Wer Armut bekämpft, schützt das Klima. Denn einkommensschwache Länder sind nicht nur mit am stärksten von der Erderwärmung bedroht, ihnen fällt auch die Anpassung am schwersten. Ein EIB-Tool zeigt, wie der Klimawandel Entwicklungsländer bedroht – und wo Hilfe am dringendsten benötigt wird.
Von Matteo Ferrazzi, Fotios Kalantzis, Sanne Zwart und Tessa Bending
Die EIB ist die Klimabank der EU und ein wichtiger globaler Player in der Entwicklungsfinanzierung. Das Klimarisiko zu verstehen ist also ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Wir überwachen den CO2-Fußabdruck unserer Projekte, wir forcieren die Bemühungen zur Emissionsminderung, und wir prüfen alle unsere Investitionen auf ihre Vereinbarkeit mit den Zielen des Pariser Abkommens. Vor allem stellen wir sicher, dass Klimarisiken schon bei der Projektplanung berücksichtigt werden. Dabei lässt sich auch gleich feststellen, welche Schutz- und Anpassungsmaßnahmen nötig sind. Anders ausgedrückt: Wir nutzen jede Gelegenheit, um die Klimaresilienz zu erhöhen.
Die Dimensionen des Klimarisikos
Für uns ist es wichtig zu wissen, was Klimawandel und Klimawende im Gesamtbild für Volkswirtschaften und Gesellschaften bedeuten. Daher haben wir neben wirtschaftlichen Analysen zum Klimawandel den EIB-Klimarisikoindex erarbeitet. Der Index nutzt vorhandene Daten und neueste Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Länderebene.[1] Mit seiner Hilfe können wir durch Ländervergleiche ermitteln, wo die Risiken insgesamt am größten sind und wo die Förderung von Klimaschutz und Klimaanpassung über die Entwicklungsfinanzierung am meisten bewirkt.
Wir untersuchen für jedes Land zwei Arten von Risiken: physische Risiken und Transitionsrisiken. Das physische Risiko umfasst alle Folgen des Klimawandels durch Naturkatastrophen („akutes Risiko“) sowie allmählichere Veränderungen („chronisches Risiko“). Transitionsrisiken entstehen aus politischen und regulatorischen Maßnahmen, etwa der Einführung strenger Klimaschutzvorschriften, mit denen Länder Paris-konform CO2-neutral werden sollen. Diese Vorschriften wirken sich auf die Unternehmenskosten und die Erträge nationaler Vermögenswerte aus. Sie erhöhen die Gefahr, dass CO2-intensive Assets zu „gestrandeten“ Vermögenswerten werden.
Die physischen Risiken des Klimawandels
Der Indexwert für das physische Risiko ergibt sich aus der geschätzten jährlichen Gesamtbelastung eines Landes durch klimabedingte Schäden, Kosten und Verluste. Er berücksichtigt die folgenden Elemente:
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akute Risiken extremer Wetterereignisse (Stürme, Hitzewellen, Nebel usw.) und anderer klimabedingter Katastrophen (Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren, Flächenbrände, Gletscherseeausbrüche usw.)
- chronische Risiken als Folge langfristiger, allmählicher Änderungen der Klimamuster, nämlich:
- die Beeinträchtigung von Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung
- die Folgen steigender Meeresspiegel, die wiederum das Ergebnis schmelzender Gletscher und Eisschilde sind
- die Folgen für die Qualität der erforderlichen Infrastruktur. Infrastruktur ist nicht nur akut durch Naturkatastrophen gefährdet (in Form von Schäden), sondern auch durch allmähliche Klimaveränderungen. Letztere erhöhen die Belastung von Straßen, Häfen, Telekommunikationssystemen etc. und machen Nachbesserungen erforderlich, was zu höheren Kapital- und Wartungskosten führt
- die Auswirkungen höherer Temperaturen auf die Arbeitsproduktivität, vor allem für Tätigkeiten im Freien
Diese Klimafolgen berechnen wir anhand empirischer Studien und anderer wissenschaftlicher Untersuchungen zu den wirtschaftlichen Kosten von Klimaereignissen und -veränderungen. Dabei stehen normalerweise die monetären Kosten oder die prozentualen Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt im Mittelpunkt.
Außerdem bewerten wir bei der Ermittlung des physischen Risikos, inwieweit die einzelnen Länder in der Lage sind, sich auf den Klimawandel einzustellen. Je mehr Länder sich an den Klimawandel anpassen und damit ihre Anfälligkeit reduzieren können, desto geringer dürften die Auswirkungen sein. Inwieweit ein Land finanziell in der Lage ist, sich an den Klimawandel anzupassen, wird anhand der Staatseinnahmen und des Länderratings gemessen. Auf institutioneller Ebene bewerten wir dies anhand von Governance-Indikatoren und des Stands der menschlichen Entwicklung.
Die Risiken der Klimawende
Die Indexwerte für das Transitionsrisiko werden ähnlich ermittelt. Hier bewerten wir, wie anfällig ein Land für die wirtschaftlichen Folgen der globalen Klimawende ist, und inwieweit es diese Folgen zu mindern vermag (Minderungskapazität). Länder können Transitionsrisiken mindern, indem sie ihre Treibhausgasemissionen begrenzen oder reduzieren. Dort, wo schnell auf ein kohlenstoffärmeres Entwicklungsmodell umgestellt wird, sind die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimawende geringer.
Die folgenden Faktoren beeinflussen das Transitionsrisiko:
- die Erträge aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen. Diese dürften aufgrund strengerer Klimaschutzvorschriften und veränderter Verbraucherpräferenzen künftig sinken
- der aktuelle Treibhausgasausstoß. Hohe Emissionen dürften in Zukunft höhere Kosten bedeuten, Stichwort: CO2-Preis
- die Minderungskapazität, die auf drei Größen basiert:
- Erfolg beim Einsatz erneuerbarer Energieträger
- Erfolg bei der Verbesserung der Energieeffizienz
- Umfang des Engagements gegen den Klimawandel (gemessen an den nationalen Klimabeiträgen der Länder gemäß dem Pariser Abkommen)
Auf Basis wirtschaftlicher Literatur und ökonometrischer Analysen haben wir diese Faktoren entsprechend gewichtet und daraus einen zusammengesetzten Indikator für das Transitionsrisiko der Länder gebildet.
Einkommensschwache Länder sind am anfälligsten für die physischen Risiken des Klimawandels
Kein Land ist immun gegen die Folgen des Klimawandels, Einige Länder und Regionen sind jedoch deutlich anfälliger für die direkten physischen Folgen der Klimaveränderungen als andere. Der EIB-Länderindex für das physische Risiko zeigt klar auf, welche Regionen am stärksten bedroht sind: Subsahara-Afrika (vor allem die Sahelzone), Süd- und Südostasien (hier insbesondere Länder mit viel Landwirtschaft und niedrig gelegenen Küstengebieten) sowie kleine Inselstaaten in der Karibik und im Pazifischen Ozean.
Die Anfälligkeit so vieler Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ergibt sich teilweise aus ihrer geografischen und klimatischen Lage. Kleinen karibischen und pazifischen Inselstaaten droht besonders Gefahr von Hurrikans und Zyklonen sowie steigenden Meeresspiegeln. Viele asiatische und afrikanische Länder sind vor allem wegen der langfristigen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und der Folgen exzessiver Temperaturen für die Arbeitsproduktivität gefährdet. In Asien und Südasien droht die Gefahr meist durch steigende Meeresspiegel. Das gilt auch für einige afrikanische Küstenstaaten.
Auch die Fähigkeit, sich auf den Klimawandel einzustellen und sich besser dagegen zu wappnen, ist wichtig. Viele der Länder, die den direkten physischen Folgen der Klimaveränderungen am stärksten ausgesetzt sind, sind zugleich am wenigsten in der Lage, sich anzupassen. Hier ist vor allem Subsahara-Afrika zu erwähnen. Im Karibik- und Pazifikraum ist das Bild dagegen uneinheitlich. Viele weniger entwickelte Länder sind gerade wegen ihres geringeren Entwicklungsstands so anfällig für den Klimawandel. Die schlechte Qualität von Infrastruktur und Wohnraum verschärft die menschlichen und wirtschaftlichen Folgen von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen noch. Auch die zu starke Abhängigkeit von der Landwirtschaft macht Menschen und Volkswirtschaften verwundbar. Hinzu kommen eine hohe Staatsverschuldung und geringe Staatseinnahmen, die schnellen Investitionen in Anpassungsmaßnahmen im Weg stehen. Menschen mit geringem Einkommen, wenig Ersparnissen und schwacher Kreditwürdigkeit sind für jede Art von Krise anfällig.
Daher laufen die Reduzierung von Armut und die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels auf dasselbe hinaus. Gefährdete Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen brauchen Hilfe für konkrete Anpassungsmaßnahmen, etwa für den Küstenschutz oder eine robustere Infrastruktur. Sie brauchen darüber hinaus Unterstützung in Entwicklungsfragen, um ihre Infrastruktur auszubauen, ihre Wirtschaft zu diversifizieren und die Einkommen zu erhöhen – Maßnahmen, mit denen sich die Klimafolgen oft besser in den Griff bekommen ließen.
Länder mit hohem Einkommen haben das größte Transitionsrisiko, einkommensschwache Länder mehr Probleme mit dem Klimaschutz
Verglichen mit dem physischen Risiko ergibt sich beim EIB-Index für das Transitionsrisiko ein anderes Bild. Hier sind vor allem Exporteure fossiler Brennstoffe am stärksten gefährdet. Für einkommensstarke Länder, die einen Großteil der weltweiten Ressourcen verbrauchen und erhebliche Emissionen verursachen, sind die Risiken aus der Umstellung auf eine emissionsarme Wirtschaft allgemein höher. Aber auch in Entwicklungsländern dürften die Transitionsrisiken in naher Zukunft steigen, weil sie versuchen, zu den Industriestaaten aufzuschließen und Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen bei ihnen nicht entkoppelt sind.
Doch auch für viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist das Transitionsrisiko insgesamt erhöht – vor allem aufgrund ihrer geringeren Minderungskapazitäten. Einige afrikanische Staaten wie Tschad, Demokratische Republik Kongo oder Nigeria sind stärker gefährdet als einige europäische Länder. In bestimmten Fällen ist dies auf die hohe Abhängigkeit von den Einnahmen aus fossilen Brennstoffen zurückzuführen. Hauptgrund ist jedoch die geringe Minderungskapazität: Erneuerbare Energiequellen sind bisher kaum vorhanden, ebenso wie der Wille zur Veränderung. Hinzu kommen fehlende Mittel. Und auch in den Entwicklungsländern mit niedrigem Transitionsrisiko sind grüne Investitionen immer noch dringend erforderlich. Hier besteht massiver Investitionsbedarf, um die Lücken in der Infrastruktur zu schließen, die Armut zu verringern und ordentliche Arbeitsplätze zu schaffen – und zwar so, dass die Treibhausgasemissionen in einem nachhaltigen Rahmen bleiben. Dieses Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit muss Teil der globalen Klimawende sein.
Grüne Entwicklungsfinanzierung wird den Ansprüchen noch nicht gerecht
Die Klimarisiken der Entwicklungs- und Schwellenländer zeigen, wie wichtig es ist, dort ausreichend Klimafinanzierungen zu mobilisieren. Hier sind multilaterale Entwicklungsbanken wie die EIB gefragt. Im Jahr 2020 entfielen 30 Prozent der EIB-Finanzierungen außerhalb der Europäischen Union auf Klimaschutz und Klimaanpassung. Als Klimabank der EU werden wir bis 2025 50 Prozent unseres Volumens für diese Ziele vergeben. Dies ist elementar wichtig. Denn in den Entwicklungsländern wird immer noch viel zu wenig Klimaschutz finanziert. Vor etwas mehr als zehn Jahren versprachen die Industriestaaten, ihre Mittel dafür bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu erhöhen. Aktuellen Schätzungen zufolge wurde dieses Ziel verfehlt.[2]
Darüber hinaus kann das jährliche Ziel von 100 Milliarden US-Dollar nur ein Minimalziel sein. Jetzt, da das Jahr 2020 schon vorbei ist, muss die Messlatte noch höher gelegt werden: Dringlichkeit und Ausmaß der Klimarisiken für die Schwellenländer – und für die ganze Welt – lassen uns keine andere Wahl.
Matteo Ferrazzi, Fotios Kalantzis, Sanne Zwart und Tessa Bending arbeiten in der Abteilung Volkswirtschaftliche Analysen der Europäischen Investitionsbank.
[1] Siehe Ferrazzi, M., F. Kalantzis und S. Zwart (noch nicht veröffentlicht), „Assessing climate risks at the country level: The EIB Climate Risk Country Scores“, EIB Economics Thematic Studies.
[2] https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/100_billion_climate_finance_report.pdf