Wir haben es also mit einem gesamteuropäischen Problem zu tun. Und es ist mir auch ein persönliches Anliegen. Mit neunzehn ging ich zum Studium nach Deutschland. Bei der Dresdner Bank in Leipzig fiel mir zum ersten Mal auf, wie unterschiedlich Frauen am Arbeitsplatz behandelt werden. Das DDR-Regime war natürlich für empörende Untaten verantwortlich. Es stand allerdings auch für den Glauben an die Gleichstellung von Frau und Mann, der über den Untergang der DDR hinaus fortbestand. Diese berufliche Episode war sehr bereichernd: Ich entwickelte Schulungsprogramme für junge Frauen, deren Input wirklich geschätzt wurde. Im Bankensektor begegnete ich auch zahlreichen Männern mit Machoallüren. Der Gleichstellungsgedanke war nicht bis zu den westdeutschen Männern durchgedrungen – das fiel mir immer wieder auf. Im Lauf der Zeit entwickelte ich dazu eine Theorie, die ich erst jetzt in klare Worte fassen kann. Nennen wir sie die Theorie der „finnischen Frau als Naturgewalt“.
Da ich genau wie meine Brüder behandelt wurde, wuchs ich im Bewusstsein auf, tun zu können, was ich wollte. Mein Geschlecht schränkte mich nicht ein, und ich musste mein Verhalten nicht anpassen, damit es für Männer akzeptabel war. Im Laufe der Jahre beobachtete ich, wie sich manche Frauen aus anderen Kulturkreisen regelrecht verstellen, damit Männer sie als weniger bedrohlich oder dominant wahrnehmen. Sie sprechen zum Beispiel leiser oder lassen sich in Meetings von Männern unterbrechen. Mir passiert so etwas nicht – auch nicht anderen finnischen Frauen bei der EIB, denen dieses Phänomen aufgefallen ist. Zum Beispiel Eila Kreivi, unsere Direktorin für Kapitalmärkte, die sehr bestimmt und direkt auftritt.
Vielleicht hilft uns hier der finnische Hintergrund doppelt. Es gibt einfach nicht so viele Finnen, weder Frauen noch Männer, in den großen EU-Einrichtungen. Deswegen werden die paar Frauen, die sich behaupten, als charakterfest und direkt wahrgenommen. Wären wir zahlreicher, hätten wir wahrscheinlich Gegenwind gehabt. Aber auch so riet Eilas Chef ihr einmal von einer Bewerbung ab, weil dann nur Frauen in dem betreffenden Bereich der Bank vertreten gewesen wären. Eila konterte, dass sie bisher nur mit Männern gearbeitet habe und daran auch niemand etwas ausgesetzt hatte. Ihr Chef lenkte ein.
Zugegeben, in den mittlerweile zwei Jahrzehnten, in denen ich für die Europäische Kommission, den Europäischen Investitionsfonds (die für kleine und mittlere Unternehmen zuständige Tochtergesellschaft der EIB) und die EIB arbeite, hat sich in puncto Geschlechtergleichstellung in den EU-Institutionen viel getan. Der Wandel in der Gesellschaft und in der Geschäftswelt hat vor diesen Institutionen nicht halt gemacht. Aber es bleibt natürlich noch viel zu tun.
Ich fing kurz nach dem EU-Beitritt Finnlands im Jahr 1995 bei der Kommission an. Mit uns kamen Schweden und Österreich, und unsere drei kleinen Länder veränderten die EU enorm. Zunächst wurde auf unsere Initiative hin Französisch als Arbeitssprache in den Institutionen durch Englisch ersetzt. Außerdem fiel uns auf, dass die Arbeitsbedingungen in der Kommission rückständig und auf männliche Arbeitnehmer ausgerichtet waren. Telearbeit, Mutterschutz und Teilzeit gab es kaum. Ich half, in der Kommission ein Netzwerk für Frauen aufzubauen. Bei unserem ersten Treffen hängten wir ein Schild an die Tür: „Zutritt nur für Frauen.“ Nach vielen Kämpfen setzten wir am Ende beachtliche Änderungen für uns Frauen durch. Zum Beispiel durften Besprechungen morgens nicht mehr vor 9.30 Uhr und abends nicht nach 17.30 Uhr beginnen. Denn in der Regel waren es die Frauen, die sich nach Feierabend abhetzten, um ihre Kinder aus der Betreuung abzuholen. Aber auch für Väter erleichterte die neue Regel das Familienleben. Wir vernetzten uns mit Frauen in anderen Einrichtungen der EU wie Eurostat und dem Amt für Veröffentlichungen.
Die EIB war damals noch nicht mit dabei. Erst 2014 gründete eine kleine Gruppe von Frauen dort ein inoffizielles Netzwerk mit dem Namen „ConnectedWomen“. Die Initiative ging von einer Italienerin und einer Irin aus, die sich an zwei finnische Frauen in Führungspositionen wandten. Als erstes hielt Eila Kreivi auf einer ihrer Veranstaltungen einen Mentoring-Vortrag über Karrierechancen bei der EIB. Danach wurde ich Patin der Gruppe. Als damalige stellvertretende geschäftsführende Direktorin des EIF konnte ich meine Position und meinen Einfluss in die Waagschale werfen. Das war auch dringend notwendig. In der Bank wurden nämlich Stimmen laut, dass kein Gremium durch die Wahl seiner Kriterien jemanden ausschließen dürfe. Als ob wir die Wahl gehabt hätten, als Frau zur Welt zu kommen! Dennoch wurde untersucht, ob ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex der Bank vorlag. Immerhin: Der Vorwurf gegen ConnectedWomen wurde fallen gelassen. Dennoch wird die Gruppe nicht offiziell unterstützt. Mittlerweile gehören ihr 600 Frauen aus der Bank an, die regelmäßige Mentoring-Sitzungen und Diskussionsrunden organisieren. Bezeichnenderweise wurde ConnectedWomen vom derzeitigen und vom früheren finnischen EIB-Vizepräsidenten unterstützt, zuständig für den Aufgabenbereich Diversität und Inklusion. Das war sehr praktisch für mich, da ich mich daran beteiligte, die Entwicklung einer Strategie für Diversität und Inklusion voranzutreiben. In den kommenden vier Jahren müssen wir diese Strategie umsetzen, unsere Fortschritte messen und sie 2021 umfassend evaluieren.
Als ich 2015 zur Bank kam, fehlte ganz offensichtlich eine klare Linie zum Thema Diversität. Auf der einen Seite war die EIB gerade dabei, Geschlechteraspekte in ihre Finanzierungsleitlinien einzubinden: Darlehenskunden müssen dafür sorgen, dass Frauenrechte in ihren Projekten geschützt werden und ihre Investitionen die Lebensverhältnisse von Frauen verbessern. Auf der anderen Seite kamen wir innerhalb der EIB bei der Geschlechtergleichstellung keineswegs voran. Frauen steckten damals am unteren Ende der Mitarbeiterpyramide fest. Jobs in den unteren Gehaltsstufen waren Frauensache – und sind es immer noch. Gerade einmal 18 von 54 Spitzenführungspositionen sind mit Frauen besetzt. Diese Zahl hat sich in den letzten Jahren kaum geändert. Bevor ich im März meinen neuen Posten antrat, wurde nur eine der zwölf Direktionen der Bank von einer Frau geleitet. Bis 2021 sollen 33 Prozent der Spitzenführungskräfte weiblich sein. EIB-Präsident Werner Hoyer ist ein entschiedener Verfechter der Geschlechtergleichstellung in den Finanzierungsprojekten der Bank und in der Bank selbst.
In meiner neuen Position möchte ich meine Offenheit als Finnin und meine Stärke als Frau für die Sache der Diversität einsetzen – und für alle anderen Prüfungen, die die Bank und die EU in dieser Zeit populistischer Parolen und allgemeiner Turbulenzen noch bestehen müssen. Wie die IWF-Studie zeigte, sorgen Frauen im Management von Banken für mehr Stabilität. Stabilität brauchen wir heute in Europa und auf der ganzen Welt dringend. Am einfachsten erreichen wir das bei der EIB, indem wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öfter und ehrlicher beurteilen. Wir müssen deutlich formulieren, was wir von Beschäftigten in EU-Einrichtungen erwarten. Nur dann können sich Frauen und Männer voll einbringen, sich für ihre Talente wertgeschätzt fühlen und sich darüber freuen, dass sie eine Zukunft gestalten, in der ihre Töchter dieselben Chancen wie ihre Söhne haben. Als Generalsekretärin der EIB habe ich deshalb einen Punkt weit oben auf meine Agenda gesetzt: Alle Beschäftigten sollen sich weiterentwickeln und eine Karriere verfolgen können, unabhängig von ihrem Geschlecht. Vielleicht gehört dazu auch einmal ein Reifenwechsel.