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Anfang September erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,8 die Region Al Haouz im Herzen Marokkos. 50 000 Häuser wurden zerstört, rund 1 000 Schulen beschädigt – viele davon mussten abgerissen werden. In den hart getroffenen ländlichen Gebieten verloren Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler ihr Zuhause und mussten in baufälligen Schulgebäuden schlafen, die schon vor dem Erdbeben in einem erbärmlichen Zustand gewesen waren.

Marokko gibt rund fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. Das reicht aber nicht, um die 8 022 Grundschulen instand zu halten und zu modernisieren oder gar neue Schulen zu bauen. Die alten Gebäude aus den 1970er- und 1980er-Jahren sind nie renoviert worden. Entsprechend sehen die Sanitäranlagen für das Personal und die Kinder aus, die oft von weit her kommen.

Das Land plante schon vor dem Beben Neubauten, im Rahmen einer nationalen Initiative zur Verbesserung der Bildung in abgelegenen Regionen wie dem Atlasgebirge. Diese Regionen hinken beim Schulerfolg hinterher: Auf dem Land besuchen nur 44 Prozent der Mädchen eine weiterführende Schule, in städtischen Gebieten dagegen 82 Prozent. Nach dem Erdbeben drückte das Bildungsministerium bei den Bauanträgen aufs Tempo, damit es zum Jahresende 2023 mit dem Wiederaufbau losgehen kann.

„Dieses Projekt ist ein Gamechanger für die Bildung in Marokko“, glaubt Didier Bosman, der als Architekt bei der Europäischen Investitionsbank an der Finanzierung mitarbeitet. „Das marokkanische Bildungsministerium will die Kluft zwischen Stadt und Land schließen und räumt dem Vorhaben höchste Priorität ein.“

Die EIB vergab dafür einen Kredit von 102,5 Millionen Euro an Marokko. Damit sollten 150 Gemeindeschulen (Vor- und Grundschulen) gebaut werden, einschließlich der nötigen Ausstattung, Unterkünfte und Verkehrsmittel. All das Geld wird jetzt den Regionen zugewiesen, die am stärksten von dem Erdbeben getroffen wurden.

Im Oktober sagte die Bank eine Milliarde Euro für Marokkos Wiederaufbauprogramm zu, verteilt auf die nächsten drei Jahre.

Als Hilfe für die Planung der Investitionen erhält das Land außerdem einen Zuschuss von 650 000 Euro aus dem Fonds der Resilienzinitiative. Über den Fonds fördert die EIB ein robustes und gerechtes Wachstum in der südlichen Nachbarschaft Europas und auf dem Westbalkan. Mit dem Zuschuss wird technische Hilfe bei der Projektplanung finanziert. Dazu zählt auch eine eingehende Analyse der Bedürfnisse und Herausforderungen ländlicher Schulen.

Die Analyse soll als Grundlage für künftige Bildungsprojekte in Marokko dienen.

Viele können nicht richtig lesen

Nur 27 Prozent der 15-Jährigen in Marokko erreichen ein Mindestniveau im Lesen, gegenüber 77 Prozent im Durchschnitt der OECD-Länder. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in ihrer jüngsten PISA-Studie. Zu viele brechen die Schule schon in den unteren Klassen ab, sodass nur zwei Drittel der jungen Menschen einen Abschluss auf Hauptschulniveau erreichen.

Bei den Mädchen steht der Schulabbruch auch der Gleichstellung im Wege, weil er ihre Berufsaussichten verschlechtert.

„In Marokko besteht Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren, und die Schule ist kostenlos“, sagt Bosman. „Das Problem ist aber: Viele Kinder gehen nicht hin, vor allem Mädchen. In städtischen Gebieten beenden weniger als 60 Prozent die Mittelschule. In ländlichen Regionen melden sie sich oft gar nicht erst an, weil sie zu Hause helfen müssen.“

Die Europäische Kommission engagiert sich deshalb zusätzlich über bilaterale Bildungsprogramme in Marokko.

Verfallene Schulen auf dem Land

Ländliche Grundschulen in Marokko werden als Satellitenschulen geführt, abgelegen vom Hauptstandort und zumeist kleiner. Manche haben keine eigene Schulleitung.

Das bringt die Schulen zwar näher zu den Menschen auf dem Land, aber die einfachen Betonbauten sind dürftig ausgestattet. Es gibt Einrichtungen mit 800 Schülerinnen und Schülern, die für höchstens 100 ausgelegt sind.

Viele Lehrkräfte und Schulkinder müssen vor Ort wohnen, weil der Schulweg zu weit ist. Ohne Strom und funktionsfähige Waschräume ist das schwierig. Junge Mädchen verlassen deshalb oft die Schule, wenn die Monatsblutung einsetzt oder der Wechsel an die entfernter gelegene weiterführende Schule ansteht.

>@EIB

Berberdorf in Aït Bougoumez

Bestandsaufnahme vor Ort

Vor dem Baubeginn besuchte ein Beratungsteam der EIB über 30 Gemeindeschulen, wie etwa die Schule von Ighrem n’Ougdal in der Provinz Ouarzazate und die École Vivante im Aït-Bougoumez-Tal im Atlasgebirge. Man wollte sich ein eigenes Bild machen: Was wird am dringendsten gebraucht? Wie läuft der Unterricht ab? Was steht auf dem Lehrplan und wie werden die Lehrkräfte ausgebildet?

Marokko erhielt zusätzlich neun Millionen Euro als Kredit über die Nachbarschaftsinvestitionsplattform, für Lehrmittel und einen besseren Unterricht.

Auf Basis der Analyse des Beratungsteams erarbeitete das Bildungsministerium neue Richtlinien für den Bau ländlicher Schulen, die per Dekret in Kraft gesetzt wurden. Sie legen die einzelnen Schritte fest, von der Bedarfsermittlung bis zur Auswahl der Partner für Bau und Auftragsvergabe nach den Standards der EIB und den Bestimmungen im Land.

Die Richtlinien werden derzeit von den verschiedenen Regionalbehörden des marokkanischen Bildungsministeriums validiert und übernommen. Sie sollen dann für die 150 Gemeindeschulen gelten, die landesweit geplant sind.

>@EIB

Eine neue Definition von Gemeindeschule

Die neuen Schulen werden besser an die schwierigen Bedingungen angepasst, mit eigener Stromversorgung und Kanalisation sowie Anlagen zur Wasserrückgewinnung und ‑aufbereitung. Sie orientieren sich auch an der Lebenswirklichkeit in isolierten Berberdörfern, in denen es oft weder Gemeinschaftsräume noch Erste-Hilfe-Einrichtungen gibt.

Zudem sollen die neuen Schulen Transportmittel, Essensmöglichkeiten und Unterkünfte für Schüler und Lehrkräfte bieten.

Zu dem Projekt für ländliche Schulen gehört auch ein neuer Lehrplan, der den Alltag der Schülerinnen und Schüler und ihre Aufgaben in der Familie berücksichtigt. Die Hoffnung ist: Wenn die Kinder nützliche Dinge lernen, zweifeln die Eltern vielleicht weniger am Wert der Bildung.  Neben rechnen und lesen sollen die Kinder auch lernen, wie man Gemüse anbaut, die Bodenbeschaffenheit erkennt und natürlichen Dünger herstellt und verwendet.

„Wir haben ein Modell für eine Gemeindeschule erarbeitet, die in das soziale Umfeld und die Umwelt eingebettet ist“, erklärt Bosman.

Mit Blick auf die Chancengleichheit entwickelt die EIB über ein eigenes Beratungsteam eine Kommunikationskampagne für Familien mit Mädchen. Damit will sie das Bewusstsein dafür schärfen, wie wichtig die Schule ist und wie sie das Leben verändern kann.

Das Bildungsministerium will die Ergebnisse der Analyse in ein neues Bildungsdekret aufnehmen. Es soll für alle ländlichen Grundschulen in Marokko gelten und die Bildungskluft schließen. Manche lokale Gemeinschaften wollen die Schulbildung verbessern, weiß Bosman. Sie brauchen nur Unterstützung.

„Da bleibt noch viel zu tun in Marokko“, sagt er. „Aber es gibt auch Erfolgsbeispiele: In einer Bergregion gründete eine Frau eine Grundschule mit Klassen, die auf Kinder mit Behinderung eingehen, finanziert vom Bildungsministerium. Damit war sie so erfolgreich, dass sie eine weiterführende Schule gründete, damit die Kinder weiterlernen können.“

„So etwas möchten wir landesweit sehen.“

>@EIB