Afrika braucht dringend einen neuen Impfstoff gegen Tuberkulose – ein Biomedizinunternehmen arbeitet daran
Tuberkulose ist seit 30 Jahren ein globales Problem. Schätzungsweise ein Viertel der Weltbevölkerung ist infiziert. Betroffen sind vor allem die Entwicklungsländer, wo die Eindämmung an der Armut und instabilen Regierungen scheitert. Doch der Biotechnologiesektor ignoriert das Virus weitgehend.
Nicht so Leander Grode. „Ich befasse mich mit der Todesursache Nummer Eins weltweit und insofern mit der gefährlichsten Infektionskrankheit überhaupt“, erklärt er.
Gegen Tuberkulose werden dringend sicherere und besser wirksame Impfstoffe gebraucht. Den heute gängigsten Impfstoff BCG gibt es seit rund 100 Jahren. Deshalb hat die Europäische Investitionsbank (EIB) im August 2020 mit der Vakzine Projekt Management GmbH (VPM), die Grode leitet, ein Darlehen über 300 Millionen Euro unterzeichnet. Mit dem Geld finanziert das Unternehmen die Spätphasen der klinischen Studien zu seinem neuen Tuberkulose-Impfstoff VPM1002 für Babys.
Wichtig für Afrika und den Kampf gegen HIV
Viele Menschen, die mit BCG geimpft wurden, erkranken trotzdem an Tuberkulose. VPM hofft, dass der neue Impfstoff besser schützt. Das EIB-Darlehen ist Teil eines größeren Finanzierungspakets, aus dem auch 15 Millionen Euro in die Entwicklung eines Medikaments gegen das Aids-Virus HIV fließen. In Afrika ist Tuberkulose die häufigste Krankheit bei HIV-Infizierten.
Seit Anfang 2020 nimmt die EIB gezielt Unternehmen in den Blick, die im Zuge der Pandemie Unterstützung bei der Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen benötigen. Aber sie hat immer auch Projekte zu anderen Infektionskrankheiten gefördert.
„Wir müssen Krankheiten wie Tuberkulose weiter bekämpfen“, mahnt Raffaele Cordiner von der EIB, der an der Finanzierung für VPM mitgearbeitet hat. „Bei Covid-19 haben wir hoffentlich bald das Schlimmste überstanden, aber Tuberkulose gibt es schon seit mindestens 200 000 Jahren.“
Tuberkulose und Covid-19 breiten sich ähnlich aus: Die Erreger werden beim Husten und Niesen durch winzige Tröpfchen übertragen. Wie bei Corona greift das Tuberkulosevirus die Lunge an, aber auch das Gehirn, die Nieren und die Wirbelsäule.
Wer meint, das Coronavirus sei schlau und hinterhältig, sollte erstmal den Tuberkulose-Erreger sehen, warnt VPN-Projektleiterin Sina Brückner, die an dem neuen Impfstoff arbeitet:
„Das Tuberkulosevirus ist nicht nur clever, sondern auch noch extrem gut an den Menschen angepasst“, so Brückner. „Es ist sehr schwer zu bekämpfen und kann viele gesundheitliche Probleme verursachen. Die Kranken können nichts essen und magern stark ab. Im Vergleich zum Coronavirus ist die Tuberkulose viel schwieriger zu bekämpfen. Das ist eine ganz andere Nummer.“
Mehr Geld für einen Tuberkulose-Impfstoff für Entwicklungsländer
Für die Entwicklung neuer Impfstoffe gegen Tuberkulose fehlt vor allem Geld. Da die Vakzine hauptsächlich in Entwicklungsländern gebraucht werden, sind sie für Pharmaunternehmen nicht so lukrativ wie etwa Krebsmedikamente.
Kreditreferent Cordiner von der EIB sieht einen großen Bedarf für Finanzierungen aus EU-Geldern, um Unternehmen wie VPM zu helfen. Durch spezielle Mandatsvereinbarungen hat die Bank der EU mehr Mittel und Möglichkeiten, risikoreichere Forschung oder unerprobte Technologien zu fördern. Der EIB-Kredit für den Tuberkulose-Impfstoff stammt aus dem sogenannten Impact Financing Envelope. Das sind Gelder, die die EU-Länder für Entwicklungsprojekte in ärmeren Regionen Afrikas bereitstellen. Weil das Darlehen als Risikokapital vergeben wurde, wird es abhängig vom Erfolg der klinischen Studien und der Markteinführung des Medikaments zurückgezahlt. Floppt der Impfstoff, kann das Darlehen abgeschrieben werden.
Anna Lynch, Expertin für Biowissenschaften bei der Bank, ist überzeugt: „Es ist wirklich wichtig, dass wir solche Projekte machen. Bei der klinischen Forschung zu Infektionskrankheiten besteht eine echte Finanzierungslücke, und in die Bekämpfung hochgefährlicher Erreger wird allzu oft erst reaktiv investiert. Wir hoffen, dass sich die Geldgeber in Zukunft aktiv an der globalen Krankheitslast orientieren.“
Die Vakzine Projekt Management GmbH ist eine Tochtergesellschaft des Serum Institute of India, dem größten Impfstoffhersteller der Welt. Das Unternehmen wurde von Cyrus Poonawalla gegründet, der nach eigenen Worten Medikamente für Entwicklungsländer erschwinglich machen und so viele Menschen wie möglich impfen will.
„Das Serum Institute ist bemerkenswert“, meint Cristina Niculescu, ebenfalls Expertin für Biowissenschaften bei der Europäischen Investitionsbank. „Das sind echte Philanthropen, die Impfstoffe bezahlbar machen wollen.“
Das neue Medikament von VPM soll vor allem Ländern südlich der Sahara zugutekommen, in denen viele Tuberkulose-Fälle auftreten. Die klinischen Studien sind in Uganda, Gabun, Kenia, Tansania und Lesotho geplant.
VPM-Geschäftsführer Grode ist für die Impfstoffforschung gegen Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten nun zuversichtlicher – zum Teil auch wegen Corona:
„Covid-19 hat alles verändert. Inzwischen wird klar, dass wir es uns nicht mehr leisten können, erst dann Medikamente zu entwickeln, wenn eine Krankheit schon ausgebrochen ist. In Zukunft brauchen wir bessere Impfstoffe.“