Die Investitionen in Europa zeigen sich erstaunlich robust, trotz der Schocks, die in den letzten Jahren die Wirtschaft erschütterten. Öffentliche Unterstützung durch die EU-Institutionen und Staaten während und nach der Pandemie hatte ihren Anteil daran. Sie schob Investitionen an, die notwendig sind für die Transformation und Modernisierung der Wirtschaft. Die Unternehmen haben Fortschritte gemacht in Sachen Digitalisierung, Energieeffizienz, Dekarbonisierung und krisenfeste Lieferketten.
Dennoch steht die europäische Wirtschaft weiter unter Druck. Das Wachstum kam 2023 weitgehend zum Stillstand, und die Wettbewerbsfähigkeit gerät zunehmend in Gefahr. Wir brauchen mehr Tempo beim Wandel, auch wenn es schwerer wird, weiter zu investieren. Nachhaltig wettbewerbsfähig bleiben, heißt für die Europäische Union und ihre Mitglieder: Produktivität steigern, Innovation fördern, Qualifikationslücken schließen, auf neue Technologien setzen und junge, dynamische Firmen nach vorne bringen. Es geht um nicht weniger als die Transformation der Wirtschaft – sie muss digitaler werden und sich von fossilen Energien lösen.
Der Investitionsbedarf ist riesig, und öffentliche Mittel spielen eine wichtige Rolle. Aber auch die öffentlichen Finanzen stehen unter Druck. Deshalb müssen Finanzhilfen künftig gezielter so eingesetzt werden, dass sie private Investitionen anstoßen, die Europa für seine ehrgeizigen Ziele braucht.
Reale Investitionen sind 5 % höher als vor der Coronakrise
Zur gleichen Zeit nach der globalen Finanzkrise waren sie 11 % niedriger.
70 % der EU-Firmen nutzen neue digitale Technologien und konnten damit die Kluft zu den USA verkleinern
Bei der Nutzung von KI und Big Data liegt Europa aber weiter 6 %-Punkte hinter den USA.
90 % der EU-Firmen tun etwas, um ihre CO2-Emissionen zu senken
Aber nur 36 % haben Maßnahmen zur Klimaanpassung ergriffen.
Überraschend robuste Investitionen
Der Doppelschock durch Pandemie und Energiekrise traf die europäische Wirtschaft hart, aber die Investitionen hielten sich stabiler als in früheren Krisen. Ein Grund dafür waren die kräftigen öffentlichen Investitionen. Nach der globalen Finanzkrise sparten die europäischen Staaten massiv bei den Investitionen. Diesmal blieben die öffentlichen Projekte hingegen weitgehend verschont.
Gleichzeitig hatten viele Unternehmen in der Pandemie finanzielle Polster aufgebaut, die Spielraum für Investitionen gaben. Denn öffentliche Hilfen schützten die Wirtschaft vor den schlimmsten Folgen der Coronakrise. Als die Pandemie abflaute, trieb die aufgestaute Nachfrage die Unternehmensgewinne nach oben. Im Unterschied dazu hatten viele Unternehmen vor der globalen Finanzkrise hohe Schulden aufgebaut.
- 80 Prozent der EU-Firmen waren 2023 profitabel – 2 Prozentpunkte mehr als im historischen Durchschnitt
- Unternehmen mit einer Umsatzrendite von mindestens 10 Prozent wollten mit einer um 8 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit mehr investieren als Firmen, die nur knapp die Gewinnzone erreichten
Mit kräftigen Investitionen schafften EU-Firmen den Einstieg in die Transformation. Sie trieben die Digitalisierung voran, steigerten ihre Energieeffizienz und diversifizierten ihre Lieferketten. All das half, als die Energiekrise und Lieferengpässe nach der Pandemie die wirtschaftlichen Bedingungen erschwerten.
- EU-Firmen übernahmen neue digitale Technologien und verkleinerten hier die Kluft von zuvor 11 Prozentpunkten zu den Vereinigten Staaten
- 51 Prozent der befragten EU-Firmen investierten 2023 in ihre Energieeffizienz
- In Reaktion auf Lieferstörungen investierten 20 Prozent der EU-Firmen in eine digitale Bestandsüberwachung und 24 Prozent der Importeure in die Diversifizierung ihrer Lieferketten
Investitionsumfeld wird schwieriger
Insgesamt zeigen sich die Unternehmensinvestitionen in der Europäischen Union weiter robust, aber zwischen den EU-Mitgliedern gibt es große Unterschiede. So lagen in manchen EU-Ländern die realen Unternehmensinvestitionen Anfang 2023 um 5 Prozent oder mehr über dem vorpandemischen Niveau, während sie in anderen stagnierten.
Für die Zukunft gibt es Anzeichen einer Abschwächung, weil hohe Zinsen und das schleppende oder fehlende Wirtschaftswachstum die Unternehmensinvestitionen belasten. Zum Zeitpunkt der EIB-Investitionsumfrage (EIBIS) im Sommer 2023 rechneten viele Firmen für 2024 bereits mit rückläufigen Investitionen. Auch beim Zugang zu externen Finanzierungen waren die Firmen pessimistisch.
Hinzu kommt, dass die Staaten den Gürtel wohl enger schnallen müssen. In der Pandemie setzte die EU die Haushaltsregeln aus und gab den Ländern bei ihren Ausgaben freie Hand. So konnten sie in der Coronakrise die Wirtschaft stützen und später Unternehmen und private Haushalte entlasten, als die Energiepreise nach oben schossen. 2024 sollen die Haushaltsregeln wieder in Kraft gesetzt werden, wenn auch voraussichtlich in veränderter Form. Gut möglich, dass die Staaten dann ihre Haushalte konsolidieren und wie in der Vergangenheit bei Investitionen den Rotstift ansetzen.
- Eine EIB-Analyse früherer Konsolidierungsphasen in 16 OECD-Ländern ergab einen Rückgang der privaten Investitionen um 1 Prozent als Folge einer Haushaltskürzung um 1 Prozent des BIP.
Mit der Aufbau- und Resilienzfazilität ließen sich Investitionen abschirmen. 723 Milliarden Euro stehen aus diesem Topf für die Modernisierung der EU-Wirtschaft und die grüne und digitale Wende bereit. Die Zuschüsse aus der Fazilität entsprechen in etwa den Ausgabenkürzungen, die bei Wiederinkraftsetzen der EU-Haushaltsregeln nötig würden, besonders in südeuropäischen und mittel- und osteuropäischen Ländern. Doch die Umsetzung der geplanten Projekte und Reformen läuft derzeit holprig und die Auszahlung von Zuschüssen entsprechend schleppend.
Auf längere Sicht belasten auch strukturelle Faktoren die Unternehmensinvestitionen, vor allem die Energiekosten, der Fachkräftemangel und die Unsicherheit über die Zukunft. Die Energiekosten sind ein großes Thema. Sie werden von den Unternehmen am häufigsten als Grund für mögliche Abstriche bei den Investitionen genannt.
- 70 Prozent der EU-Firmen mussten 2023 einen Anstieg der Energiepreise um mehr als ein Viertel verkraften, verglichen mit nur 30 Prozent der US-Firmen
Mehr Tempo bei der Digitalisierung erforderlich
Bei grünen Technologien behauptet Europa seine globale Vorreiterrolle. Bei digitalen Innovationen hinkt es jedoch hinterher, und bei den Patenterteilungen läuft die EU Gefahr, von China überholt zu werden.
- Europäische Firmen stellen 18 Prozent der Top 2 500 FuE-Unternehmen weltweit, aber nur 10 Prozent der Neueinsteiger. Dem stehen die Vereinigten Staaten mit 45 Prozent und China mit 32 Prozent gegenüber
- Bei den Patenten auf grüne Technologien liegt die EU noch vorne, aber China holt auf. Schon jetzt erteilen China und die Vereinigten Staaten doppelt so viele Patente für digitale Technologien wie die EU
Auch bei der Einführung neuer Technologien hinken europäische Firmen hinterher. Die EIBIS-Daten belegen, dass in der EU ein geringerer Anteil der Unternehmen in die Entwicklung oder Einführung neuer Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen investiert als in den Vereinigten Staaten (39 Prozent gegenüber 57 Prozent). Die Differenz liegt größtenteils da, wo Unternehmen in die Einführung von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen investieren, die in ihrer Branche schon genutzt werden, für sie selbst aber neu sind.
Europa will mit mehr öffentlicher Unterstützung für Wachstums- und Scale-up-Firmen Innovationen befeuern. Der Markt für Risikokapital ist in der EU im Vergleich zu den Vereinigten Staaten unterentwickelt, und die strafferen Finanzierungsbedingungen erschweren die Lage jetzt zusätzlich. Das trifft vor allem Unternehmen, die ihr Geschäft ausbauen wollen. Trotz starker öffentlicher Unterstützung schränkt die Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte die Ausstiegsmöglichkeiten von Investoren ein. Das macht die Firmen stark abhängig von außereuropäischen Investoren.
- Besonders schwer ist die Finanzierung für reifere Scale-ups, für die in den Vereinigten Staaten sechs- bis achtmal so viel Kapital zur Verfügung steht (in US-Dollar).
Der Markt für Venture Debt ist in Europa noch ganz jung, und auch andere Formen der Wachstumsfinanzierung stecken erst in den Kinderschuhen. Deshalb trifft die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen Scale-ups überproportional hart.
Dekarbonisierung ist ein Knackpunkt
Auf den Energieschock hat die EU-Wirtschaft schnell reagiert und ihre Energieeffizienz verbessert. Aber die tiefere Transformation energieintensiver Branchen braucht Zeit, und das könnte absehbar die Wettbewerbsfähigkeit einiger Branchen belasten.
Die Unternehmen reagierten auf zweierlei Weise auf die hohen Preise: Sie investierten in Energieeffizienz, um ihren Energiebedarf zu senken, und sie gaben die höheren Kosten an ihre Kunden weiter. Bis jedoch geringere Erzeugungskosten für saubere Energie die Strompreise nach unten drücken, kann es 10 bis 15 Jahre dauern. Höhere Investitionen in Energieeffizienz sind eine gute Nachricht, aber die sonstigen Investitionen in Klimaanpassung oder weniger Emissionen leiden unter der Unsicherheit über den politischen Kurs und den strafferen Finanzierungsbedingungen.
Eine Rolle spielt auch, ob Unternehmen die grüne Wende als Chance oder als Risiko begreifen.
Höhere Preise für CO2-Zertifikate, die im Emissionshandelssystem der EU gehandelt werden, befördern Investitionen und Innovationen. Dadurch sinkt die Emissionsintensität der im System erfassten Branchen. Die Analyse von EIBIS-Daten ergab, dass höhere CO2-Preise Firmen dazu bringen, ihre Emissionen zu senken – ohne großen Effekt auf ihr Produktionsvolumen oder den Preis ihrer Produkte.
- Ein Anstieg des CO2-Preises um 1 Prozent bewirkt einen Rückgang der Emissionsintensität um 0,2 Prozent, hat aber nur einen sehr marginalen Effekt auf die Produktionsvolumina und Preise
- Ein Anstieg des CO2-Preises um 1 Prozent bringt einen Zuwachs von 0,1 Prozent bei den Investitionen und von 0,2 Prozent bei den FuE-Ausgaben. Das legt nahe, dass Investitionen und Innovation den Rückgang der Emissionen entscheidend vorantreiben
Nach den Ergebnissen der EIBIS spielen auch öffentliche Mittel eine große Rolle und können besonders in vulnerablen Regionen und Sektoren Klimainvestitionen anschieben. Europäische Firmen investieren eher in die Klimaanpassung, wenn ein höherer Teil von EU-Mitteln in ihrem Land in Anpassungsprojekte fließt. Mit diesen Mitteln hilft die EU auf verschiedenen Wegen bei der Anpassung: über direkte finanzielle Anreize, über die Entwicklung von Standards und Leitlinien oder über Kompetenzaufbau, Wissensaustausch und Forschung.
Es bleibt jedoch eine Kluft zwischen dem Anteil der Firmen, die bereits unter dem Klimawandel leiden, und derer, die in Anpassungsmaßnahmen investieren.