganzen Bewegung auswachsen würde. Mit der tatkräftigen Hilfe vieler verschiedener Menschen und Organisationen konnten wir das Theater restaurieren und verwandeln: in eine Suppenküche voller Kunst, Licht, Schönheit und Lebensfreude. Wir tauften sie auf den Namen Refettorio Ambrosiano.

© Caritas Ambrosiana

SPEISESAAL DES REFETTORIO AMBROSIANO, MAILAND

Einigen sah man an, wie schwer es ihnen fiel, nicht mit den frischesten Zutaten direkt vom Bauernhof zu arbeiten. Aber bei allen überwogen die Neugier und auch der Stolz, und sie nahmen die Herausforderung an.

>@E. Colombo
© E. Colombo

MASSIMO BOTTURA UND ALAIN DUCASSE 2015 IM REFETTORIO AMBROSIANO

Im „Refektorium“ fanden sich einige der einflussreichsten und kreativsten Köchinnen und Köche aus aller Welt plötzlich zwischen Käserinden, welken Zucchini, angestoßenen Äpfeln, braunen Bananen und altbackenem Brot wieder. Ich hatte noch vor dem Umbau so viele Freunde und Kollegen angerufen wie ich konnte und gefragt, ob sie nicht zwischen Mai und Oktober einige Tage nach Mailand kommen wollten, um unseren abendlichen Gästen etwas Leckeres und Gesundes zu kochen. „Und bitte“, beschwor ich sie, „keine Rezepte mitbringen. Das wäre sinnlos. Kreativität, Kochkunst und vor allem Offenheit reichen völlig aus.“ Was sich hinter meinem Ratschlag verbarg, verstanden sie erst, als der erste Lieferwagen mit Lebensmitteln anrollte. Unsere Idee hinter dem Refettorio Ambrosiano war einfach: Wir sammelten überschüssige Lebensmittel von den Expo-Pavillons und Supermärkten der Stadt ein und machten daraus schmackhafte und gesunde Mahlzeiten für unsere Gäste: Obdachlose, Immigranten, Männer und Frauen, die sich kein regelmäßiges Essen leisten können. Jeden Morgen bekamen wir Kisten mit übrig gebliebenem Gemüse und Obst, Fleisch, Milchprodukten und altem Brot. Und jeden Tag hatte ein anderer Koch oder eine andere Köchin die Aufgabe, aus den gelieferten Zutaten ein Drei-Gänge-Menü zu zaubern. Einigen sah man an, wie schwer es ihnen fiel, nicht mit den frischesten Zutaten direkt vom Bauernhof zu arbeiten. Aber bei allen überwogen die Neugier und auch der Stolz, und sie nahmen die Herausforderung an.

Wir erhielten im Refettorio auch makelloses, perfekt gewachsenes Obst und Gemüse. Trotzdem wurde es weggeworfen. Es war schockierend zu sehen, wie viele noch absolut einwandfreie Lebensmittel offiziell als Abfall oder Überschuss abgestempelt wurden. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. In diesen Monaten lernten wir, dass Not erfinderisch macht und in der Küche die wundervollsten Gerichte hervorbringen kann. Was mich jedoch am meisten überraschte, war nicht, wie großzügig die berühmten Küchenchefs uns unterstützten, sondern wie exquisit Gerichte aus aussortierten Lebensmitteln schmecken können. Die wichtigsten Zutaten bei unserer Arbeit im Refettorio Ambrosiano waren Zeit und Energie. So entstanden Rezepte mit revolutionärem Potenzial. Ein Pesto aus Popcorn oder Brotkrümeln, weil keine Pinienkerne zur Hand sind, ist vielleicht noch köstlicher als das Originalrezept. Die unglaublichsten Suppen wurden kreiert – mit den letzten Resten aus dem Kühlschrank. Und aus einer Kiste traurigem Gemüse und Hackfleisch entstand plötzlich eine wundervolle Lasagna. Wir gaben den Menschen ihre Würde zurück und brachten den Schwächsten der Gesellschaft in einem ästhetischen Ambiente überraschende Gerichte auf den Teller. Unsere Gäste sollten sich bei uns wohl fühlen. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Abende im Refettorio, als kaum jemand mit dem anderen sprach. Aber nach nur wenigen Wochen war das Eis gebrochen, und Gäste, Freiwillige und Küchenpersonal scherzten und lachten miteinander. Das Essen wurde zum Fest. Das Wichtigste aber war: Wir gaben dem Essen eine Stimme, in einer Gemeinschaft von Menschen. Unsere Fantasie wurde wahr: Eine Mahlzeit kann Menschen zusammenbringen und ihnen neue Kraft und Würde geben. Denn Kochen, so durften wir immer wieder erfahren, ist tatsächlich ein Akt der Liebe.

© Angelo Dal Bo

Wir wollten etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun und haben letztlich etwas für die Gesellschaft getan.

Um ganz ehrlich zu sein: Wir wussten am Anfang nicht genau, worauf wir uns einließen. In der Osteria Francescana widmen wir der Auswahl der besten Zutaten genauso viel Zeit wie deren Zubereitung. An zwölf Tischen bewirten wir dort maximal 30 Gäste pro Durchgang. Im Refettorio Ambrosiano hatten wir jeden Abend auf einmal über 100 Gäste – eine völlig andere Situation. Also versuchten wir einfach, all das umzusetzen, was wir im Laufe der Jahre in der Osteria Francescana gelernt hatten: welchen Wert Essen hat, welche Rolle ein ästhetisches Ambiente spielt, wie wichtig echte Gastlichkeit ist. Und wie durch ein Wunder funktionierte es; vermutlich auch, weil wir mit so viel Hingabe dabei waren. Wir wollten etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun und haben letztlich etwas für die Gesellschaft getan. Deshalb beschlossen meine Frau Lara und ich, eine gemeinnützige Organisation zu gründen. Mit Food for Soul wollen wir die Menschen bestärken, gegen Lebensmittelverschwendung und soziale Isolation zu kämpfen. Seit unseren bescheidenen Anfängen auf der Expo 2015 haben wir gemeinnützige Projekte in Rio de Janeiro, London, Paris, Bologna und Modena aus der Taufe gehoben. Doch unser Hunger ist noch nicht gestillt. Gerade versuchen wir, neben anderen Städten in Italien und Europa auch in den USA und in Mexiko Fuß zu fassen. Wir wollen aber nicht einfach immer mehr Refettorios eröffnen. Unser Traum ist es, einen Sinneswandel herbeizuführen – und dafür arbeiten wir hart.

© shehanhanwellage

In unserem schnelllebigen Alltag bleibt für die meisten von uns kaum Zeit, genauer über unser Essen nachzudenken. Das sollten wir aber. Denn was wir essen, stammt von unserer Erde und landet in unserem Körper.

>@Angelo Dal Bo
© Angelo Dal Bo

Food for Soul

Food for Soul ist kein Wohltätigkeitsprojekt: Food for Soul ist ein kulturelles Projekt. Wir wollen das Unsichtbare sichtbar machen; genauer und mit anderen Augen sehen, was aussortiert und weggeworfen wird; die Menschen darauf aufmerksam machen, welchen Wert Essen eigentlich hat. Wir alle können Lebensmittelverschwendung vermeiden. Es ist ganz einfach. Ein kurzer Blick in den Kühlschrank genügt. Schauen Sie nach, was Sie noch an Zutaten haben, bevor Sie das nächste Mal das Kochbuch aufschlagen. Vielleicht finden Sie noch einen Rest Basilikum, ein Stück Parmesan oder eine kleine Knoblauchzehe. Mit etwas Brot vom Vortag und einem guten Olivenöl lässt sich daraus ein wunderbares Pesto für Ihre Nudeln zaubern. Es gibt für alles eine Verwendung. Gegen die Verschwendung von Lebensmitteln können Sie auch jenseits von Küche, Speisekammer und Kühlschrank etwas tun. Mit ein wenig Fantasie können Sie erst einmal das verwerten, was Sie gerade haben, statt neue Zutaten zu kaufen. Und wenn Sie einkaufen: Nehmen Sie lokale und saisonale Produkte. Das Thema Essen ist heute zum Glück in aller Munde. So ist ein intensiverer Austausch möglich, und wir können hoffen, dass sich in unserer Ernährungslandschaft einiges verbessert: angefangen auf unserem eigenen Tisch bis hin zu dem, was auf den Feldern und in den Ställen geschieht.

In unserem schnelllebigen Alltag bleibt für die meisten von uns kaum Zeit, genauer über unser Essen nachzudenken und sich bewusst mit dem zu beschäftigen, was wir in unserem Kühlschrank, in der Speisekammer und auf dem Teller haben. Das sollten wir aber. Denn was wir essen, stammt von unserer Erde und landet in unserem Körper.

Beim Kochen kommt es nicht nur auf die Qualität der Zutaten an, sondern auch auf die Qualität der Ideen. Schon heute muss unsere Erde mehr als sechs Milliarden Menschen ernähren, und diese Zahl wird in den nächsten 25 Jahren weiter steigen – von den nächsten 50, 100 oder 200 Jahren ganz zu schweigen. Jeden Tag entscheiden die Menschen, was sie kaufen, was sie essen und wie sie sich ernähren. Diese täglichen Entscheidungen haben enorme Auswirkungen auf unsere Umwelt, die Landschaft und den gesamten Planeten. Eine Erziehung zu einer bewussteren Ernährung wäre daher mehr als sinnvoll: in der Schule, zu Hause und in unseren Restaurants. Wir Köche können hier Vorbild sein. Indem wir zeigen, wie wertvoll jeder einzelne Bestandteil einer Zutat ist – mit der Nose-to-Tail-Philosophie bei Fleisch und Fisch, und ebenso bei Obst und Gemüse, wo sich Stängel, Stiele, Blätter und Reste noch verwerten lassen. Wir können die Menschen dafür sensibilisieren, dass Qualität nicht nur etwas mit dem Preis oder Aussehen der Zutaten zu tun hat. Sondern damit, wie wir diese Zutaten in der Küche nutzen. Die Qualität unserer Ideen ist oft wichtiger als die Qualität der Zutaten.

Als Köche können wir Veränderungen anstoßen, indem wir auch außerhalb der Küche Verantwortung übernehmen. Wir können unser direktes Umfeld, die Politiker im Land oder auch globale Entscheider inspirieren und beeinflussen. Diese Chance müssen wir nutzen. Wir müssen Ernährungsbewusstsein schaffen und unsere Ideen weitergeben. Denn sie sind der Motor für die Weiterentwicklung unserer Kochtraditionen, unserer Gesellschaft und unserer Zukunft. Wenn die einflussreichsten Restaurants zu Vorbildern im verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln werden, dann wird dies Schule machen – bei anderen Restaurants, Gästen und darüber hinaus. Wenn alle am selben Strang ziehen, können wir eine kulturelle Revolution auslösen. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Botschaft, um andere Restaurants und Küchenchefs und unsere Gäste in ihren Entscheidungen beeinflussen zu können. Dann sind wir auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem: artgerechtere Tierhaltung bei besseren Bedingungen, weniger Verschwendung von Gemüse und mehr Bienen in unseren Gärten.

© Angelo Dal Bo

ÜBRIGE BANANEN FÜR EINE NACHSPEISE

Die Kochwelt kann nicht nur zu einem nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln beitragen, sondern auch zu einem nachhaltigen Zusammenleben. Kochen als Beruf ist harte Arbeit und verlangt Einsatz und Leidenschaft, von frühmorgens bis spätabends. Eine starke Belastung für Körper und Geist. In der Osteria Francescana wissen wir, dass man in diesem Beruf lernt, achtsam miteinander umzugehen. Gegenseitiger Respekt schweißt stärker zusammen als traditionelle Hierarchien. Wenn Menschen jeden Tag viele Stunden lang auf engem Raum und unter hohem Zeitdruck zusammenarbeiten, dann werden die Wände entweder zu einem Gefängnis, oder man wächst zu einer Familie zusammen. Und wie in jeder Familie braucht es gemeinsame Werte und Verantwortungsgefühl. So wird aus Achtsamkeit ein verantwortungsvoller Umgang miteinander. Unser Restaurant ist nicht nur zu unserer zweiten Heimat geworden, es gibt uns außerdem die Möglichkeit, gesellschaftlich aktiv zu werden. Hat man einmal erkannt, welche Chancen einem das Leben gegeben hat, dann weiß man: Es ist Zeit, etwas davon zurückzugeben. Ein nachhaltiges menschliches Zusammenleben ist ebenso wichtig wie Nachhaltigkeit im Umgang mit der Umwelt und unseren Lebensmitteln. Wir alle müssen die Welt um uns herum respektieren. Fangen Sie bei Ihrem Nächsten an und machen Sie einfach weiter, dann hat am Ende der ganze Planet etwas davon.

Um Joseph Beuys, einen meiner Lieblingskünstler, zu zitieren: „Die Revolution sind wir.“

© Rolando Paolo Guerzoni

IN DEN SOCIAL TABLES GHIRLANDINA IN MODENA

Aus Kultur entsteht Wissen, und aus Wissen entwickelt sich Bewusstsein. Und wer bewusst handelt, ist nur noch einen Schritt entfernt von gesellschaftlicher Verantwortung.

Ob Küchenchef, Künstlerin, Landwirt, Sommelier oder Gastronomin – wir alle sind Teil einer großen Ernährungsrevolution. Wir tragen Verantwortung dafür, dass Essen modern, regional, emotional und inspirierend ist. Es muss sich an Technik und Kunst ebenso orientieren wie an der Natur. Dies ist mein Aufruf an alle: an Studierende, Politiker, Ingenieure, Mütter, Väter, Großeltern. Natürlich kostet es Zeit und Kraft, die Welt zu verbessern; ein wenig Kreativität kann da sicher helfen. Aber das Fundament von allem muss die Kultur sein. Aus Kultur entsteht Wissen, und aus Wissen entwickelt sich Bewusstsein. Und wer bewusst handelt, ist nur noch einen Schritt entfernt von gesellschaftlicher Verantwortung.

Wir alle können die Welt verändern. Mit dem Essen haben wir ein mächtiges Werkzeug dafür.