Von Federico Ferrario
Die Welt steuert derzeit auf einen Temperaturanstieg von 2,7 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts zu. Das liegt weit über dem Zielwert des Pariser Abkommens von 1,5 Grad und würde rund um den Globus zu gravierenden Änderungen der Wettermuster führen.
Was wir daher brauchen, ist ein radikaler Wandel – und zwar schnell.
Anfangen könnten wir, indem wir Energie optimal nutzen oder besser noch einsparen. In einem nächsten Schritt muss die Energie grüner gemacht werden.
Wie schnell und wie viel wir in saubere Energien und Innovationen investieren, wird darüber entscheiden, ob wir den Übergang zu Netto-Null noch schaffen.
Aber welche neuen grünen Technologien bieten die besten Chancen für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft? Sehen wir sie uns an.
Dekarbonisieren, aber wie?
Die globale Energienachfrage steigt und steigt, ebenso wie der Preis für fossile Brennstoffe. Deshalb erleben wir in Europa gerade einen spürbaren Energieengpass. Der russische Angriff gegen die Ukraine verschärft die Lage zusätzlich. Europa stützt sich bei der Energieversorgung immer noch weitgehend auf fossile Brennstoffe und muss 90 Prozent seines Öl- und über 60 Prozent seines Gasbedarfs importieren. Zudem beziehen einige Länder große Teile ihrer Energielieferungen aus Russland.
Die Notwendigkeit einer schnellen Dekarbonisierung hat jetzt eine völlig neue Dimension erhalten: die Versorgungssicherheit, also unsere Unabhängigkeit und Freiheit. Aus Klimasicht dürfte das eine gute Nachricht sein, denn hinter beiden Zielen steht dieselbe Strategie: Erneuerbare ausbauen, Innovation bei neuen Energiequellen und -trägern fördern und Energie möglichst optimal (und sparsam) einsetzen.
Voraussetzung dafür ist ein systemisches Umdenken im gesamten Energiesektor. Systemisch deshalb, weil es nicht reicht, alte Kraftwerke einfach durch neue zu ersetzen und sonst weiterzumachen wie bisher. Denn die neuen Anlagen sind anders. Sie funktionieren anders, an anderen Standorten, zu anderen Zeiten und unter anderen Bedingungen. Wahrscheinlich müssen wir völlig neue Wege finden, wie wir Energie umwandeln, transportieren, speichern und nutzen.
Im Zentrum des Geschehens steht derzeit der Stromsektor. Seine Bedeutung wird künftig überdimensional zunehmen, weil Dekarbonisierung oft Elektrifizierung bedeutet. Hier gilt es, die bereits vorhandenen Technologien klug einzusetzen, angefangen damit, dass man dort Stromleitungen baut, wo Engpässe am besten behoben werden können. Gleichzeitig müssen wir vorausblicken und Netzwerkproblemen vorbeugen, damit sie die Tragfähigkeit sauberer Kraftwerke nicht gefährden.
Ganz wichtig ist außerdem, bestehende Infrastruktur optimal zu nutzen, etwa durch aktives Echtzeitmanagement der Netze sowie genaueres Monitoring von Stromleitungen in Echtzeit, um ihre tatsächliche Übertragungskapazität bestmöglich auszuschöpfen.
Neue Energieträger wie Wasserstoff brauchen mit zunehmender Bedeutung und Nutzung vermutlich eigene neue Infrastruktur. Ein Teil der bestehenden Anlagen lässt sich zwar womöglich wiederverwenden und anpassen, aber fest steht: An Neuinvestitionen führt kein Weg vorbei.
Wenn wir den Rhythmus unseres Alltags und unserer Wirtschaft beibehalten wollen, müssen wir das Angebot sauberer Energiequellen (vor allem Sonnen- und Windenergie) damit in Einklang bringen. Dafür sind erhebliche Speicherkapazitäten erforderlich, und zwar in jeder Form, die eine effiziente und wirtschaftliche Speicherung intermittierend erzeugter Energie für einen späteren Zeitpunkt erlaubt.
Der Übergang zu Netto-Null ist eine enorme Herausforderung. Wir müssen daher alles daransetzen, eine breite Lösungspalette zu entwickeln, denn einen Königsweg gibt es nicht. Batterien, Staudämme, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe, Wärmespeicherung – alles wird gebraucht.
Denn jede Lösung ist für andere Speicherzeiträume und Speicherkapazitäten oder für konkrete Teile des Energiesektors ausgelegt.
Die beiden größten Hindernisse sind allerdings nach wie vor die Erzeugung von genug sauberer Energie und eine angemessen lange Speicherung.