Hannover Messe 2024: Keynote von EIB-Vizepräsidentin Nicola Beer auf der Konferenz „In die EU-Industrie investieren“ zum Thema: Wie versorgen wir die Industrie mit grüner, sicherer und bezahlbarer Energie?


Es gilt das gesprochene Wort.


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© Daniel Ax/wingcopter

Meine Damen und Herren,

es ist mir eine Freude, auf der heutigen hochrangig besetzten EU-Konferenz mit Ihnen darüber zu sprechen, wie wir die europäische Industrie mit sauberer, sicherer und bezahlbarer Energie versorgen können.

2023 war das wärmste jemals gemessene Jahr, und die zehn wärmsten Jahre fallen alle in das letzte Jahrzehnt. Damit dürfte uns allen klar sein, dass wir dringend etwas gegen den Klimawandel tun müssen. Vor allem brauchen wir eine neue Dynamik, um Investitionen in den globalen Klimaschutz schneller voranzutreiben. Und wir müssen mit Zuversicht vorgehen, mit einer „Yes we can and will“-Haltung. Laut Weltklimarat ist das laufende Jahrzehnt unser letztes Zeitfenster, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Bis 2030 müssen wir unsere Emissionen um 45 Prozent drosseln, um die Erderwärmung zu verlangsamen. 

Viel zu oft sehen wir nur die Kosten des Klimaschutzes. Und viel zu selten die Kosten, die wir vermeiden, wenn wir die Folgen klimabedingter Wetterextreme wie Hitze und Dürren, gefährliche Stürme und Überschwemmungen begrenzen.  

Erst letzte Woche schätzte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass der Klimawandel die Weltwirtschaft bis 2050 jährlich 38 Billionen US-Dollar kosten wird. Aber wir sollten nicht unterschätzen, was wir in den letzten Jahren bereits erreicht haben. Der Ausbau sauberer Energien hat sich in einem Maße beschleunigt, das bis vor Kurzem undenkbar schien. Sinkende Kosten und stetige Innovation haben das möglich gemacht. Investitionen etwa in Wind- und Solarkraft übersteigen heute bei Weitem die Ausgaben für fossile Energie, und der Abstand wird sich künftig noch vergrößern. Das „rapide, nichtlineare“ Wachstum bei Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen ist ebenfalls beeindruckend und übersteigt auch die verwegensten Schätzungen des vorherigen Jahrzehnts.

Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene weltweite Energie- und Ernährungskrise machen den Klimaschutz und die Dekarbonisierung unserer Energie- und Verkehrssysteme dringender denn je. Nicht nur, um den Planeten zu retten, sondern auch für neue Industrien, die uns wettbewerbsfähiger machen, für unsere strategische Autonomie und für einen gerechten Übergang – ohne fossile Brennstoffe. Mit dem europäischen Grünen Deal und dem Europäischen Klimagesetz haben sich die EU-Staaten bis Mitte des Jahrhunderts einstimmig zu Netto-Null verpflichtet. Und die EU-Kommission (liebe Kerstin Jorna) und die EIB arbeiten eng zusammen, um dies umzusetzen.

Eines ist klar: Öffentliche Mittel allein reichen nicht aus, um die notwendigen Investitionen für die grüne und digitale Wende zu finanzieren. Wir schaffen das nur, wenn wir den „Finanzierungsbedarf“ als „Investition“ verstehen und die Kapitalmärkte beim Finanzierungsmix europäischer Unternehmen eine größere Rolle spielen. Volkswirtschaften mit tieferen Kapitalmärkten generieren mehr Innovationen und mehr Wachstum.

Tiefere Kapitalmärkte bieten auch mehr langfristige Finanzierungen. Wir brauchen Finanzierungen, müssen schneller handeln und sicherstellen, dass niemand zurückbleibt. Das geht nur, wenn wir Europas Position als globalen Finanzplatz stärken, Bürokratie abbauen, für institutionelle und private Investoren attraktiver werden, die Aktienkultur stärken und mehr öffentlich-private Partnerschaften aufbauen, in Europa und weltweit.

Meine Damen und Herren,

die Verhandlungen über die Kapitalmarktunion haben letzten Donnerstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel an Dynamik gewonnen. Das ist wichtig, denn wir brauchen bessere Konditionen für private Geldgeber und Unternehmen in Europa. Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt, bleibt aber weit hinter den USA zurück, wenn es darum geht, privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren. Derzeit fließen jährlich rund 300 Milliarden Euro aus der EU in andere, weniger fragmentierte und steuerlich günstigere Regionen, hauptsächlich in die USA.

Zu diesem Ergebnis kommt der Sonderbericht des früheren italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta. Darin werden die EU-Spitzen aufgefordert, die Mobilisierung von privatem Kapital für Investitionen zur Priorität zu erklären. In Europa mangelt es nicht an privatem Kapital: Allein die privaten Ersparnisse belaufen sich auf 33 Billionen Euro. Wir müssen im großen Stil Finanzierungsmodelle umsetzen, die bereits funktionieren, und neue Lösungen entwickeln, die sich schnell hochskalieren lassen.

In Zukunft spielen multilaterale und nationale Entwicklungsbanken wie die Europäische Investitionsbank eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht,

  • Risiken zu übernehmen, die der Privatsektor nicht schultern will, 
  • Sektoren zu fördern, in denen die wirtschaftliche Rentabilität noch unklar ist, und
  • „geduldiges“ Kapital, wie wir es nennen, in den Markt zu bringen.

In diesen Bereichen ist die EIB-Gruppe als EU-Klimabank sehr aktiv: 

  • 2007 begaben wir die weltweit erste grüne Anleihe, und 2019 beschlossen wir, fossile Brennstoffe künftig nicht mehr zu finanzieren.
  • 2023 erreichten unsere grünen Finanzierungen ein Rekordvolumen von 49 Milliarden Euro.

Das ist mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2019, als die EIB-Gruppe den Weg zur EU-Klimabank einschlug. 

In diesem Jahrzehnt wollen wir eine Billion Euro für grüne Finanzierungen mobilisieren. Eine Überprüfung unseres Klimabank-Fahrplans hat bestätigt, dass wir auf gutem Weg dorthin sind. Doch das ist nicht alles. Wir arbeiten derzeit am Klimabank-Fahrplan 2.0, der unseren Kurs im Zeitraum 2025–2030 vorgibt. Nächstes Jahr auf dem UN-Klimagipfel COP30 stellen wir ihn vor.

Seit nunmehr 66 Jahren setzen wir uns dafür ein, die Lebensbedingungen der Menschen in Europa zu verbessern. Seit einem Jahrzehnt steht ganz klar der Klimaschutz im Mittelpunkt.

Dazu finanzieren wir  

  • Projekte wie Offshore-Windparks, die den Klimawandel bremsen,
  • den Ausbau von Stromnetzen,
  • moderne Regionalzüge,
  • klimafreundliche Gebäude,
  • Projekte für einen gerechten Übergang: Beispielsweise helfen wir der Lausitz beim Ausstieg aus der Kohle,
  • und Vorhaben, die Innovationen voranbringen wie Elektrolyseure für Wasserstoff, Batterietechnologien und Start-ups im Bereich Digitalisierung.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht auch darin, den öffentlichen und den privaten Sektor zusammenzubringen, damit mehr in solche Projekte investiert wird.

Konkret heißt das:

  • Wir unterstützen Unternehmen und Projekte mit Direktdarlehen und Venture Debt.
  • Gleichzeitig bieten wir Darlehen und Hilfe für Banken vor Ort, die Kredite an kleinere Firmen und Projekte vergeben.
  • Mit einer breiten Palette von Beratungsdiensten helfen wir unseren Kunden, Projekte zu entwickeln oder passgenaue Finanzierungen zu finden.
  • Für grüne Projekte haben wir innovative Finanzierungen, die es so am Markt kaum gibt. Und tragen wir mit Zuschüssen und technischer Hilfe zum Projekterfolg bei.

Kleine und mittlere Unternehmen spielen im Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle. Die EIB fördert Hundertausende kleiner Unternehmen. Häufig steht hinter ihren Krediten der Europäische Investitionsfonds (EIF), der in der EIB-Gruppe auf kleine Firmen und Risikokapital spezialisiert ist. Er vergibt Kreditgarantien und investiert in Risikokapitalfonds, die saubere Technologien finanzieren.

Im Bereich Klimaschutz investierte die EIB-Gruppe im letzten Jahr deutlich mehr in erneuerbare Energien und CO2-armen Verkehr. Allein für saubere Energie vergaben wir einen Rekordbetrag von 21,4 Milliarden Euro. Dank der REPowerEU-Initiative, die die EU von russischem Öl und Gas unabhängiger machen soll, können wir in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 45 Milliarden Euro in Form von Darlehen und Eigenkapital für saubere Energie und Produktionskapazitäten für Netto-Null-Technologien und -Produkte bereitstellen.

Ein Beispiel: Letzte Woche haben wir mit dem kommunalen Energieversorger TEAG einen Kredit über 400 Millionen Euro unterzeichnet. Damit soll das Stromnetz im ländlichen Raum Thüringens modernisiert und digitalisiert werden.

Das ist genau die Art von Projekt, die wir lieben. Warum?

  • Es bietet den Menschen in ländlichen Gebieten moderne Netzanschlüsse, die flexibel Wind- und Solarstrom ein- und ausspeisen können.
  • Es garantiert Netzsicherheit für die wachsende E-Mobilität und Wärmepumpen.
  • Es hilft Unternehmen bei der Dekarbonisierung ihres Geschäfts und bei der grünen Wende.
  • Es bietet dem öffentlichen Versorger TEAG die Möglichkeit, seine großen Windenergie-Überschüsse europaweit zu exportieren und seine Verträge mit italienischen und spanischen Stromanbietern zu aktivieren.
  • Es unterstützt den Ausbau der erneuerbaren Energien auf dem europäischen Markt; das macht uns widerstandsfähiger und unabhängiger von Lieferanten außerhalb Europas

Kurz: Solche Projekte lassen die grüne und digitale Wende Realität werden. Hier geht nachhaltiges Wachstum mit neuen Jobs und Wohlstand Hand in Hand mit moderner Infrastruktur und Innovation, die wir brauchen, um Europa zukunftssicher zu machen.

Meine Damen und Herren,

Laut Internationaler Energieagentur brauchen wir für etwa ein Drittel der erforderlichen Emissionssenkungen Technologien, die heute entweder noch nicht verfügbar oder nicht wettbewerbsfähig sind. Deshalb muss die Förderung von Innovationen im Zentrum des Klimaschutzes stehen.

Natürlich stellen wir der Industrie auch direkte Finanzierungen für ihre Investitionen zur Verfügung, vor allem energieintensiven Branchen wie Chemie und Stahl. Auf dem ersten Panel wird Otto Gernandt von H2 Green Steel später sein spannendes Geschäftsmodell vorstellen, das Windkraft und Wasserstoff zur Herstellung von CO2-armem Stahl kombiniert. 

Solche innovativen Lösungen tragen nicht nur zu den Klimazielen bei. Sie machen unsere Volkswirtschaften auch wettbewerbsfähiger, erhöhen die Energiesicherheit, schaffen neue Arbeitsplätze und bieten uns allen gleichzeitig eine bessere, widerstandsfähigere Zukunft.

Vor zwanzig Jahren haben wir dabei geholfen, die Offshore-Windkraft als wettbewerbsfähige, zuverlässige Energiequelle zu etablieren. Jetzt fördern wir bahnbrechende Batterietechnologien, schwimmende Windparks, grünen Wasserstoff und Innovationen in Sektoren, die besonders schwer zu dekarbonisieren sind, wie die Stahlindustrie oder die Schifffahrt.

Meine Damen und Herren,

wir sind stolz, mit unserer Arbeit weiter Innovationen zu unterstützen, die die grüne Wende beschleunigen und unsere Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger machen. Dabei arbeiten wir eng mit der EU-Kommission zusammen.

Ich freue mich auf unsere Gespräche.