Veränderungen sind schwierig, aber möglich – das haben wir 2019 gelernt. Große Organisationen können sich wandeln und auf eine neue Realität einstellen.
Von Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank
Im April war ich auf einer gut besuchten Veranstaltung des Instituts für Europäische Politik in Berlin, um junge Menschen für die Europawahl zu begeistern. „Sehen Sie“, sagte ich zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „junge Menschen lassen sich sehr wohl für eine gute Sache mobilisieren.“ Er erwiderte darauf: „Das stimmt. Aber die Jugend mobilisiert auch uns, und das ist noch viel wichtiger.“
Er hat recht. Hunderttausende junger Leute haben uns 2019 bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen gedrängt, die Menschheit vor der Klimakatastrophe zu bewahren.
Die Europäische Investitionsbank zählt als größte multilaterale Bank der Welt seit Langem zu den wichtigsten Geldgebern für den Klimaschutz. Trotzdem mussten wir die Sache neu angehen, um mehr zu bewirken. Darauf möchte ich gerne näher eingehen, denn im Kampf gegen den Klimawandel müssen wir uns alle ändern. Institutionen, Unternehmen, Privathaushalte – alle müssen neue Wege beschreiten. Nach unseren Erfahrungen im letzten Jahr kann ich sagen: Veränderungen sind oft schwierig. Sie sind aber unvermeidlich und auch möglich.
Was haben wir verändert?
Wir haben beschlossen, künftig 50 Prozent unserer Finanzierungen für den Klimaschutz bereitzustellen, und wollen damit bis 2030 Investitionen von einer Billion Euro in Klimaprojekte anstoßen. Außerdem werden wir alle unsere Aktivitäten an den Zielen des Pariser Abkommens ausrichten. Nicht zuletzt haben wir ehrgeizige neue Leitlinien für Energiefinanzierungen beschlossen. Danach werden wir keine Projekte mehr finanzieren, die ausschließlich auf fossilen Brennstoffen beruhen. Stattdessen konzentrieren wir uns voll und ganz auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien und andere innovative Projekte, die helfen, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten.
Was hat uns dazu bewegt? Wir finanzieren „Vorhaben von gemeinsamem Interesse für mehrere Mitgliedstaaten, die wegen ihres Umfangs oder ihrer Art“ nicht effizient von einzelnen Ländern allein zu stemmen sind – das ist seit mehr als 60 Jahren unser Auftrag. Auf den Klimaschutz trifft dies eindeutig zu. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um Treibhausgase da zu mindern, wo sie entstehen, und Infrastruktur dort anzupassen, wo sie am stärksten vom Klimawandel bedroht ist. Verschmutzungen an einem Ort können anderswo katastrophale Auswirkungen haben. Gleichzeitig haben viele etwas davon, wenn wir den Klimawandel bekämpfen.
Mit unseren Plänen brachen wir eine heftige Debatte vom Zaun. Wir erhielten fast 150 Schreiben von besorgten Organisationen und Privatpersonen. Dazu Petitionen mit mehr als 30 000 Unterschriften, die unsere neuen Energiefinanzierungsleitlinien betrafen. Vor unserem Gebäude wurde demonstriert. Gleichzeitig mussten wir einsehen, dass die Ausgangslage in manchen Ländern ganz anders ist – auch in einigen EU-Ländern, die unsere Anteilseigner sind. Für manche Länder wären Investitionen in Erdgas bereits ein Schritt in die richtige Richtung, weg von der noch viel schmutzigeren Kohle. Andere müssen so dringend in öffentliche Dienstleistungen investieren, dass der Umstieg auf neue Energiequellen für die Bevölkerung einfach keine Priorität hat. In manchen Ländern bedeutet der Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Brennstoffe früher oder später das Ende für eine Industrie, die vielen Menschen Arbeit gegeben und ganze Regionen wirtschaftlich am Laufen gehalten hat. In diesen Ländern müssen wir einen fairen Übergang gewährleisten, damit niemand zurückbleibt.
Wertlose Investitionen vermeiden
Uns wurde also vor Augen geführt, dass Veränderungen nie einfach sind. Aber irgendwo mussten wir die Grenze ziehen. Bei unseren Investitionen denken wir langfristig. Ein Kohlekraftwerk in Westberlin, das wir 1960 finanzierten, ist heute noch in Betrieb. Deswegen müssen wir sehr genau darauf achten, wie sich unsere heutigen Investitionen in der Zukunft auswirken. Da haben wir eine Verantwortung gegenüber der Umwelt und gegenüber unseren Investoren. Was wir heute finanzieren, sollte sich nicht in zehn Jahren als wertlos erweisen.
Wir haben also festgelegt, was wir nicht finanzieren. Aber wir sagen auch, was wir tun werden. Wir fördern den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft und weniger Treibhausgasen, wir bringen Innovationen voran und wir helfen Millionen Menschen in Europa aus der Energiearmut. Aber halb grün, das geht nicht. Wir müssen das Klima bei allem berücksichtigen, was wir tun. Deswegen wollen wir ab spätestens Ende 2020 alle unsere Aktivitäten an den Zielen des Pariser Klimaabkommens ausrichten. Wir werden Projekte in Regionen finanzieren, in denen Arbeitsplätze und öffentliche Dienstleistungen derzeit am meisten von fossilen Brennstoffen abhängen. Und wir werden Innovationen und neue Technologien in allen Bereichen des Energiesektors fördern – von der Energieerzeugung über die Energiespeicherung bis hin zum Energieverbrauch, etwa bei Elektrofahrzeugen.
Die Spanier sind optimistischer
Wir müssen jetzt handeln! Im Pariser Abkommen haben wir uns verpflichtet, die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten, möglichst sogar 1,5 Grad. Damit bleibt uns noch ein „CO2-Budget“ von insgesamt 580 Gigatonnen. Wir können also ab jetzt bis in alle Ewigkeit noch insgesamt 580 Gigatonnen CO2 freisetzen. Das scheint erstmal viel. Stoßen wir aber weiterhin rund 37 Gigatonnen pro Jahr aus, ist das Budget bis 2032 aufgebraucht. Das nächste Jahrzehnt wird entscheidend sein.
Wie werden sich all diese Investitionen auf unsere Lebensweise auswirken? Ein gutes Beispiel ist die polnische Stadt Kattowitz, die Ende der 1990er-Jahre nach und nach aus der Kohle ausstieg. Seither hat die Europäische Investitionsbank mit ihren Geldern geholfen, die Stadt neu zu beleben und in ein pulsierendes Zentrum zu verwandeln. Erst neulich erzählte mir jemand aus Polen, dass seine Großmutter in Kattowitz früher zweimal die Woche ihre Gardinen waschen musste, weil so viel Kohlestaub in der Luft war. Jetzt wäscht sie diese nur noch zweimal im Jahr, so sehr hat sich die Stadt verändert. 2018 fand die UN-Klimakonferenz in Kattowitz statt. Ich kann mir keinen passenderen Ort vorstellen, um zu zeigen, dass ein Wandel möglich ist.
Wir wissen, dass die Menschen dabei hinter uns stehen. 2019 führte die EIB eine globale Umfrage zum Klimawandel durch, um besser zu verstehen, welche Einstellung die Leute dazu haben. Wie die Menschen zum Kampf gegen den Klimawandel stehen, ist wichtig. Denn davon hängt ab, ob sie offen sind für Veränderungen oder nicht. Sind sie dazu bereit, mehr zu recyceln, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, sich anders zu verhalten?
Unsere Umfrage ergab, dass das Klima die Hauptsorge der Europäerinnen und Europäer ist. Die meisten gaben sogar an, dass sie die Auswirkungen des Klimawandels bereits spüren. Vor allem aber äußerten sich viele Menschen überzeugt, dass er noch umkehrbar ist. In Spanien sind sie optimistischer als der Durchschnitt: 68 Prozent glauben, dass die Umkehr noch möglich ist, 80 Prozent sehen sich selbst als Teil der Lösung. Das ist auch unsere Meinung bei der Europäischen Investitionsbank. Gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor und privaten Investoren in Spanien möchten wir Projekte fördern, die den Klimawandel eindämmen.
Wir stehen fraglos am Beginn eines kritischen Jahrzehnts. Mit jedem Tag wird es heißer auf unserem Planeten – jeder Sonnenaufgang sollte uns daran erinnern, dass wir handeln müssen. Dazu haben uns die jungen Menschen im vergangenen Jahr aufgefordert. Für sie steht am meisten auf dem Spiel, deshalb sollten wir auf sie hören und endlich in Gang kommen.
Erstmals auf Spanisch erschienen in el Economista