Plenarsitzung der Wiener Initiative – 8. Juni 2020
Mitglieder der Wiener Initiative hielten am 8. Juni 2020 eine virtuelle Sitzung ab. Dies war ihre erste Plenarsitzung seit dem Ausbruch der Covid-19-Krise, die in allen Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas gravierende Auswirkungen hat.
Die Wiener Initiative vereint wichtige Akteure des öffentlichen und privaten Sektors, die im Finanzsektor in Mittel-, Ost- und Südosteuropa tätig sind. Sie stellt eine Plattform für Gespräche und freiwillige Kooperation bereit, was in dieser Zeit der Wirtschaftskrise besonders wichtig ist.
Die Sitzung fand unter dem Vorsitz von Boris Vujčić, Gouverneur der kroatischen Notenbank, statt. Verschiedene Gäste präsentierten ihre Sicht der wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Coronapandemie und der Rolle der Wiener Initiative in der Krise. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Initiative analog zu 2008/2009 weiterhin ihrer Aufgabe nachkommen solle, den Dialog zwischen länderübergreifenden Finanzinstituten, Regulierungsbehörden und internationalen Finanzierungsinstitutionen herzustellen – nun mit dem Ziel, die Auswirkungen der Krise auf die aufstrebenden Volkswirtschaften Europas abzuschwächen.
Der IWF erwartet für die Region eine tiefe Rezession, wobei extreme Unsicherheit bezüglich Dauer und Intensität herrscht. Er spricht sich für eine starke politische Antwort auf die Covid-19-Pandemie, auch in der Region der Wiener Initiative, aus. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften Europas bisher zwar weniger von der Krise betroffen sind, ihr Handlungsspielraum aber kleiner ist als der von fortgeschrittenen Volkswirtschaften.
Teilnehmende der Wiener Initiative, darunter die multilateralen Entwicklungsbanken und Institutionen der Europäischen Union, erläuterten ihre eigenen Antworten auf die Krise.
Die Europäische Kommission präsentierte eine Übersicht der wichtigsten Maßnahmen, die zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Krise getroffen oder empfohlen wurden. Dazu gehören neben der Aktivierung der „allgemeinen Ausweichklausel“, die eine besondere fiskalpolitische Unterstützung für Unternehmen, Haushalte und den Gesundheitssektor ermöglicht, mehr Flexibilität bei der Anwendung der Bankenregulierung (neues Bankenpaket wurde im April angenommen), die Lockerung der Regelungen für staatliche Beihilfen und die Unterstützung der Arbeitsmärkte durch die Bereitstellung von EU-Mitteln für Kurzarbeitergeld im Rahmen der Initiative SURE. Der Wiederaufbau der Wirtschaft wird auch durch den vorgeschlagenen neuen EU-Haushaltsrahmen und das Hilfspaket von 750 Milliarden Euro unterstützt.
Im Mai beschloss die EIB-Gruppe einen Paneuropäischen Garantiefonds von 25 Milliarden Euro, um ihre Unterstützung für die Realwirtschaft auszuweiten. Die Mittel sollen vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen, und es sollen bis zu 200 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die EIB stellt darüber hinaus Finanzierungen im Umfang von 1,7 Milliarden Euro für den Westbalkan bereit. In der Pipeline befinden sich darüber hinaus Gesundheits- und FuE-Projekte im Umfang von 6 Milliarden Euro, die die geplanten Investitionen in kritische Gesundheitsinfrastruktur und -ausrüstung sowie FuE-Aktivitäten zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten unterstützen.
Die EBWE stellte ihr Solidaritätspaket vor, das vorsieht, dass die Bank 2020/21 ihre gesamten Aktivitäten der Krise widmet. Das Paket umfasst Finanzierungen von rund 21 Milliarden Euro und ein Programm zur Bereitstellung kurzfristiger Liquidität für Kunden, das bereits von 1 Milliarde Euro auf 4 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Die Bank hat im Rahmen ihres Flaggschiff-Programms, des Trade Facilitation Programme, ihre Unterstützung für länderübergreifende Handelsströme massiv ausgeweitet und eine „Rapid Advisory Response“-Fazilität eingerichtet, mit der krisenbezogene strategische Aktivitäten in den Ländern gefördert werden sollen.
Die Weltbankgruppe stellt in den nächsten 15 Monaten bis zu 160 Milliarden US-Dollar an Finanzierungen bereit, um den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedrohungen in den Ländern zu begegnen. Ein Teil der Mittel dient dazu, die Länder der Wiener Initiative zu unterstützen. Die Weltbankgruppe hat bereits mehr als 1,75 Milliarden US-Dollar zugesagt, um Staaten und dem Privatsektor in Europa und Zentralasien dabei zu helfen, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abzufedern. Vertreter der Weltbankgruppe stellten auch Leitlinien für die Ausgestaltung von Entlastungsmaßnahmen für Schuldner vor.
Vertreter der länderübergreifenden Geschäftsbanken, die in der Region aktiv sind, bestätigten ihr Engagement für die Region. Sie begrüßten die verschiedenen Entlastungsmaßnahmen der Herkunfts- und Aufnahmeländer und unterstrichen, wie wichtig effizientes Kapital- und Liquiditätsmanagement und die Vermeidung von Abschirmungsmaßnahmen seien. Sie riefen dazu auf, mit den internationalen Finanzierungsinstitutionen weitere Gespräche über die in dieser Krise benötigten Finanzprodukte zu führen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Produkten mit Risikoteilung.
Andrea Enria, Vorsitzender des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank, wies auf die deutlich solidere Kapital- und Liquiditätsausstattung der Banken im Vergleich zur letzten großen Krise, der Finanzkrise, hin. Die Kreditvergabe der Banken ist im 1. Quartal gestiegen, während sich die Kreditvergabestandards nicht so stark verschärft haben wie während der Finanzkrise. Obwohl einige Kapitalpuffer vorübergehend gelockert wurden, haben die Banken bisher keinen Gebrauch davon gemacht, wobei die Höhe der Risikovorsorge von Bank zu Bank unterschiedlich ausfällt.
Im Zuge der Covid-19-Krise dachten die Teilnehmenden über die Möglichkeit nach, nicht nur die Wiener Initiative auf andere Länder in der europäischen Nachbarschaft auszuweiten, sondern auch neue Gruppen aus dem Finanzsektor einzubeziehen. Sie einigten sich darauf, mehrere Länder mit engen Beziehungen zur Europäischen Union zum Beitritt zur Initiative aufzufordern, und mit anderen Ländern in der Nachbarschaft zur EU in einen Grundsatzdialog einzutreten.
Die aktuelle Krise macht deutlich, dass die institutionellen Anleger eine wichtige Rolle auf den Kapitalmärkten spielen. Ihr Engagement und ihr Einfluss bei der Finanzierung aufstrebender Volkswirtschaften ist seit 2008/2009, als die Initiative eingerichtet wurde, gestiegen. Die Teilnehmenden einigten sich darauf, maßgebliche in der Region tätige institutionelle Anleger und Investmentbanken einzuladen, um einen offenen Dialog über die Entwicklung von länderübergreifenden Bank- und Portfolioströmen zu führen. Dabei sollen auch mögliche freiwillige Ansätze ausgelotet werden, die dazu beitragen könnten, dass die Kapitalzuflüsse in aufstrebende Volkswirtschaften künftig weniger prozyklisch sind und dass Anreize zur Minderung ihrer Volatilität entstehen.
Die Sitzungsteilnehmenden vereinbarten, sich auch weiterhin an der laufenden Arbeit der Wiener Initiative, die vor der Pandemie eingeleitet wurden, zu beteiligen. Dazu zählen Bemühungen zur Ermittlung von Instrumenten zur Innovationsförderung, eine umweltgerechtere Ausgestaltung der Finanzsysteme und die Abwicklung von Problemkrediten. Die Teilnehmenden unterstützten den früheren Beschluss des Lenkungsausschusses über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, um einen konstruktiven Dialog zwischen den in Mittel-, Ost- und Südosteuropa tätigen Geschäftsbanken und den verschiedenen internationalen Finanzierungsinstitutionen über die Marktbedürfnisse und Merkmale der Instrumente zu fördern, mit denen Unternehmen während und nach der Covid-19-Pandemie unterstützt werden sollen.
Die Wiener Initiative wurde auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise 2008/09 eingerichtet. Sie vereint internationale Finanzierungsinstitutionen, europäische Institutionen, Regulierungsbehörden aus den Herkunfts- und Aufnahmeländern sowie große länderübergreifende Bankengruppen, die in Mittel-, Ost- und Südosteuropa tätig sind. Ihr ursprüngliches Ziel bestand darin, den Finanzsektor in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas zu stärken, den ungeordneten Abbau von Risikoaktiva zu vermeiden und die Kreditvergabe in diesen Volkswirtschaften aufrechtzuerhalten. Diese Ziele wurden damals erfolgreich erreicht.
Mit der Erholung der Region verlagerten sich die Tätigkeiten der Wiener Initiative auf die Bewältigung verbliebener und neuer Herausforderungen der Finanzindustrie, darunter die Abwicklung von Problemkrediten und die Entwicklung der Kapitalmärkte in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas.