Das österreichische Start-up wirkt. engagiert sich mit einem internen Beratungsteam im Rücken für interkulturelle Bildung und Integration
Zwei Jahre lang unterrichteten Nina Poxleitner, Julian Richter und Lisa-Maria Sommer-Fein an öffentlichen Schulen in der Wiener Innenstadt, wo viele Kinder aus eingewanderten Familien stammen.
Die drei waren über Teach for Austria an die Schulen gekommen – ein Programm für junge Leute aus der Wirtschaft, die abseits typischer Karrierepfade Erfahrung sammeln wollen. Das öffnete ihnen die Augen für die Schwierigkeiten von Menschen, die sich in einer neuen Heimat, Sprache und Kultur zurechtfinden müssen. Und es prägte ihren weiteren Weg – die Entscheidung für eine Arbeit, die anderen hilft, im Leben voranzukommen.
„In den zwei Jahren mit den Kindern habe ich erkannt, dass jeder von uns etwas bewirken kann, wenn wir es nur anpacken“, sagt Richter.
Poxleitner erinnert sich noch gut: „Wie viele in meiner Generation wollte ich etwas Sinnvolles tun. Der Job, den ich hatte, frustrierte mich. Als Lehrerin wollte ich eigentlich nie arbeiten. Was mich am Ende reizte, war eher, dass es anderen etwas brachte. Im Nachhinein war das eine der besten Entscheidungen meines Lebens.“
Die drei wurden Freunde und entdeckten den gemeinsamen Wunsch, anderen zu helfen. Vor sechs Jahren, als ihre Zeit an der Schule vorbei war, gründeten sie ihr erstes Sozialunternehmen. Mittlerweile sind es schon vier, und dabei wollen sie es nicht belassen.
„Am Anfang wollten wir einfach loslegen und dachten: ‚Vielleicht können wir in der Gesellschaft etwas anstoßen und dann wird mehr daraus, als wir einzeln erreichen können‘“, erzählt Richter.
2016 gründeten die drei in der Zeit der Flüchtlingskrise MTOP. Die Abkürzung steht für More Than One Perspective, ein Sozialunternehmen, das ausgebildeten Flüchtlingen den Weg in den österreichischen Arbeitsmarkt erleichtert und Vorurteile ausräumt. MTOP arbeitet als eine Art Arbeitsagentur und wird von Unternehmen für die Vermittlung passender Arbeitskräfte bezahlt.
Die österreichischen Unternehmen profitieren von den vielfältigen Fähigkeiten und Erfahrungen der Flüchtlinge. Die wiederum erhalten Coaching und Hilfe, sodass sie leichter einen Job finden und sich im neuen Umfeld bewähren.
MTOP gehörte 2017 zu den Finalisten des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Mit diesem Wettbewerb fördert das EIB-Institut Lösungen für Sozial- und Umweltprobleme.
Größere Ziele im Visier
Poxleitner, Richter und Sommer-Fein freuten sich über den Erfolg von MTOP, richteten ihren Blick aber weiter nach vorne.
Mit der Erfahrung aus der Schule und der Integration von Flüchtlingen und Eingewanderten gründeten sie drei weitere Organisationen, die sie als Impact Ventures bezeichnen: die Culture School, den Learning Circle und Lana. Erstere ist aus den Erfahrungen an der Schule geboren.
„Wir haben viel gelernt bei der Arbeit an der Schule und mit Menschen, die neu in Österreich sind. Das haben wir verbunden und uns gefragt: ‚Wie würde Schule aussehen, wenn wir all das Gelernte einfließen lassen?‘“
Das Ergebnis war die Culture School. Sie begleitet Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern oder Betreuungspersonen ein Jahr lang mit Workshops und Hilfsangeboten wie Übersetzungen. Das von Österreich und der Europäischen Union gemeinsam finanzierte Programm vermittelt: Vielfalt ist wertvoll; sie hilft, kulturübergreifend eine Gemeinschaft zu bilden.
Der Learning Circle war ursprünglich für Schülerinnen und Schüler gedacht, die besondere Unterstützung brauchen und im Corona-Lockdown von der Schule abgeschnitten waren. Weil der Bedarf da ist, läuft das Programm aber weiter. Per Video begleiten Tutorinnen und Tutoren Kinder, die zusätzliche Hilfe benötigen. In den wöchentlichen Einheiten über 90 Minuten verstehen sie sich als Mentoren und helfen beim Lernen.
Ziel ist, die Schule zu bewältigen und persönliche Stärken zu entwickeln. Die Familien bezahlen, so viel sie können.
Lana ist arabisch und heißt „für uns“. Es ist auch der Name einer interkulturellen Hilfsgruppe für Frauen, die den Austausch und das Verständnis zwischen einheimischen und neu zugewanderten Frauen fördert.
Der nächste Schritt
Vor zwei Jahren erkannten die drei jungen Leute, dass sie immer wieder passende Sozialunternehmen für neue Probleme gründen könnten, und schufen dafür die gemeinnützige Dachorganisation wirkt.
Auf dem Foto sind alle, die bei wirkt. mitarbeiten. Drei bis vier Leute kümmern sich jeweils um ein Projekt.
Jedes Impact Venture wird also von einem eigenen Team betreut und kann das Social Innovation Studio von wirkt. nutzen – laut Poxleitner eine Art interne Beratung, die auf das Know-how und die Ressourcen der gesamten Organisation zugreift.
„Das Social Innovation Studio bietet Tools, Coaching, Wirkungsmessung, Geld für Werbung, Marketing und so weiter“, sagt sie. „Praktisch alles, was es bei Großunternehmen gibt, normalerweise aber nicht bei Sozialunternehmen.“
Und schließlich richtete wirkt. auch noch ein Ideation Lab ein. Es soll die Erfahrung aus der Arbeit an Lösungen für gesellschaftliche Probleme nutzen, um neue Impact Ventures für konkrete Probleme zu konzipieren. Im kommenden Herbst startet die erste Runde.
„Beim ersten Ideation Lab geht es um Bildung“, sagt Richter. „Wir konzentrieren uns auf ein Problem, das jetzt gelöst werden muss. Und dann beziehen wir alle ein, die zu dem Thema etwas zu sagen haben: Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern und andere. Wir wollen einen Wettbewerb um neue Lösungen – keine Lösungen, für die es schon Angebote gibt.“
Richter und seine Mitgründerinnen von wirkt. würden damit gern ein Modell schaffen, an dem sich andere orientieren können, die auch etwas bewegen wollen.
„Ich würde mir wünschen, dass Studierende die Arbeit in Sozialunternehmen als Beruf in Betracht ziehen“, so Poxleitner. „Dass solche Unternehmen aus der Nische herauskommen und zu einer echten Option werden.“