Wie sieht der Kampf in Madrid aus, einer der am schwersten betroffenen Städte Europas? Wie wirkt sich das Virus auf die Krankenhausinfrastruktur der Zukunft aus? Wir haben unsere Expertin für die Gesundheitswirtschaft gefragt.
Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.
Was das Coronavirus für den öffentlichen Sektor bedeutet, erklärt uns Tunde Szabo, Gesundheitsökonomin in der Abteilung Life Sciences der Europäischen Investitionsbank. Szabo, die sich gerade von ihrer Coronainfektion erholt, spricht über ihre persönliche Erfahrung und über die Belastungsprobe für die Krankenhäuser.
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Sie kämpfen jetzt seit fast 18 Tagen mit dem Coronavirus. Wie geht es Ihnen, und wie haben Sie herausgefunden, dass Sie erkrankt sind?
Nur zum Verständnis: Ich bin Gesundheitsökonomin, keine Ärztin. Zurzeit bin ich in Madrid, nicht in Luxemburg. Meine Familie lebt hier, deshalb bin ich im letzten Jahr immer gependelt. Jetzt in der Coronakrise verlasse ich unsere Wohnung nicht mehr.
Den Notstand haben wir hier seit dem 13. März – genau dem Tag, an dem meine 16-jährige Tochter krank wurde. Sie jammerte: „Mama, ich bin so müde, ich habe Kopfschmerzen. Meine Augen sind so überempfindlich. Ich muss mich hinlegen. Ich bin einfach müde, schrecklich müde.“ Dann stellten wir fest, dass sie Fieber hatte. Sie bekam es mit der Angst zu tun: „Mama, ich glaube, ich habe das Coronavirus. Können wir die Hotline anrufen? Ich möchte einen Test.“ Ich versuchte sie zu beruhigen: „Mach dir keine Sorgen, Elena. Lass uns mal die Nacht abwarten, und morgen schauen wir weiter. Dann können wir die Hotline immer noch anrufen.“
Am nächsten Tag bemerkte ich die ersten Symptome bei mir. Am 14., also am zweiten Tag der Erkrankung meiner Tochter, wählten wir die Nummer der Coronavirus-Hotline, aber niemand nahm ab.
Vier Stunden lang versuchte Elena es immer wieder, bis sie endlich mit einer Krankenpflegerin sprechen konnte. Sie schilderte ihre Symptome und die Pflegerin bestätigte: „Ja, Elena, du hast das Coronavirus. Mach dir keine Sorgen, später wird sich ein Arzt bei dir melden.“ Aber niemand hat sich je bei uns gemeldet.
Einen Tag später, als auch ich mich krank fühlte, war es genau gleich. Wir riefen die Coronavirus-Hotline an, und ich sprach mit jemandem, der gerade erst eingestellt worden war, es war nicht einmal ein Krankenpfleger.
Er erkundigte sich nur nach meinen Symptomen. Dann fragte er noch, ob ich Fieber habe. Da ich verneinte, nahm er einfach an, ich sei nicht infiziert, und wollte schon auflegen. Ich konnte gerade noch loswerden, dass wir einen Fall in der Familie haben und mit mir wahrscheinlich den zweiten. Er notierte sich meine Daten und versprach: „Es wird Sie jemand zurückrufen.“ Auch dieses Mal meldete sich niemand. Fünf oder sechs Tage später bekam mein Mann Symptome, und wir riefen ein drittes Mal an. Wir baten erneut um Hilfe und um einen Test. Wieder versprach man uns einen Rückruf, der nie kam.
Man hat uns weder angerufen noch getestet. Wir haben die Diagnose selbst gestellt, und wir kennen viele Menschen, denen es ähnlich geht – sie haben sich höchstwahrscheinlich angesteckt, sie haben die Symptome, aber sie werden nicht getestet, weil sie keine schweren Fälle sind. In Madrid hat man keine Chance auf einen Test oder professionelle Hilfe, wenn die Krankheit milde verläuft.
Wie war das mit dem Virus? Wie hat es sich bei Ihnen und Ihrer Familie ausgewirkt?
Wir haben mit einem Ärztepaar gesprochen, das bei uns um die Ecke wohnt. Die beiden arbeiten jeden Tag an der Coronafront – ehrlich, ich fühle mit all den Menschen, die da täglich gegen das Virus kämpfen. Diese beiden schauen ab und zu nach uns. Von ihnen wissen wir, dass unsere Fälle immer noch lächerlich milde sind.
Der Hauptunterschied zwischen einem milden und einem schweren oder etwas schwereren Verlauf ist die Atemnot. Der Kampf darum, Luft zu bekommen. Wenn einfach nie genug Sauerstoff in die Lungen gelangt. Wenn man nach Luft ringt. Das hatten wir nicht. Aber dennoch: Auch wenn wir nur milde Symptome hatten, ähnlich wie bei einem grippalen Infekt, dann war es immer noch so schlimm, dass ich es meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.
Ich fühle mit all den Menschen, die jetzt gerade am Coronavirus leiden. Ich fühle mit allen, die sich um sie kümmern und sie pflegen – denn es ist wirklich ein schwieriger und verzweifelter Kampf.
Was glauben Sie, was wird sich für die Menschen in Spanien in diesem Jahr ändern, und für die Menschen überhaupt? Denn eins ist ja klar: Wenn Spanien den Höhepunkt erst einmal überwunden hat, ist das Virus noch lange nicht besiegt.
Ich denke, das Leben der Menschen wird sich in vielerlei Hinsicht ändern. Vor uns liegt ein sehr, sehr schwieriges Jahr. Wenn wir die akute Krise überstanden haben, wird die Pandemie zwei wichtige Bereiche berühren: die Wirtschaft und bestimmte Alltagsgewohnheiten. Zur Wirtschaft: Ich befürchte, dass viele kleine und mittlere Unternehmen diese Krise leider nicht überleben werden.
Schon jetzt kennen wir viele im Freundeskreis und in der Familie, die in Unternehmen und Branchen arbeiten, die es schwer treffen wird. Ich denke an meinen Bruder und meine Schwägerin, beide sind in der Luftfahrt tätig. Sie machen sich Sorgen. Sie wissen nicht, was die Zukunft bringt. Der Tourismus wird fürchterlich leiden. Vorerst kann beispielsweise die Europäische Investitionsbank mit Hilfen wie Überbrückungskrediten usw. etwas tun. Aber ich glaube nicht, dass man etwas tun kann, um ängstliche Kundinnen und Kunden dazu zu bewegen, bald wieder in Restaurants zu gehen, durch Geschäfte zu bummeln oder gar eine Kreuzfahrt zu machen. Ich glaube, dass wir all das erst dann wieder tun und Geld dafür ausgeben, wenn die ganze Sache vorbei ist.
Auch unser Arbeitsleben wird sich verändern. Es wird mehr Telearbeit und mehr Videokonferenzen geben. Das ist nur eines von vielen Beispielen. Während dieses Interviews sitze ich zu Hause in Madrid, und Sie sind in Frankreich.
Auch im Alltag werden wir viele Gewohnheiten ändern. Die persönliche Hygiene zum Beispiel. Wir werden uns die Hände häufiger und gründlicher waschen. Wir werden unsere Smartphones und Tastaturen desinfizieren. Ich selbst habe mein Smartphone nie desinfiziert, aber jetzt werde ich das regelmäßig tun. Das sind neue Gewohnheiten, die auch bei einer normalen Grippewelle helfen.
Und ich hoffe, dass wir mehr auf Prävention achten. Dass Impfungen ernster genommen werden. Es hat ja zuletzt diese Bewegungen gegen das Impfen gegeben. Ich hoffe, dass die Impfgegner jetzt verstummen und einsehen, wie sehr sie mit ihrer Haltung der Gesellschaft schaden. Das hoffe ich sehr.
Der Coronavirus-Ausbruch hat die Gesundheitssysteme in Europa an ihre Belastungsgrenzen gebracht, besonders in Norditalien und Spanien. Die medizinische Versorgung in diesen Ländern gehört zu den besten der Welt. Warum sind die Systeme dann so unter Druck geraten? Liegt es allein an der Vielzahl der Patienten? Oder gab es schon vorher Versäumnisse?
Ja, das stimmt, Italien und Spanien haben mit die besten Gesundheitssysteme, in der Europäischen Union und weltweit. Beide Länder haben ihre Krankenhauskapazitäten genau auf den Bedarf ausgelegt. Beide haben gut ausgebildetes medizinisches Personal. Und sie haben ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Italien und Spanien die höchste durchschnittliche Lebenserwartung und die niedrigste vermeidbare Sterblichkeit zu den geringstmöglichen Kosten haben. Andere Länder stehen auch gut da, etwa die Niederlande, Deutschland oder Belgien, aber die Kosten dort sind sehr hoch. Spanien und Italien dagegen sind am kosteneffizientesten. Wie gelingt ihnen das? Zum Teil, indem sie nur die minimal notwendige Anzahl an Betten in Akutkrankenhäusern vorhalten, einschließlich Intensivbetten.
Wir sprechen über Belegungsquoten von etwa 80 Prozent, und die werden nicht durch lange Verweilzeiten erreicht. Es liegt also nicht daran, dass die Patienten lange im Krankenhaus bleiben – vielmehr werden die Betten immer schnell neu belegt. Diese Effizienz ist für unsere Gesundheitssysteme sehr wichtig, gerade weil die Altersstruktur in Europa noch einen starken Kostendruck ausüben wird. In der Coronakrise war sie allerdings kontraproduktiv. Deutschland beispielsweise hat bezogen auf die Bevölkerung die höchste Anzahl von Krankenhausbetten und kam mit der Pandemie besser zurecht.
Niemand weiß, welche medizinische Infrastruktur wir beim nächsten Ausbruch brauchen. Nicht belegte Intensivbetten bedeuten jedenfalls, dass ein System besser vorbereitet ist. Es war Zufall, dass für das Coronavirus Intensivbetten und Beatmungsgeräte erforderlich waren. Diejenigen Länder, die sie schon besaßen, haben Glück, weil ihnen das bei dieser Pandemie hilft.
Aber niemand weiß, wie es beim nächsten Mal sein wird. Vorbereitung auf eine Pandemie heißt nicht, dass man zwangsläufig mehr Intensivbetten oder überhaupt freie Betten braucht. Vorbereitung auf eine Pandemie heißt etwas ganz anderes: Es ist eine internationale Anstrengung – nur international kann es funktionieren. Das heißt: Wir brauchen flexible Teams von medizinischen Fachkräften mit entsprechender Ausrüstung, die sofort an den Ort eines Ausbruchs gehen können. Dort müssen sie die richtige Schutzausrüstung vorfinden, also muss es ein Minimum an Vorbereitung geben. Genau das hat aber in den meisten Ländern in Europa, auch in Spanien und Italien, gefehlt.
Was kann die Europäische Investitionsbank tun? Wie können wir Kliniken durch diese Krise helfen und dafür sorgen, dass Europa in Zukunft besser vorbereitet ist?
Die EIB setzt selbst keine übergeordneten Ziele fest, sondern orientiert sich an den Zielen der Europäischen Union. Dazu entwickelt sie Finanzierungsprodukte und setzt sie um. Und die EIB ist immer da, jetzt mehr denn je, um bei der Vorbereitung auf künftige Pandemien zu helfen. Die Reaktion auf eine Epidemie oder Pandemie ist das eine, aber die Vorbereitung darauf das andere. Im Augenblick sind wir mit der Reaktion beschäftigt. Wir waren nicht vorbereitet, also reagieren wir nur. Die Bank hat angekündigt, Mittel für Überbrückungskredite und andere Maßnahmen zu mobilisieren, um KMU und Midcaps mit dringend benötigter Liquidität und Betriebskapital zu versorgen. Außerdem finanziert die EIB Projekte, die zum Ziel haben, die Verbreitung des Virus einzudämmen, Therapien zu finden und einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln. Dafür nutzt sie Finanzierungsinstrumente – zum Teil gemeinsam mit der Europäischen Kommission, wie etwa die InnovFin-Fazilität „Infektionskrankheiten“. Auch das ist nur eine Reaktion auf eine neue Situation.
Aber die EIB hat auch immer schon Maßnahmen zur Vorbereitung finanziert. Wir arbeiten in wichtigen Bereichen der öffentlichen Gesundheit aktiv mit vielen Akteuren zusammen – mit der Weltgesundheitsorganisation, der Generaldirektion Gesundheit der Europäischen Kommission, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, der Weltbank, dem Wellcome Trust usw. Die EIB entwickelt immer wieder innovative Finanzierungsinstrumente, um Investitionsschwächen zu überwinden und zusätzliche Mittelquellen zu erschließen, etwa bei weiteren Finanzierungspartnern oder bei Geberorganisationen.
Als ich wegen meiner Coronainfektion nicht arbeiten konnte, habe ich viele weltweit führende Epidemiologen gehört. Über eines waren sie sich alle einig: Die Vorbereitung auf den Ernstfall muss eine internationale Anstrengung sein – man könnte von einer Kette sprechen, in der jedes Land ein Glied darstellt.
Die Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Das bedeutet: Jedes einzelne Land in der Welt, egal wie reich oder arm es ist, braucht medizinische Infrastruktur und medizinische Fachkräfte, die eine neue Epidemie erkennen können – die in der Lage sind, Infektionen zu diagnostizieren, sich um die ersten Fälle zu kümmern und mit anderen Ländern zu kommunizieren, um Hilfe anzufordern und in einer gemeinsamen internationalen Anstrengung den Ausbruch zu bekämpfen.
Nur so kann die Welt auf die nächste Pandemie vorbereitet sein.
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