Ohne Pflanzenschutz ginge mehr als die Hälfte aller Nutzpflanzen weltweit verloren. Mit alternativen Pestiziden kann die Landwirtschaft mehr produzieren – und die Umwelt schützen
Ohne Pflanzenschutz ginge mehr als die Hälfte aller Nutzpflanzen weltweit durch Insekten, Krankheiten und Unkraut verloren. Mit ihrer Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden fördert die EU einen integrierten Pflanzenschutz und alternative Methoden der Schädlingsbekämpfung. Die Produktivität soll mit möglichst wenig synthetischen Pestiziden und Düngemitteln gesichert werden.
Die Landwirtschaft ist für jede wirksame Alternative zu den chemischen Keulen dankbar. Zum Beispiel für die von CHR Hansen. Das dänische Unternehmen entwickelt biologische Pflanzenschutzmittel und Stimulanzien, die die natürliche Abwehrkraft von Pflanzen anregen. Sie stärken das Wurzelsystem, sodass Nutzpflanzen dem Stress durch äußere Faktoren wie Trockenheit oder Schädlinge besser standhalten. Die Behandlung mit diesen Produkten steigert die Ernteerträge um bis zu zehn Prozent. „Wir verwenden gute Bakterien statt Chemikalien“, erzählt Camilla Lercke, die bei Hansen für die Medienarbeit zuständig ist. „Damit wird der chemische Fußabdruck des landwirtschaftlichen Ökosystems im Boden und Grundwasser kleiner.“
Biologische Pflanzenschutzmittel gibt es erst seit gut fünf Jahren. Sie könnten die Landwirtschaft revolutionieren: nicht nur, weil weniger Chemikalien nötig sind, sondern auch, weil weniger Lebensmittel verschwendet werden – und dadurch weniger Treibhausgas-Emissionen im Agrarsektor entstehen. CHR Hansen setzt seinen Kulturen „gute Bakterien“ zu, die Milchprodukte länger frisch halten. So landen bis zu 30 Prozent weniger Joghurts im Müll. Auch die Haltbarkeit von Salat, wo die Wegwerfquote bis zu 70 Prozent erreicht, verlängern die Bakterien des Unternehmens um fünf Tage.
CHR Hansen entwickelt biologische Lösungen für Zuckerrohr, Getreide und Sojabohnen, aber auch für die Wein- und Bierindustrie. Außerdem stellt das Unternehmen Futterzusätze mit guten Bakterien und Probiotika für eine bessere Tiergesundheit her. „Wie Joghurts fördern Probiotika bei Tieren einen gesünderen Darmtrakt“, erklärt Lercke. „Das stärkt die natürliche Darmfunktion, und es müssen nicht mehr so viele Antibiotika gegeben werden.“
Gefragte Innovation
Der Druck auf die Landwirtschaft ist groß: Sie soll ständig mehr und gesünder produzieren und dabei möglichst wenig die Umwelt belasten. Im Jahr 2050 dürften 9,8 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um sie alle zu ernähren, muss die Lebensmittelproduktion um mindestens 30 Prozent steigen. Einerseits müssen wir also die letzten natürlichen Ressourcen der Erde erhalten, andererseits genügend gute und bezahlbare Nahrungsmittel für alle produzieren – keine leichte Aufgabe.
Die Landwirtschaft setzt deshalb auf Innovation. Fortschritte bei Pflanzenzucht, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden haben uns eine stabile und zuverlässige Lebensmittelproduktion ermöglicht. Jetzt hofft der Sektor auf Synergien mit vorhandenen Systemen der Natur, biologische Pflanzenschutzmittel und gesündere Pflanzen.
Zudem entwickelt die Agrarforschung digitale Plattformen, die Bauern die besten Preise für Futter, Dünger und Geräte heraussuchen oder ihnen zeigen, wie man die Emissionen des Hofs in sauberes Biogas verwandelt oder aus der Milch grasgefütterter Kühe Mozzarella herstellt. Die EIB gab CHR Hansen 2019 einen Kredit über 120 Millionen Euro für seine Forschung und Entwicklung. Viele andere Unternehmen arbeiten unterdessen mit Hochdruck daran, innovative Ideen in erfolgreiche neue Produkte zu verwandeln.
Die digitale Genossenschaft
In Frankreich und den meisten anderen Ländern Westeuropas verkauften Bauern traditionell ihre Ernte an die örtliche Genossenschaft. Diese wiederum verkaufte ihnen Dünger, Saatgut oder Pflanzenschutzmittel. Handelsvertreter nahmen die Aufträge der Bauern entgegen, und die Waren wurden ins nächstgelegene Getreidesilo geliefert. Oft waren an die Silos Auslieferungslager angeschlossen – sie waren der Mittelpunkt des örtlichen bäuerlichen Lebens.
Mit der Zeit schlossen sich die Genossenschaften zusammen und wurden größer. Damit verloren sie an Flexibilität und Effizienz und waren immer weniger in der Lage, auf die Anforderungen der Bauern einzugehen. Die neue Generation der Bäuerinnen und Bauern ist digitalaffiner und dem Genossenschaftswesen nicht mehr so verbunden. Sie suchen Alternativen – und finden sie oft auf einem digitalen Marktplatz.
„Bäuerinnen und Bauern sind heutzutage extrem digitalisiert“, erzählt Antoine Pajot, Ingenieur für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung bei der EIB. „Alle haben ein Smartphone und wollen Sofortzugriff auf die jeweils günstigsten Preise.“
Die InVivo-Gruppe ist eine der größten Genossenschaften Frankreichs. Sie arbeitet an einer eigenen digitalen Plattform, auf der Bauern online Produkte und Material kaufen und kundenfreundlich Preise vergleichen können. Die meisten ihrer Mitglieder werden Zugang zu der Plattform haben. Die Genossenschaft will damit ihren Marktanteil gegen große Technologieunternehmen wie Amazon und Alibaba verteidigen, die in anderen Teilen der Welt langsam, aber sicher in den landwirtschaftlichen Zuliefermarkt vordringen. Ebenso wie gegen digitale Start-up-Plattformen wie Agrileader oder Agriconomie, die die Dominanz der Genossenschaften herausfordern.
Die Europäische Investitionsbank unterstützt InVivo mit 37,5 Millionen Euro für zwei 75 Millionen Euro teure Projekte: die digitale Plattform Aladin.farm und eine Agrarmanagement-Software. Möglich macht dies eine Garantie des Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Der große Vorteil der Aladin-Plattform ist das Vertriebsnetz: Alle Bauernhöfe der Genossenschaft liegen weniger als zehn Kilometer von einem InVivo-Lager entfernt. Hinzu kommen die engen Beziehungen zu den Bauern, die Beratungskompetenz der Genossenschaft und dass Aladin den Mitgliedern maßgeschneiderte Angebote unterbreiten kann. Laut Pajot verfolgt InVivo die Strategie, „die Bauern bei der Digitalisierung zu begleiten, den eigenen Marktanteil zu sichern und neue digitale Dienste wie Blogs oder Beratung anzubieten.“
SMAG, die digitale Tochtergesellschaft von InVivo, bietet die cloudbasierten Softwarelösungen Agreo und Atland. Sie liefern Daten zum Wachstum von Nutzpflanzen, zu Tierzucht und Weinproduktion, behördlichen Auflagen und Umweltstandards. Das Projekt SMAG soll die IT-Mobilität der Software verbessern sowie Data-Mining und die Datenauswertung unterstützen. Damit hilft es Bäuerinnen und Bauern, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Die InVivo-Projekte sind Teil der dritten Grünen Revolution: Hochmoderne Technologien wie künstliche Intelligenz, Robotik, Blockchain und Hochleistungs-Computing geben der Landwirtschaft ein neues Gesicht und verbessern ihre Effizienz und Nachhaltigkeit radikal. Von besonderer Bedeutung ist diese Revolution für die europäische Landwirtschaft, einen der führenden Nahrungsmittelproduzenten der Welt und wichtigen Arbeitgeber.
Sinkende Emissionen, steigende Einnahmen
Europas Bauern stehen in einem gnadenlosen internationalen Wettbewerb. Auch der Klimawandel und niedrigere direkte Beihilfen in Europa setzen ihnen zu. Sie halten dagegen mit neuen, margenstärkeren Produkten oder Nebeneinnahmequellen fernab vom bäuerlichen Gewerbe, mit denen sie ihr Einkommen aufbessern.
„Für jede Bäuerin und jeden Bauern ist das eine ständige Sorge: Wie sichere oder erhöhe ich durch Diversifizierung mein Einkommen?“, erklärt Sébastien Collot, Experte für Bioökonomie bei der EIB. „Wir müssen weg vom jetzigen Modell der Massenproduktion, hin zu mehr Nachhaltigkeit.“
Eine alternative Einnahmequelle ist Biogas. Biogasanlagen erzeugen Biomethan durch Vergärung von organischen Abfällen wie Festmist und Gülle, Pflanzen, Lebensmittelresten oder sogar Abwasser. Der zurückbleibende Gärrest wird als Dünger verwendet. Biomethan ist ein sauberer Energieträger, der in das Stromnetz eingespeist oder auf dem Hof für Obst- und Gemüse-Gewächshäuser eingesetzt werden kann. Biogasanlagen senken die CO2-Emissionen, sichern die Energieversorgung, stützen das landwirtschaftliche Einkommen, fördern die regionale und ländliche Entwicklung und schaffen Arbeitsplätze. Auch die Höfe selbst kompensieren damit ihre Emissionen. In Europa ist die Landwirtschaft für 9,58 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.
Aber: Biogasanlagen sind teuer. Der Bau einer Anlage kann zwischen zwei und zehn Millionen Euro kosten. Die meisten Anlagen gehören denn auch Aktiengesellschaften, an denen mehrere Höfe beteiligt sind. Für Bauern sind Investitionen dieser Größenordnung besonders riskant. „Wir haben es hier mit Investitionen zu tun, die dem Wert eines Hofs entsprechen oder ihn sogar übersteigen“, erklärt Collot. Biogasanlagen müssen auch ständig überwacht werden und sind mit einem operationellen Risiko verbunden. „Die biologischen und chemischen Prozesse in einer Biogasanlage müssen rund um die Uhr kontrolliert werden.“
Die Europäische Investitionsbank will Bäuerinnen und Bauern, die Biogas- oder andere Klimaschutzprojekte wie Solarmodule anpacken, unter die Arme greifen. Deshalb unterstützt die EIB zwei Kreditprogramme der französischen Bank Crédit Agricole: ein75-Millionen-Euro-Programm für Bäuerinnen und Bauern unter 41 Jahren und ein 200-Millionen-Euro-Programm für Klimaschutz- und Bioökonomieprojekte.
Geschmeidiger Mozzarella
Die Milch glücklicher irischer Kühe wird zum Exportschlager.
Die irische Milchgenossenschaft Carbery mit über 1 200 Mitgliedern ist der größte Naturcheddar-Hersteller des Landes. Da sie mehr als 60 Prozent des Käses nach Großbritannien exportiert, zwang der bevorstehende Brexit sie zum Umdenken. Das Unternehmen beschloss, sein Käsesortiment zu erweitern und den asiatischen Markt mit Pizza-Mozzarella für die Gastronomie zu beliefern. Ein Kredit über 35 Millionen Euro, den die EIB 2019 vergab, half dabei.
„Kaum ein Käsemarkt wächst weltweit so schnell wie der für Mozzarella“, erzählt Ray O‘Connell, der für das Controlling und Treasury-Management der Carbery-Gruppe verantwortlich ist. „Wir haben mehrere Alternativen gründlich geprüft und uns schließlich für Mozzarella entschieden.“
Für den chinesischen Markt muss sich der Käse ziehen lassen, und zwar mindestens um 50 Zentimeter. Es gibt dort sogar Wettkämpfe, „und wer den Mozzarella am längsten gezogen hat, feiert das in den sozialen Medien“, so O‘Connell. Bei der Entwicklung seines Mozzarellas hat Carbery deshalb auf diese Ziehfähigkeit geachtet.
Und auf Nachhaltigkeit. „Unsere Bauern sind sehr umweltbewusst und legen großen Wert auf Nachhaltigkeit – ökologisch und finanziell“, erklärt O‘Connell. „Carbery arbeitet zusammen mit seinen Mitgliedern ständig an Best-Practice-Methoden, mit denen wir unsere CO2-Bilanz weiter verbessern können.“
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