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Dieser Artikel wurde ursprünglich in der finnischen Zeitschrift Ulkopolitiikka (Mai 2018) veröffentlicht.

Als ich alt genug war, um Auto zu fahren, wollte mir mein Vater das Reifenwechseln beibringen. In einer kalten Nacht auf einer einsamen Straße würde es mir nichts nutzen, dass ich eine Frau sei, sagte er. Also lernte ich es, auch wenn mein Geschlecht als das schwächere galt. So war es damals mit meiner Familie in Karjalohja. Ob auf der Hasenjagd oder beim Eisfischen – nie wurde ich anders behandelt als meine Brüder.

Meine Eltern konnten damals noch nicht ahnen, wohin mich das Leben führen würde. Aber sie gaben mir ein gutes Rüstzeug für meine Karriere in der Finanzwelt und in den Institutionen der Europäischen Union an die Hand. Heute, als erste weibliche Generalsekretärin der Europäischen Investitionsbank – der Bank der EU und des weltweit größten Darlehensgebers –, überlege ich, welche Eigenschaften mich so weit gebracht haben. Dabei kommen mir vor allem meine Erziehung daheim und in der Schule in den Sinn – als Finnin und als Frau. Als ich Finnland in jungen Jahren verließ, hatte ich einige Einstellungen im Gepäck, die mir im multinationalen Umfeld der Europäischen Kommission und der EIB sehr zugute kamen. Um diese geht es mir hier. Ich möchte zeigen, welche Herausforderungen an solchen Arbeitsplätzen auf Frauen warten. Spannend ist auch, welche Veränderungschancen sich daraus ergeben, dass die EU-Institutionen im Zuge der #metoo-Bewegung auf gesellschaftliche Bedürfnisse reagieren und sich stärker mit Geschlechterfragen beschäftigen.

Die moralischen Gründe für die Gleichbehandlung von Frauen liegen auf der Hand, deswegen werde ich hier nicht weiter darauf eingehen. Für die Gleichbehandlung von Frauen am Arbeitsplatz sollte das natürlich genauso gelten. Elina Kamenitzer, ebenfalls Finnin, ist bei der EIB für Finanzierungen für deutsche Unternehmen zuständig. Sie erwähnte mir gegenüber einmal, dass ihre Abteilung lange nicht so effektiv wäre, würden dort nur deutsche Männer mit zwei Kindern und einem Audi in der Garage als Kreditreferenten arbeiten. Elina hat so wie ich erkannt, dass Diversität vielfältige Sichtweisen und neue Ideen hervorbringt. Daraus entsteht ein kreativer Dialog, der im heutigen schnelllebigen und innovativen Geschäftsumfeld über Erfolg und Misserfolg entscheiden kann.

>@Mireia Gonzalez Torrijos/EIB

Das lässt sich mit Zahlen belegen. Laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds sind Banken mit Frauen in Führungspositionen stabiler und haben weniger Problemkredite in den Büchern. Das soll nicht heißen, dass Frauen die besseren Banker sind. Aber es bedeutet sehr wohl, dass viele Chancen verspielt werden, wenn alle die gleiche Perspektive haben. Schon deshalb habe ich als erste Frau in dieser wichtigen Position Grund zur Zufriedenheit. Studien zeigen auch, dass Frauen sich gerne mit anderen Frauen umgeben. Ich kann Frauen dazu inspirieren, in Führungspositionen bei der EIB aufzusteigen. Mit meinem Beispiel kann ich Frauen dazu ermutigen, sich überhaupt bei der EIB zu bewerben, denn sie sehen, dass die EIB ihnen Chancen bietet und sich jedenfalls bemüht, gleiche Arbeit gleich zu entlohnen. Das ist gut für uns Frauen. Und: Es ist gut für die EIB und letztlich für die Bürgerinnen und Bürger, für die wir unsere Arbeit tun. Die Gleichstellung der Geschlechter gibt starke Wachstumsimpulse für das Bruttoinlandsprodukt, die Beschäftigung, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Sie fördert die soziale Teilhabe und trägt zu besseren Lebensverhältnissen für diese und die kommende Generation bei. Sie führt dazu, dass die Institutionen zu einem Spiegel der Bevölkerung werden, für die sie arbeiten. Alleine in der EU könnte das BIP pro Kopf bis 2050 um etwa sechs bis neun Prozent steigen, würde die Geschlechtergleichstellung mit mehr Nachdruck verfolgt. Umgekehrt kostet es jährlich Milliarden, wenn weniger Frauen erwerbstätig sind, so eine Eurofound-Studie. Allein im Jahr 2013 waren es 370 Milliarden Euro. Das sind beinahe drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU.

Banken mit Frauen in Führungspositionen sind stabiler und haben weniger Problemkredite in den Büchern. Das soll nicht heißen, dass Frauen die besseren Banker sind. Aber es bedeutet sehr wohl, dass viele Chancen verspielt werden, wenn alle die gleiche Perspektive haben.

Wir haben es also mit einem gesamteuropäischen Problem zu tun. Und es ist mir auch ein persönliches Anliegen. Mit neunzehn ging ich zum Studium nach Deutschland. Bei der Dresdner Bank in Leipzig fiel mir zum ersten Mal auf, wie unterschiedlich Frauen am Arbeitsplatz behandelt werden. Das DDR-Regime war natürlich für empörende Untaten verantwortlich. Es stand allerdings auch für den Glauben an die Gleichstellung von Frau und Mann, der über den Untergang der DDR hinaus fortbestand. Diese berufliche Episode war sehr bereichernd: Ich entwickelte Schulungsprogramme für junge Frauen, deren Input wirklich geschätzt wurde. Im Bankensektor begegnete ich auch zahlreichen Männern mit Machoallüren. Der Gleichstellungsgedanke war nicht bis zu den westdeutschen Männern durchgedrungen – das fiel mir immer wieder auf. Im Lauf der Zeit entwickelte ich dazu eine Theorie, die ich erst jetzt in klare Worte fassen kann. Nennen wir sie die Theorie der „finnischen Frau als Naturgewalt“.

Da ich genau wie meine Brüder behandelt wurde, wuchs ich im Bewusstsein auf, tun zu können, was ich wollte. Mein Geschlecht schränkte mich nicht ein, und ich musste mein Verhalten nicht anpassen, damit es für Männer akzeptabel war. Im Laufe der Jahre beobachtete ich, wie sich manche Frauen aus anderen Kulturkreisen regelrecht verstellen, damit Männer sie als weniger bedrohlich oder dominant wahrnehmen. Sie sprechen zum Beispiel leiser oder lassen sich in Meetings von Männern unterbrechen. Mir passiert so etwas nicht – auch nicht anderen finnischen Frauen bei der EIB, denen dieses Phänomen aufgefallen ist. Zum Beispiel Eila Kreivi, unsere Direktorin für Kapitalmärkte, die sehr bestimmt und direkt auftritt.

Vielleicht hilft uns hier der finnische Hintergrund doppelt. Es gibt einfach nicht so viele Finnen, weder Frauen noch Männer, in den großen EU-Einrichtungen. Deswegen werden die paar Frauen, die sich behaupten, als charakterfest und direkt wahrgenommen. Wären wir zahlreicher, hätten wir wahrscheinlich Gegenwind gehabt. Aber auch so riet Eilas Chef ihr einmal von einer Bewerbung ab, weil dann nur Frauen in dem betreffenden Bereich der Bank vertreten gewesen wären. Eila konterte, dass sie bisher nur mit Männern gearbeitet habe und daran auch niemand etwas ausgesetzt hatte. Ihr Chef lenkte ein.

Zugegeben, in den mittlerweile zwei Jahrzehnten, in denen ich für die Europäische Kommission, den Europäischen Investitionsfonds (die für kleine und mittlere Unternehmen zuständige Tochtergesellschaft der EIB) und die EIB arbeite, hat sich in puncto Geschlechtergleichstellung in den EU-Institutionen viel getan. Der Wandel in der Gesellschaft und in der Geschäftswelt hat vor diesen Institutionen nicht halt gemacht. Aber es bleibt natürlich noch viel zu tun.

Ich fing kurz nach dem EU-Beitritt Finnlands im Jahr 1995 bei der Kommission an. Mit uns kamen Schweden und Österreich, und unsere drei kleinen Länder veränderten die EU enorm. Zunächst wurde auf unsere Initiative hin Französisch als Arbeitssprache in den Institutionen durch Englisch ersetzt. Außerdem fiel uns auf, dass die Arbeitsbedingungen in der Kommission rückständig und auf männliche Arbeitnehmer ausgerichtet waren. Telearbeit, Mutterschutz und Teilzeit gab es kaum. Ich half, in der Kommission ein Netzwerk für Frauen aufzubauen. Bei unserem ersten Treffen hängten wir ein Schild an die Tür: „Zutritt nur für Frauen.“ Nach vielen Kämpfen setzten wir am Ende beachtliche Änderungen für uns Frauen durch. Zum Beispiel durften Besprechungen morgens nicht mehr vor 9.30 Uhr und abends nicht nach 17.30 Uhr beginnen. Denn in der Regel waren es die Frauen, die sich nach Feierabend abhetzten, um ihre Kinder aus der Betreuung abzuholen. Aber auch für Väter erleichterte die neue Regel das Familienleben. Wir vernetzten uns mit Frauen in anderen Einrichtungen der EU wie Eurostat und dem Amt für Veröffentlichungen.

Die EIB war damals noch nicht mit dabei. Erst 2014 gründete eine kleine Gruppe von Frauen dort ein inoffizielles Netzwerk mit dem Namen „ConnectedWomen“. Die Initiative ging von einer Italienerin und einer Irin aus, die sich an zwei finnische Frauen in Führungspositionen wandten. Als erstes hielt Eila Kreivi auf einer ihrer Veranstaltungen einen Mentoring-Vortrag über Karrierechancen bei der EIB. Danach wurde ich Patin der Gruppe. Als damalige stellvertretende geschäftsführende Direktorin des EIF konnte ich meine Position und meinen Einfluss in die Waagschale werfen. Das war auch dringend notwendig. In der Bank wurden nämlich Stimmen laut, dass kein Gremium durch die Wahl seiner Kriterien jemanden ausschließen dürfe. Als ob wir die Wahl gehabt hätten, als Frau zur Welt zu kommen! Dennoch wurde untersucht, ob ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex der Bank vorlag. Immerhin: Der Vorwurf gegen ConnectedWomen wurde fallen gelassen. Dennoch wird die Gruppe nicht offiziell unterstützt. Mittlerweile gehören ihr 600 Frauen aus der Bank an, die regelmäßige Mentoring-Sitzungen und Diskussionsrunden organisieren. Bezeichnenderweise wurde ConnectedWomen vom derzeitigen und vom früheren finnischen EIB-Vizepräsidenten unterstützt, zuständig für den Aufgabenbereich Diversität und Inklusion. Das war sehr praktisch für mich, da ich mich daran beteiligte, die Entwicklung einer Strategie für Diversität und Inklusion voranzutreiben. In den kommenden vier Jahren müssen wir diese Strategie umsetzen, unsere Fortschritte messen und sie 2021 umfassend evaluieren.

Als ich 2015 zur Bank kam, fehlte ganz offensichtlich eine klare Linie zum Thema Diversität. Auf der einen Seite war die EIB gerade dabei, Geschlechteraspekte in ihre Finanzierungsleitlinien einzubinden: Darlehenskunden müssen dafür sorgen, dass Frauenrechte in ihren Projekten geschützt werden und ihre Investitionen die Lebensverhältnisse von Frauen verbessern. Auf der anderen Seite kamen wir innerhalb der EIB bei der Geschlechtergleichstellung keineswegs voran. Frauen steckten damals am unteren Ende der Mitarbeiterpyramide fest. Jobs in den unteren Gehaltsstufen waren Frauensache – und sind es immer noch. Gerade einmal 18 von 54 Spitzenführungspositionen sind mit Frauen besetzt. Diese Zahl hat sich in den letzten Jahren kaum geändert. Bevor ich im März meinen neuen Posten antrat, wurde nur eine der zwölf Direktionen der Bank von einer Frau geleitet. Bis 2021 sollen 33 Prozent der Spitzenführungskräfte weiblich sein. EIB-Präsident Werner Hoyer ist ein entschiedener Verfechter der Geschlechtergleichstellung in den Finanzierungsprojekten der Bank und in der Bank selbst.

In meiner neuen Position möchte ich meine Offenheit als Finnin und meine Stärke als Frau für die Sache der Diversität einsetzen – und für alle anderen Prüfungen, die die Bank und die EU in dieser Zeit populistischer Parolen und allgemeiner Turbulenzen noch bestehen müssen. Wie die IWF-Studie zeigte, sorgen Frauen im Management von Banken für mehr Stabilität. Stabilität brauchen wir heute in Europa und auf der ganzen Welt dringend. Am einfachsten erreichen wir das bei der EIB, indem wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öfter und ehrlicher beurteilen. Wir müssen deutlich formulieren, was wir von Beschäftigten in EU-Einrichtungen erwarten. Nur dann können sich Frauen und Männer voll einbringen, sich für ihre Talente wertgeschätzt fühlen und sich darüber freuen, dass sie eine Zukunft gestalten, in der ihre Töchter dieselben Chancen wie ihre Söhne haben. Als Generalsekretärin der EIB habe ich deshalb einen Punkt weit oben auf meine Agenda gesetzt: Alle Beschäftigten sollen sich weiterentwickeln und eine Karriere verfolgen können, unabhängig von ihrem Geschlecht. Vielleicht gehört dazu auch einmal ein Reifenwechsel.