Äthiopien hat ein beeindruckendes Wachstum erzielt und die Armut durch ein staatliches Entwicklungsprogramm verringert. Aber um die anhaltende Arbeitslosigkeit in den Städten zu bekämpfen, muss das Land private Investitionen fördern und kleinen Unternehmen den Zugang zu günstigen Finanzierungen erleichtern.
Die Europäische Investitionsbank hat sich mit dem Global Development Network zusammengetan, um die Entwicklungswirkung von Projekten in Ländern in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean zu untersuchen. Dafür wurde ein neues Schulungs- und Mentoringprogramm für Forscher aus diesen Regionen entwickelt. Die Stipendiaten 2017–2018 werden ein Jahr lang Projekte evaluieren, die die Bank aus ihrem Sonderrahmen für Impact-Finanzierungen (IFE) unterstützt hat. Dies ist der erste aus einer Reihe von Gastartikeln der Forschungsstipendiaten. Erfahren Sie hier mehr über das Programm.
Von Eleni Yitbarek
Arbeitslosigkeit ist in Äthiopien vor allem in Städten ein Problem. Betroffen sind die schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen – Frauen, junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren, arme und schlecht ausgebildete Menschen, die oft langfristig in die Armutsfalle geraten.
Die Mehrheit der städtischen Bevölkerung Äthiopiens verdient ihren Lebensunterhalt in kleinen Unternehmen. Diese können Arbeitsplätze auch für Menschen schaffen, die schlechte Aussichten auf einen Job in einem größeren Betrieb haben. Sie helfen armen und schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen zweifach:
- Sie schaffen Arbeitsplätze und somit Einkommen, und
- sie fördern das Wirtschaftswachstum durch mehr Steuereinnahmen, was wiederum der Armutsbekämpfung dient.
Äthiopien muss genau wie das restliche Afrika kleine Unternehmen fördern. Zwischen 1990 und 2011 befanden sich sechs der weltweit wachstumsstärksten Länder im Afrika südlich der Sahara. Im gleichen Zeitraum gingen die Einkommensungleichheiten und die Armutsquoten deutlich zurück. Trotz dieser beeindruckenden Leistung bleiben Arbeitslosigkeit und Armut die zwei größten Herausforderungen für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika.
Kleinste und kleine Unternehmen schaffen Jobs
Äthiopien ist ein landwirtschaftlich geprägtes Binnenland, das mit einem zweistelligen Wachstum seit der Jahrtausendwende an der Spitze der sechs wachstumsstärksten Länder Afrikas steht. Dennoch ist die Armut allgegenwärtig. Mit einer Bevölkerung von 102 Millionen Menschen ist Äthiopien, gemessen an der Einwohnerzahl, das zweitgrößte Land Afrikas und hat eine der höchsten Armutsquoten. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der internationalen Armutsgrenze (1,25 US-Dollar Kaufkraftparität).
Die wirtschaftliche Entwicklung Äthiopiens wurde weitgehend vom Staat vorangetrieben. Damit ging ein massiver Ausbau der Basisinfrastruktur und Basisdienstleistungen einher. Zwar bilden die Subsistenzlandwirtschaft und ein stark fragmentierter Agrarsektor noch immer das Rückgrat der Wirtschaft. Aber ein hohes Bevölkerungswachstum, fehlende Ackerflächen und eine geringe Produktivität führen dazu, dass der Sektor nicht in der Lage ist, einen großen Teil der Bevölkerung dauerhaft zu beschäftigen. Dadurch wird der nicht-landwirtschaftliche Sektor zur größten Hoffnung, um die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Deshalb ist im mittelfristigen Strategieplan Äthiopiens (Wachstums- und Transformationsplan II) die Entwicklung von kleinsten und kleinen Unternehmen die wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Der Staat bietet kleinen Unternehmen viele Hilfen an, vor allem wenn die Betriebe Frauen und jungen Menschen gehören. Im ganzen Land wurden dazu Servicezentren eingerichtet. Um kleinsten und kleinen Unternehmen bei der Kapitalbeschaffung zu helfen, hat sich der Staat mit Finanzinstituten zusammengetan. Staatliche Garantien sollten eine Kreditvergabe ohne Sicherheiten ermöglichen. Zwischen 2008 und 2015 erhielten 271 519 kleinste und kleine Unternehmen Kredite von Banken und Mikrofinanzinstituten, wie die äthiopische Zentralbank mitteilt.
Die „vernachlässigte“ Mitte in der äthiopischen Wirtschaft
Allerdings ist einem kürzlich vorgelegten Bericht der Weltbank zu entnehmen, dass kleine Unternehmen immer noch deutlich häufiger mit Finanzierungsengpässen als größere Firmen zu kämpfen haben. Der Bericht dokumentiert eine „vernachlässigte Mitte“ im äthiopischen Finanzsektor. Kleine Unternehmen sind zu groß für Kleinkredite von Mikrofinanzinstituten, aber zu klein, um Zugang zu Bankkrediten zu erhalten.
Die Gründe dafür sind vielfältig: hohe Besicherungsanforderungen von Banken, geringe Leistungsfähigkeit von Mikrofinanzinstituten (wegen ihrer Kreditvergabekapazität, der Kredithöhe und des kurzen Kreditzyklus), strenge Finanzmarktregulierung und fehlende tragfähige Geschäftspläne.
Auf Kredite an kleine Unternehmen entfallen in Äthiopien insgesamt nur sieben Prozent des gesamten Kreditvolumens. Damit liegt das Land deutlich unter anderen Entwicklungsländern. Der durchschnittliche Anteil von Krediten an kleine Unternehmen liegt in Nigeria bei 5 Prozent, in Entwicklungsländern durchschnittlich bei 16 Prozent und in Industrieländern bei 22 Prozent.
Das größte Hemmnis in Äthiopien ist somit der begrenzte Zugang zu Krediten. Das trifft besonders auf kleine Start-ups und Unternehmen in der Frühphase zu. Nach den jüngsten Erhebungen werden 68 Prozent der kleinen Unternehmen aus den Ersparnissen ihrer Eigentümer finanziert. Wie sollen sie unter diesen Bedingungen die dringend benötigten Arbeitsplätze für diejenigen schaffen, die sie am dringendsten benötigen – Frauen und junge Menschen?
Investitionen mit sozialer Wirkung
Herkömmliche Finanzierungsquellen (wie Zuschüsse und Kredite von Mikrofinanzinstituten und Banken) werden eine Rolle spielen, sie können aber den Finanzbedarf der kleinen Unternehmen in der „vernachlässigten Mitte“ nicht vollständig decken. Eine Option wäre es, mehr „Impact“-Investoren anzuziehen, die neben einer finanziellen Rendite auch eine ökologische und soziale Wirkung erzielen möchten. Kleine Unternehmen erzielen oft eine hohe soziale Rendite, indem sie Jobs schaffen und Waren und Dienstleistungen für die Verbraucher am unteren Ende der Einkommenspyramide bereitstellen. Sie könnten deswegen ein attraktives Ziel für Investoren sein, denen die soziale Wirkung wichtig ist.
Indem sie die Entwicklung kleiner Unternehmen in den Vordergrund stellte, hat die äthiopische Regierung schon viel erreicht. Aber sie muss auch mehr private Investitionen mobilisieren – vor allem, wenn Äthiopien bis 2025 sein Ziel erreichen will, ein Land mit unterem mittlerem Einkommen zu werden. Um das zu schaffen, muss der Staat gezielte Maßnahmen ergreifen: Er muss die Risiken von Investitionen in Äthiopien mindern, das allgemeine Geschäftsklima für Start-ups und Unternehmen in der Frühphase verbessern und die Rechtsvorschriften für Unternehmen stärken, damit das Land für Investoren attraktiv wird.