Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben ist der langfristige Wiederaufbau in vollem Gange. Wir sprachen mit dem ecuadorianischen Team, das dies ermöglicht hat.

Luciano Dorigo war gerade mit drei Freunden an einer Tankstelle in Portoviejo, als plötzlich die Erde zu beben begann und die Gebäude gewaltig wackelten. „Wir stiegen sofort aus dem Auto und krochen in den nächstgelegenen Unterschlupf“, erinnert er sich. Das Erdbeben dauerte eine nicht enden wollende Minute. Als es vorbei war, schüttelte Luciano den Staub von sich ab. Wie durch ein Wunder waren seine Freunde und er noch am Leben.

Doch nicht jeder hatte so viel Glück. Das Erdbeben mit einer Stärke von 7,8 tötete am 16. April 2016 mehr als 670 Menschen und zerstörte die Lebensgrundlage tausender Menschen in Ecuador. Portoviejo, die Hauptstadt der Provinz Manabi, wurde besonders stark getroffen. „Meine Region liegt mir sehr am Herzen“, so Dorigo, der in Manabi geboren und aufgewachsen ist. Er arbeitet als Ingenieur für das Unternehmen Ecuador Estrategico, das vom ecuadorianischen Finanzministerium mit dem Wiederaufbau beauftragt wurde.

Das Land benötigt Know-how und Kapital, um seine Wirtschaft wieder anzukurbeln und den Menschen nach der Katastrophe eine neue Lebensgrundlage zu geben. Beides wird von der Europäischen Investitionsbank (EIB) bereitgestellt. „Zunächst einmal muss man die Herausforderungen verstehen, die sich beim Wiederaufbau nach einer Katastrophe auftun. Ebenso wichtig ist es, die richtigen Werkzeuge zu finden, um sie zu bewältigen“, sagt EIB-Ingenieur Fernando Camano, der die Finanzierung mit vorbereitete.

Ein erfahrenes Team der EIB war nur wenige Tage nach dem Erdbeben vor Ort.

Wiederaufbauen und gleichzeitig verbessern

Die Stadt Portoviejo mit ihren 300 000 Einwohnern wurde von dem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen. Dies gilt vor allem für den Innenstadtbereich, der gleichzeitig das wirtschaftliche Zentrum der Stadt bildet. „Wir wollen Ordnung in das städtische Chaos bringen. Portoviejo hat nun die Chance, sich neu zu erfinden und in Zukunft widerstandsfähiger zu sein“, so Patricia Cobos, Ökonomin im ecuadorianischen Finanzministerium, die den Wiederaufbau mitplant. 

Das Wiederaufbauprogramm für die Provinz Manabi wird vollständig durch ein Rahmendarlehen der EIB finanziert, das für mehrere Sektoren bestimmt ist. Das Programm wird in zwei Phasen durchgeführt:

  • Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur wie etwa Schulen, Krankenhäuser und Straßen, und die Reparatur von Wasser- und Stromversorgungsanlagen,
  • Verbesserung der städtischen Flächen, z. B. sollen Erdkabel verlegt, der Abfall recycelt und soziale und inklusive Stadtviertel geschaffen werden.

Im November 2016 unterzeichnete die Bank ein Darlehen über 175 Millionen US-Dollar für den zweiphasigen Wiederaufbau. Die Europäische Kommission stellt darüber hinaus einen Zuschuss von sieben Millionen Euro aus ihrer Investitionsfazilität für Lateinamerika bereit.

„Durch die Sanierung und Verbesserung der öffentlichen Flächen können qualitativ hochwertige Dienstleistungen angeboten und der Handel und der Tourismus in der Stadt wiederbelebt werden.“, erklärt Dorigo. „Das erweckt die Stadt zu neuem Leben.“

Fußgänger haben im neugestalteten Zentrum Portoviejos Vorrang und bald auch eine Menge Platz. Künftig können sie sich auf 2,4  – statt bisher 1,2  – Hektar zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegen. Deshalb steht Autofahrern in Zukunft nur noch halb so viel Platz zur Verfügung. Die Stadt wird dadurch sauberer und grüner. Im Stadtkern sollen zudem künftig sechsmal so viele Bäume stehen wie bisher. Auf jeden Einwohner werden damit rund 16 Quadratmeter Grünfläche entfallen.

„Wir gehen davon aus, dass 6 000 Menschen direkt und weitere 228 000 Menschen indirekt von dem Projekt profitieren werden“, sagt Cobos. „Das ist ganz schön beeindruckend.“

Innovatives Training

Camano hat weltweit schon des Öfteren an Wiederaufbaumaßnahmen nach Katastrophen mitgewirkt. Die Bank hat sehr viel Erfahrung mit Operationen, die auf den Katastrophenschutz und den Wiederaufbau nach Konflikten oder Naturkatastrophen abzielen: In den vergangenen 15 Jahren hat sie 78 Projekte unterstützt.

In der Europäischen Union geht es dabei in der Regel um die Behebung von Überschwemmungs- und Sturmschäden, manchmal auch um Katastrophen wie Erdbeben, Ölteppiche und Waldbrände. Außerhalb der EU entfällt etwa die Hälfte der Darlehen, die die Bank nach Katastrophen vergibt, auf die Erdbebenprävention und den Wiederaufbau nach Erdbeben. Die restlichen Finanzierungen dienen der Behebung von Überschwemmungs- und Sturmschäden und der Prävention von Waldbränden.

Eine gute Abstimmung bei der Bedarfsermittlung und bei der Durchführung der Maßnahmen ist für den langfristigen Wiederaufbau unerlässlich. Camano weiß dies nur zu gut. Vom ihm stammt auch die innovative Idee, die Projektleiter zu schulen. Zum ersten Mal gaben gleich 15 Experten der EIB ihr gesammeltes Wissen in einer intensiven Schulung weiter. Nach diesen erfolgreichen Erfahrungen wird bei anderen Projekten innerhalb und außerhalb Europas künftig bestimmt genauso verfahren.

„Wir wollten zu den wichtigsten Aspekten praktisches Wissen vermitteln und das möglichst effizient“, sagt er. „Da das gesamte Durchführungsteam anwesend war, konnten wir die größtmögliche Wirkung erzielen.“


Am Sitz der EIB: Das Team von Ecuador Estrategico, Patricia Cobos (Mitte) vom Finanzministerium und Fernando Camano (rechts) von der EIB

Am Sitz der EIB: Das Team von Ecuador Estrategico, Patricia Cobos (Mitte) vom Finanzministerium und Fernando Camano (rechts) von der EIB

„Die Europäische Investitionsbank lud uns zu einer Schulung in ihren Sitz in Luxemburg ein. Dort zeigten uns die Experten der Bank, wie das Projekt am besten gemeinsam angepackt werden könnte“, erzählt Cobos. „In nur einer Woche haben wir enorm viel gelernt. Außerdem ist es schön, die Leute, mit denen man zu tun hat, persönlich kennen zu lernen. Man fühlt sich einbezogen und rundum gut betreut.“