Keynote-Ansprache von EIB-Präsident Werner Hoyer auf dem 9. Green Finance Forum am 14. November 2023


Es gilt das gesprochene Wort.


>@EIB

Lieber Emmanuel Faber,
liebe Sabine Mauderer,
liebe Ulrike Malmendier,
lieber Andreas Scholz,
meine Damen und Herren,

 

Die Erderwärmung ist keine Gefahr in der Zukunft. Sie ist schon heute Realität.

2023 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Damit steuern wir auf eine globale Erwärmung von über zwei Grad zu – das ist mehr, als wir verkraften können.

Wir bei der Europäischen Investitionsbank resignieren aber nicht vor diesen Fakten. Im Gegenteil: Wir nehmen sie als Ansporn, noch mehr für eine kohlenstoffarme globale Wirtschaft zu tun.

 

Eins ist klar:
Die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften ist nicht nur ein moralisches Gebot, um das Leben kommender Generationen auf unserem Planeten zu schützen. Vielmehr ist sie notwendig, damit unsere Industrie wettbewerbsfähig bleibt und Europa weiterhin für Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand steht – und zwar nicht erst morgen, sondern schon heute.

Professor Malmendier und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Sachverständigenrat für Wirtschaft haben gerade ihren Jahresbericht veröffentlicht. Und der enthält einige wirklich schockierende Ergebnisse. Die deutsche Wirtschaftsleistung liegt immer noch knapp unter dem Niveau von vor vier Jahren, als die Pandemie ausbrach. Und 2023 wird sie voraussichtlich schrumpfen.

Das ist eigentlich nicht überraschend. Denn bei der Energieversorgung sind wir stark von anderen abhängig, und wir haben in diesem Bereich seit Jahren weniger investiert als die globale Konkurrenz.

Wir haben uns viel zu lange der Illusion hingegeben, dass fossile Brennstoffe eine billige und zuverlässige Energiequelle sind. Erst mit Putins Einmarsch in die Ukraine wurde uns klar: Sie sind weder billig noch zuverlässig.

Wir hätten es besser wissen und früher handeln müssen. Es geht hier aber nicht nur um Russland. Solange wir die Energiewende nicht schaffen, bleibt Europa den Launen derer ausgeliefert, die diese Brennstoffe kontrollieren.

Kürzen sie die Produktion, steigen die Preise. Und das Ergebnis? Wir müssen eine hohe Inflation bekämpfen. Europäische Unternehmen geraten im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen, und unsere Privathaushalte leiden unter explodierenden Kosten.

Aber bleiben wir fair: Europa tut bereits viel. Die Europäische Union stellt erhebliche öffentliche Mittel für die Energiewende bereit, damit unsere Wirtschaft CO2-frei und gleichzeitig weniger abhängig von ausländischen Mächten wird.

Die EIB unterstützt diese Maßnahmen. Allein letztes Jahr haben wir Finanzierungen für saubere Energieprojekte in der EU von über 17 Milliarden Euro unterzeichnet – so viel wie noch nie zuvor. Aber wie schon gesagt: Viel zu tun, ist nicht genug.

Vor allem, weil die öffentlichen Kassen einfach nicht tief genug sind, um solche Investitionen zu stemmen. Dafür brauchen wir den Privatsektor. Und private Investoren, meine Damen und Herren, wollen Gewissheit, Klarheit und Effizienz.

Mit Gewissheit meine ich: Es darf keine Zweifel an unserer Entschlossenheit geben. Jedes Anzeichen einer Verwässerung oder Unterbrechung der grünen Wende oder gar einer Umkehr sorgt nur für Verwirrung und bremst Investitionen.

Mit Klarheit meine ich: Wir brauchen einheitliche Regeln, die Investitionen erleichtern. Zu viele wichtige Projekte stecken heute in den Fängen der Bürokratie fest. Unsere Vorschriften sind oft zu komplex. Dafür haben wir einfach keine Zeit!

Das gilt auch für die EU-Taxonomie. Sie muss unbedingt markttauglich werden. Die Taxonomie ist enorm wichtig, und wir unterstützen sie. Aber Märkte und Kunden müssen sie auch anwenden können.

EU-Kommissarin Mairead McGuiness hat kürzlich erklärt, dass für sie jetzt oberste Priorität hat, die EU-Taxonomie für Investoren leichter anwendbar zu machen. Wir als Bank der EU stehen dabei voll hinter ihr und werden sie nach Kräften unterstützen.

Das bringt mich zur Effizienz:

Ein gut funktionierender Binnenmarkt ist Europas größtes Kapital. Er ist entscheidend für unsere Wettbewerbsfähigkeit und bringt den Wandel unserer Wirtschaft voran.

Doch statt den Binnenmarkt zu vollenden, untergraben ihn die Mitgliedstaaten mit umfassenden Subventionsprogrammen. Seit Einführung der befristeten Beihilfevorschriften, die die Folgen des Ukrainekriegs abfedern sollen, haben die beiden größten Mitgliedstaaten vier Fünftel aller Beihilfeprogramme auf den Weg gebracht.

Außerdem haben wir noch immer keine Bankenunion und keine Kapitalmarktunion, die diesen Namen verdienen. Die brauchen wir aber unbedingt, damit sich innovative Cleantech-Unternehmen in Europa leichter Kapital für die Skalierung ihres Geschäfts beschaffen können.

 

Deshalb hat die EIB-Gruppe dieses Jahr die European Tech Champions Initiative ins Leben gerufen, einen Dachfonds, der europäischen Innovatoren dringend benötigtes Late-Stage-Wachstumskapital bereitstellt.

Einige von Ihnen fragen sich vielleicht, warum ich im Zusammenhang mit der Energiewende von Hightech-Start-ups spreche. Ganz einfach, meine Damen und Herren: Viele der grundlegenden Technologien für eine geordnete Energiewende existieren noch nicht. Und wenn doch, sind sie noch zu teuer.

In einigen Bereichen, wie der Stromerzeugung, sind saubere Lösungen bereits billiger und lassen sich schneller nutzen als fossile Brennstoffe. In anderen, wie der Luftfahrt oder der Schwerindustrie, fehlen bezahlbare saubere Alternativen noch. Und deshalb ist Innovation so wichtig.

Wir fördern seit vielen Jahren innovative Investitionen, etwa schwimmende Offshore-Windparks in Portugal, Quanteninformatik und Gigafabriken für Akkus in Schweden, den weltweit größten Teilchenbeschleuniger in der Schweiz, Nanosatelliten in Bulgarien und die Covid-19-Impfstoffforschung in Deutschland.

 

Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt eingehen.

Europa konzentriert sich zu sehr auf sich selbst und zu wenig auf andere Regionen.

Als die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 gegründet wurde, erbrachte Europa noch 37 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und stellte 13 Prozent der Weltbevölkerung. Heute beträgt unser Anteil an der Wirtschaftsleistung 15 Prozent und an der Weltbevölkerung gerade noch 7 Prozent. Und trotzdem geht es in unseren politischen Debatten hauptsächlich um uns selbst und zu wenig um Europas Rolle in der Welt.

Seit Jahren reden wir von Partnerschaften auf Augenhöhe mit dem Globalen Süden – aber getan haben wir dafür herzlich wenig.

Inzwischen haben wir gemerkt, dass wir viel zu abhängig sind – nicht nur von russischem Öl und Gas, auch von Mikrochips und Halbleitern aus Taiwan und kritischen Rohstoffen aus den BRICS-Ländern. Deshalb brauchen wir jetzt Partner, um unsere globalen Lieferketten zu diversifizieren.

Das ist eine schmerzhafte Erkenntnis, und wir können das Problem nur lösen, wenn wir eine echte europäische Außenpolitik durch eine proaktive Investitionsstrategie jenseits unserer Grenzen ergänzen.

 

Meine Damen und Herren,

ich konnte Sie hoffentlich überzeugen, dass

  • Innovation der Schlüssel für ein wettbewerbsfähiges, florierendes Europa ist,
  • wir mehr Europa brauchen, nicht weniger,
  • der Binnenmarkt unser größtes Kapital ist,
  • wir mit der Nabelschau aufhören und
  • endlich anfangen müssen, über unsere Rolle in der Welt nachzudenken.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Konferenz mit fruchtbaren Diskussionen!