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©Roger Turesson/Imago/ Süddeutsche Zeitung

Interview von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer (veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung)

Nadia Calviño ist Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB), der größten Förderbank der Welt. Im Auftrag der EU-Staaten soll sie für Stabilität sorgen, mit Investitionen in und außerhalb der Europäischen Union. Kein Wunder, dass die frühere spanische Vize-Regierungschefin zur 61. Münchner Sicherheitskonferenz gekommen ist. Kurz zuvor hatte Calviño in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij besucht und Abkommen über ein Investitionsvolumen von etwa einer Milliarde Euro unterschrieben. Bevor das Interview mit der SZ beginnt, will die 56-Jährige gleich zu Anfang eines loswerden: Europa müsse realisieren, dass wir gerade einen Wendepunkt in der Geschichte erleben.

Zwischen den USA und Europa scheint etwas zerbrochen zu sein. Trump spricht mit Putin über die Zukunft der Ukraine, ohne die EU. Der US-Verteidigungsminister sagt, dass Amerika nicht länger die Sicherheit Europas garantieren werde. Und Vizepräsident J. D. Vance sieht das größte Risiko für Europa nicht in Russland oder China, sondern in der angeblich bedrohten Meinungsfreiheit. Wie schockiert sind Sie?

Ich bin weder schockiert noch überrascht. Ich war mir sicher, dass wir einen fundamentalen Wandel in den transatlantischen Beziehungen erleben werden. Wir Europäer müssen uns auf unsere Stärken besinnen, für unsere Interessen eintreten und jene regelbasierte Weltordnung verteidigen, von der wir in den vergangenen 80 Jahren so sehr profitiert haben. Die Amerikaner noch viel mehr.

Droht die neue US-Regierung nicht gerade, diese Weltordnung zu zerstören?

Ich bin überzeugt, dass gute transatlantischen Beziehungen für beide Seiten strategisch wichtig sind. Wir müssen uns anstrengen, dafür eine neue Grundlage zu schaffen. In solch turbulenten Zeiten ist es wichtiger denn je, dass Europa für Stabilität und Verlässlichkeit steht – nicht nur in unseren Grenzen, sondern auch für den Rest der Welt. Den Wunsch, dass Europa die regelbasierte Ordnung noch mehr unterstützen solle, höre ich oft von Partnern aus aller Welt.

Aber noch mal: Sind die Vereinigten Staaten ein Risiko für die Weltordnung?

Es ist in ihrem eigenen Interesse, das zu erhalten, was Amerika great, also großartig, gemacht hat. Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds oder die Welthandelsorganisation, die wir zusammen gegründet haben. Auch deswegen ist der US-Dollar globale Leitwährung. Gemeinsam und mit Europa gibt es viele Win-win-Situationen. Am wichtigsten ist aber, dass wir akzeptieren, dass die Welt von morgen sehr anders ist als die Welt von gestern.

„Wir erleben gerade einen Wendepunkt in der Geschichte.“

Die Europäische Investitionsbank ist die größte Förderbank der Welt. Was können Sie als deren Präsidentin beitragen, damit sich Europa auch in dieser neuen Welt bewährt?

Wir befinden uns an einem entscheidenden Moment in der Geschichte. Und an einem Wendepunkt in der geopolitischen Ordnung. Die Zukunft wird also von den Entscheidungen abhängen, die wir heute treffen, und jede Entscheidung zählt.

Was bedeutet das konkret?

Seit ich 2024 zur EIB als Präsidentin gekommen bin, habe ich Gespräche mit allen 27 EU-Mitgliedstaaten und unseren europäischen und internationalen Partnern geführt, aber auch mit der Zivilgesellschaft und der Industrie. Wir haben erstmals eine klare „Strategische Road Map“ er-arbeitet. 2024 war ein Rekordjahr für uns, die EIB hat Finanzierungen im Volumen von 89 Milliarden Euro unterzeichnet, die die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit Europas stärken. Das Geld fließt etwa in Energie-Infrastruktur und erneuerbare Projekte, in neue Technologien wie künstliche Intelligenz oder Quantencomputer, und in die Unterstützung der Transport- und Automobilindustrie. Wir haben 2024 eine Rekordsumme in Energienetze investiert. Und unsere Unterstützung für den Bereich Sicherheit und Verteidigung hat sich verdoppelt auf eine Milliarde Euro – und 2025 rechnen wir mit einer weiteren Verdoppelung.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz ging es immer wieder darum, woher die EU-Staaten die vielen Milliarden nehmen könnten, die sie – auch auf Druck von Trump – in ihre Armeen stecken müssen. Kommen nun alle zu Ihnen?

Ursula von der Leyen hat bereits eine Lockerung des Stabilitätspakts vorgeschlagen, damit EU-Staaten ihre Verteidigungsausgaben finanzieren können. Olaf Scholz denkt ähnlich. Wir als EIB sind kein Verteidigungsministerium, aber wir können in diesem Bereich viel helfen. Wenn Staaten zum Beispiel ihre Straßen und Brücken renovieren, um die militärische Mobilität zu verbessern, können wir dies genauso finanzieren wie den Schutz unserer kritischen Infrastruktur, zum Beispiel von Unterseekabeln, oder Investitionen in Cybersicherheit. Wir gehen das an und sind im Austausch mit den Finanz- und Verteidigungsministerien und der Industrie in Europa.

Was finanziert die EIB in Deutschland in diesem Bereich?

Wir prüfen gerade europaweit ganz konkret 14 Projekte. 2021 haben wir etwa dem Münchner Drohnen-Start-up Quantum Systems einen Kredit von zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Deren Produkte werden nun vom ukrainischen Militär gebraucht und sind zivil und militärisch nutzbar, das kann die EIB also fördern. Gerade hat die litauische Regierung bei uns einen Antrag gestellt, den wir nun analysieren: Sie will finanzielle Hilfe für den Bau des Militärstützpunkts für die neue Bundeswehr-Brigade in Rūdninkai nahe der Grenze zu Belarus.

Bald sollen 5000 deutsche Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert sein, um Russland abzuschrecken. Für diese Brigade kalkuliert das Bundesverteidigungsministerium mit Kosten von mehr als zehn Milliarden Euro. Litauen will etwa eine Milliarde Euro für die neue Basis investieren, wie viel Geld könnte es von der EIB geben?

Es ist ein sehr wichtiges und ein sehr anspruchsvolles Projekt, und wir haben gerade damit begonnen, Details zu prüfen. Ein anderes gutes Beispiel ist die EIB-Unterstützung für die Vertiefung des dänischen Hafens in Esbjerg – künftig können dort Nato-Schiffe noch besser anlegen oder Material für Offshore-Windparks transportiert werden.

Sie haben gerade die Ukraine besucht. Wie unterstützt die EIB das Land?

Die Reise in die Ukraine war meine erste außerhalb der EU als EIB-Präsidentin. Wir sind wahrscheinlich der wichtigste Investitionspartner der Ukraine, und unsere Rolle ist sehr geschätzt von unseren Partnern. Bei meinem Besuch haben wir Abkommen über ein Investitionsvolumen von etwa einer Milliarde Euro unterschrieben. Dadurch sollen große ukrainische Banken mehr Kredite an Mittelstandsfirmen vergeben können. Und mit der Regierung haben wir Pakete zur Finanzierung der Infrastruktur von Energie, Verkehr, Wasser und Fernwärme sowie für den Bau von Bunkern in Schulen und Kindergärten unterzeichnet. Wir investieren also gerade in alle Bereiche, die wichtig sind, damit die Ukrainer so weit wie möglich ein normales Leben führen können. Und natürlich soll die Widerstandsfähigkeit des Landes gestärkt werden.

Unterstützen Sie auch die ukrainische Rüstungsindustrie?

Wir unterstützen die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, was auch der Ukraine hilft. Wir haben 2024 den Dual-Use-Ansatz ausgeweitet, sodass wir jetzt eine breite Palette von Projekten fördern können, wie zum Beispiel Grenzsicherheit, Cybersicherheit, Satelliten und Drohnen oder Minen-Räumung.

Der Chef des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo sagte kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung, dass das Problem Europas vor allem eines sei: Die EU-Staaten geben immer mehr Geld für Verteidigung aus, aber es gebe zu wenig Zusammenarbeit. Hat er recht?

Es liegt auf der Hand, dass uns ein gemeinsames europäisches Beschaffungssystem effizienter und stärker machen würde, vor allem wenn es um sogenannte Leuchtturmprojekte geht. Und ja, ich denke, die Europäische Investitionsbank kann einen Beitrag dazu leisten, indem sie Projekte unabhängig bewertet. Um das beste Fachwissen einzubringen, haben wir 2024 Vereinbarungen mit dem Nato-Innovationsfonds und mit der Europäischen Verteidigungsagentur unterzeichnet, damit wir auch von deren technischem Wissen in diesem Bereich profitieren können.

Gibt es in der EIB Streit wegen der unterschiedlichen Positionen in Sachen Ukraine aufgrund der Mitgliedschaft von Ländern wie Ungarn oder der Slowakei, deren Regierungen moskaufreundlich sind?

Nein, ganz und gar nicht.

„Ich würde es nie wagen, einem Mitgliedstaat zu sagen, was er zu tun hat.”

Sie sind also Präsidentin einer der wenigen europäischen Institutionen, die nicht zerstritten sind?

Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich die 27 Mitgliedstaaten besucht und sehr aufmerksam zugehört habe. Auf dieser Grundlage haben wir unsere Strategie ausgearbeitet, die von allen einstimmig unterstützt wurde. Wir sind also sehr gut auf die europäischen Prioritäten und die Erwartungen der Mitgliedstaaten abgestimmt. Es gibt eine starke Unterstützung für das, was wir tun. Auch in der Ukraine.

Wenn es um Europas Zukunft geht, fällt immer wieder ein Wort: Wettbewerbsfähigkeit. Was muss Europa tun, damit es wirtschaftlich nicht noch stärker hinter die USA und China zurückfällt?

Die verschiedenen Berichte, etwa von Enrico Letta und Mario Draghi, sind sich ziemlich einig: Wir brauchen Marktintegration, Vereinfachung und Investitionen. Was wir tun müssen, ist also klar. Und ich denke, die neue Kommission ist gewillt, in diese Richtung zu gehen. Was die Vereinfachung betrifft, so haben wir uns zum Beispiel mit der Kommission zusammengetan, um die Standards für die Umwelt-Berichterstattung so anzupassen, dass wir das Pariser Klima-Abkommen und unsere Ziele bei der grünen Transformation auf eine Art und Weise verfolgen, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und die grüne Finanzierung und grüne Investitionen fördert.

Wie optimistisch sind Sie, dass Europa endlich schneller reagiert und dann auch entscheidet? Bei der Kapitalmarkt-Union warten wir schon seit zehn Jahren darauf, dass das endlich mal was wird. Und das ist nur eines von vielen Beispielen.

Nun, ich habe in Spanien als Finanzministerin und Vizeregierungschefin einiges erlebt. Die Euro-Krise, die Pandemie. Und ich habe gesehen, wie es Europa gelingen kann: Gemeinsam haben wir die Impfungen entwickelt und diese Krise gemeistert. Mit dem Programm „Next Generation EU“ hat Spanien sehr tiefgreifende Reformen durchgezogen und ist dank der Mobilisierung von Investitionen heute die leistungsfähigste Wirtschaft in Europa und ein Motor für Wachstum und Wohlstand auf dem Kontinent. Wir sind erfolgreich, wenn wir uns zusammentun, entschieden handeln, uns wirklich konzentrieren und alle Energien zusammenbringen.

Im Gegensatz zu Spanien und anderen Ländern ist Deutschland wirtschaftlich schwer angeschlagen. Viele Experten sehen in der Schuldenbremse ein Hemmnis für mehr Wachstum. Was muss Deutschland tun, damit es wieder aufwärtsgeht?

Ich würde es nie wagen, einem Mitgliedstaat zu sagen, was er zu tun hat. Ich wünsche mir einfach ein starkes Deutschland mit einer pro-europäischen und stabilen Regierung, denn wir brauchen ein starkes Deutschland im Zentrum unserer Union.