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Von Maja Roginska und Moa Westman

Der Verkehr allein kann das Genderproblem nicht lösen. Doch eine bessere Mobilität hilft Frauen, wirtschaftliche Chancen zu nutzen. Das kommt der Wirtschaft zugute und macht die Gesellschaft gerechter und krisenfester.

Laut Oxfam leisten Frauen und Mädchen jeden Tag 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Das entspricht 10,8 Billionen US-Dollar pro Jahr. Weniger unbezahlte Arbeit von Frauen und eine stärkere Teilhabe am Arbeitsmarkt würden daher in Sachen Gendergerechtigkeit schon viel bewirken. Das gilt auch für die Wirtschaft. Die Weltwirtschaft wäre bis 2025 um 28 Billionen US-Dollar reicher, wenn Frauen und Männer am Arbeitsmarkt gleich behandelt würden. In der Europäischen Union könnten dadurch bis 2050 schätzungsweise 10,5 Millionen Arbeitsplätze entstehen.

Wie wir die Gendergerechtigkeit voranbringen können, lesen Sie hier.

Unterschiedliche Verkehrsgewohnheiten

Weltweit verbringen Frauen bis zu viermal mehr Zeit im Verkehr als Männer – obwohl Männer größere Entfernungen zurücklegen. Frauen nutzen meist langsamere Verkehrsmittel und machen mehr Zwischenstopps. Hinzu kommt noch die mangelnde Infrastruktur. So müssen Frauen und ihre Angehörigen in ländlichen Gebieten auf dem Weg zum Arzt oder Krankenhaus lange auf die nötigen Verkehrsmittel warten. Das geht zulasten ihrer Gesundheit. Wegen schlechter Straßen, fehlender Verkehrsangebote und teurer Fahrten haben Frauen etwa keine angemessene geburtliche und nachgeburtliche Betreuung. Aber nicht nur in Entwicklungsländern sind die Frauen im Verkehr benachteiligt, das Problem besteht auch in der Europäischen Union.

Die Mobilitätsmuster von Frauen sind meist komplexer.  Bei Männern sind sie eher dreipolig (Wohnen, Arbeiten, Freizeit), bei Frauen dagegen netzartig. Frauen – und Sorgende generell – legen über den ganzen Tag verteilt kürzere und häufigere Fahrten zurück. In London beispielsweise machen Frauen auf dem Weg von und zur Arbeit 80 Prozent häufiger Zwischenstopps als Männer. Noch dazu sind sie häufiger außerhalb der Stoßzeiten unterwegs.

Unbezahlte Arbeit gehört sowohl in der Europäischen Union als auch außerhalb zu den Hauptursachen für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

Zentrales Problem ist die unbezahlte Arbeit von Frauen.In den Industrieländern fallen darunter Einkäufe, Besorgungen oder die Begleitung von Kindern und älteren Menschen. In den Entwicklungsländern kommen in ländlichen Gebieten noch Brennholzsammeln und Wasserholen hinzu.

Unbezahlte Arbeit gehört sowohl in der Europäischen Union als auch außerhalb zu den Hauptursachen für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Das hartnäckige Gefälle bei Erwerbsbeteiligung, Erwerbsquote und Löhnen geht auf den höheren Anteil von Frauen bei unbezahlter Arbeit zurück. Zwar ändern sich die Geschlechterrollen und die Verteilung der Sorgearbeit langsam, doch selbst in den Ländern mit der höchsten Gleichberechtigung geht ein Großteil der unbezahlten Arbeit weiter zulasten der Frauen.   

Das wirkt sich auf ihre Mobilität aus. In Spanien ist die unbezahlte Arbeit von Frauen für ein Viertel des öffentlichen Personenverkehrs verantwortlich. In anderen EU-Ländern sieht es wahrscheinlich ähnlich aus, allerdings werden solche Daten dort kaum erfasst.  Das Problem ist, dass die Verkehrsnetze nicht für die Bedürfnisse Sorgender ausgelegt sind, sondern oft auf einem linearen Modell beruhen, das Wohn- und Arbeitsort verbindet. Die Anbindung an Tagesstätten, Schulen und Supermärkte stand bei der Planung nicht im Vordergrund. Für Frauen bedeutet das: Ihre täglichen Pendelfahrten mit den vielen Zwischenstopps sind sehr mühsam und unnötig zeitraubend.

Sicherheit ist das Zauberwort für Frauen und Männer  

Belästigung, sexuelle Übergriffe und generell Gewalt sind für viele Frauen eine reale Gefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln, die ihre Mobilität einschränkt, besonders zu bestimmten Uhrzeiten. Wie verbreitet das Problem ist, zeigen Erhebungen aus verschiedenen Teilen der Welt:

Belästigung und Gewalt richten sich aber nicht nur gegen Frauen. Auch Männer sind Opfer. So gaben in New York City 32 Prozent der Männer an, in der U-Bahn sexuell belästigt worden zu sein. In Jakarta wurden nach eigenen Angaben zwei Drittel der Frauen und ein Drittel der Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln sexuell belästigt.

Das wirkt sich auf die gesamte Familie der Betroffenen aus, und so wird geschlechtsspezifische Ungleichheit von Generation zu Generation weitergetragen. Die Folge: Frauen treten eine Fahrt oft gar nicht erst an oder nehmen eine andere Route oder ein anderes Verkehrsmittel, auch wenn dies unpraktischer, unbequemer und teurer ist. Unter Umständen verbieten Familien ihren Töchtern sogar, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Am schwersten trifft das arme Frauen, die für den Weg zur Arbeit und zu Gesundheits- oder Bildungseinrichtungen auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

Belästigung in Bhopal, Indien

In einer Umfrage gaben 40 Prozent der befragten Frauen an, in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Stadtbussen, Kleinbussen und Minivans regelmäßig belästigt zu werden. Nur 12 Prozent der Befragten haben dies noch nie erlebt. 88 Prozent wurden mindestens einmal Opfer von Belästigung.

Für die Umfrage wurden auch Fahrer und Schaffner befragt. Fast alle gaben an, Belästigung sei in Bhopal kein Problem – und wenn doch, sind die Frauen nach Ansicht von 30 Prozent der Fahrer und Schaffner teilweise selbst schuld.

Gendergerechtigkeit schon bei der Planung

Infrastruktur muss für alle offen und zugänglich sein. Niemand darf wegen einer Behinderung oder aus sozioökonomischen Gründen wie Wohnort, Einkommen oder Alter ausgeschlossen werden. Für Frauen, egal aus welcher sozioökonomischen Gruppe, sind öffentliche Verkehrsmittel allerdings wegen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten, sexueller Gewalt und sozialer Normen oft tabu – und das, obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Deshalb müssen ihre Bedürfnisse bei der Planung von Verkehrsprojekten unbedingt berücksichtigt werden.

Doch wie lassen sich diese Bedürfnisse genau ermitteln? Zunächst muss anhand von Daten analysiert werden, wie Frauen und Männer das bestehende Verkehrsangebot nutzen und welche Gewohnheiten sie haben. Dazu sollte eine breite Zielgruppe befragt werden: Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Sie können einige grundlegende Fragen beantworten: „Sind die aktuellen Angebote ausreichend und bezahlbar?“ „Sind sie sicher?“ „Sorgen sich Frauen um ihre persönliche Sicherheit?“

Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Deshalb müssen ihre Bedürfnisse bei der Planung von Verkehrsprojekten unbedingt berücksichtigt werden.

Besserer Zugang in Malmö, Schweden

Um öffentliche Verkehrsmittel attraktiver machen, befasste sich Malmö ab Herbst 2011 mit dem Thema Gleichstellung.

  • Die Stadt veranstaltete „Dialogtreffen“, unter anderem dort, wo hauptsächlich Frauen arbeiten (z. B. in einem Krankenhaus). In Fokusgruppen erfasste sie die Ansichten von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung zum Thema Gender und öffentliche Verkehrsmittel
  • Die meisten Befragten (Schülerinnen, Schüler und Krankenhausangestellte) gaben an, sich nachts in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht sicher zu fühlen
  • Aus Sicherheitsgründen begannen viele Städte, an Haltestellen Büsche und Sträucher zu entfernen und dunkle Zugänge wie Tunnel abzuschaffen
  • Nachtbusse können Fahrgäste nun auch zwischen den Haltestellen aussteigen lassen. Das verringert die Gefahr, verfolgt zu werden

Weitere Informationen unter: http://www.lanstrafikenkron.se

 

Worauf es bei der Planung von Verkehrsprojekten ankommt:

  • Schaffung eines radialen Netzes mit effizienten Querverbindungen, das die Innenstadt und die umliegenden Gebiete gut anbindet. Die Fahrgäste müssen nicht nur zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln können, sondern auch Kindertagesstätten und Lebensmittelgeschäfte gut erreichen, und zwar sowohl in der Haupt- als auch in der Nebenverkehrszeit
  • Standorte von Bahnhöfen und Haltestellen. Dabei ist besonders auf die „letzte Meile“ zwischen Bahnhof oder Haltestelle und Endziel zu achten
  • Praktische Details, die für Frauen wichtig sind und die allgemeine Barrierefreiheit fördern. Dazu gehören niedrigere Trittstufen an öffentlichen Bussen oder der Einsatz von Niederflurbussen, Haltestangen und ‑griffe in angemessener Höhe sowie Platz für Kinderwagen und Einkaufsroller (entsprechend der erwarteten Fahrgastdichte)
  • Flexible, bezahlbare Verbindungen in der Nebenverkehrszeit für Fahrten mit mehreren Zwischenstopps entsprechend den Verkehrsgewohnheiten von Frauen

Mit mehr weiblichen Beschäftigten würde der öffentliche Verkehr ganz sicher frauenfreundlicher, weil die Bedürfnisse von Frauen besser berücksichtigt würden. Deshalb ist in Indien beispielsweise ein bestimmter Prozentsatz offener Stellen für Frauen vorgesehen.

Bei einem EIB-Projekt zur Modernisierung der U-Bahn in Bengaluru waren 33 Prozent der geschaffenen Arbeitsplätze für Frauen reserviert. Von den 282 weiblichen Beschäftigten sind 118 Fahrerinnen oder Stationsleiterinnen. Frauen, die nicht in der Nachtschicht arbeiten können, werden für die Früh- und Tagesschicht eingeteilt. Außerdem können Mitarbeiterinnen, die an zwei Stationen arbeiten, ihre Kinder in eine Tagesstätte geben.

Mehr Diversität im Verkehrswesen würde auch mehr Talente anziehen und gegen das Altersproblem helfen: Ein Drittel der Beschäftigten ist über 50. Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen schneiden außerdem finanziell besser ab, wie aus einem Bericht des Beratungsunternehmens McKinsey aus dem Jahr 2018 hervorgeht. Firmen, die in der Kategorie genderdiverse Führung im obersten Quartil angesiedelt waren, hatten 21 Prozent häufiger eine überdurchschnittliche Rentabilität als Unternehmen aus dem vierten Quartil.

Genderaspekte bei der Verkehrsplanung zu berücksichtigen, heißt nicht, Frauen zu bevorzugen. Vielmehr geht es um Lösungen, die den Bedürfnissen beider Geschlechter entsprechen. Eine Videoüberwachung etwa dämmt Gewalt gegen Frauen und Männer ein und macht öffentliche Verkehrsmittel generell attraktiver. Und ein angepasstes Verkehrsangebot für Menschen, die unbezahlte Arbeit leisten, hilft allen Sorgenden – nicht nur Frauen.

Ein gleichberechtigter Zugang verbessert die Chancen aller. Davon profitieren letztlich auch die Gesellschaft und die Wirtschaft.

Maja Roginska ist Senior Transport Economist, Moa Westman Gender-Expertin bei der Europäischen Investitionsbank.