Irischer Anbieter von psychosozialen Diensten sieht starke Zunahme von Ängsten durch Pandemie und therapiert seine Patientinnen und Patienten jetzt online
Von Chris Welsch
MyMind musste sich schnell anpassen, als Mitte März in Irland der Lockdown kam.
Für die Menschen da sein, die unter Ängsten und Depressionen leiden – das war für MyMind-Gründer Krystian Fikert wichtig, als das Ausmaß der Krise deutlich wurde.
„Wir sehen eine starke Zunahme von Ängsten bei unseren Patientinnen und Patienten“, so Krystian. „Zehn Prozent mehr Fälle als vor Covid-19, das ist eine ganze Menge.“
Bevor das Virus ausbrach, hielt MyMind mehr als 3 000 Therapiesitzungen pro Monat ab, 90 Prozent davon persönlich, 10 Prozent per Telefon oder über Video.
„Wir beschlossen, ganz auf online umzustellen“, erzählt Krystian. „Innerhalb einer Woche wollten wir soweit sein, aber wir haben es sogar in vier Tagen geschafft. MyMind hatte ja schon vorher Online-Videositzungen angeboten.“
Der studierte Psychologe gründete das gemeinnützige Unternehmen 2006, weil er das irische Gesundheitssystem für die Behandlung seelischer Störungen zu komplex fand. Wer Hilfe sucht, muss bei ihm keine ärztliche Überweisung vorlegen. Es gibt keine langen Wartelisten, und die Therapie ist bezahlbar.
MyMind berechnet deutlich weniger, als sonst üblich: 50 Euro für 50 Minuten. Und wer arbeitslos ist, studiert oder schon in Rente ist, zahlt nur 20 Euro. Das Unternehmen arbeitet mit 120 Therapeutinnen und Therapeuten zusammen, die ihre Leistungen in 15 Sprachen anbieten.
Menschen in abgelegenen Gebieten erreichen
„Für die Patienten war es schwieriger, sich umzustellen, als für MyMind“, sagt Krystian. Viele von ihnen wollten zunächst abwarten, bis die Pandemie vorüber ist. Sie verschoben ihre Termine, um dann wieder persönlich zu kommen. Aber je mehr Zeit ins Land ging, desto mehr Patientinnen und Patienten entschieden sich schließlich doch für die Onlinetherapie. Hinzu kamen viele neue Anfragen von Menschen, die unter der Pandemie litten. „Im Mai kamen wir auf 2 500 Sitzungen, das ist schon ein Erfolg“, findet Krystian.
MyMind ist Teil des Alumni-Netzes des jährlichen Wettbewerbs für soziale Innovation, den das EIB-Institut ausschreibt. Das Alumni-Netz besteht aus Finalisten des Wettbewerbs sowie aus Unternehmerinnen und Unternehmern, die für Führungskräftetrainings der Katholischen Universität Portugal in Lissabon ausgewählt wurden.
Die vorübergehende Komplettumstellung auf die Onlinetherapie bringt auch unerwartete Vorteile: Beispielsweise können jetzt mehr Menschen in ländlichen und abgelegenen Teilen Irlands Hilfe erhalten. Krystian geht davon aus, dass MyMind nach der Krise wieder zum persönlichen Gespräch zurückkehrt, aber wahrscheinlich in geringerem Maße. „Gut möglich, dass wir eine Kombination anbieten“, sagt er. „Etwa halbe-halbe.“
Im Durchschnitt sind etwa zehn Prozent der Menschen in Europa in psychologischer Behandlung oder suchen Rat, sagt Krystian. „Durch Covid-19 dürfte sich die Zahl verdoppeln oder gar verdreifachen. Das ist bedauerlich, aber so ist es. Wir erwarten, dass die Angststörungen noch massiv zunehmen.“
Die irische Regierung will deshalb in Zusammenarbeit mit MyMind und anderen Gesundheitsdienstleistern kostenlose Onlineangebote schaffen. Krystian findet das Programm wichtig, weil Menschen so gleich zu Beginn Hilfe erhalten können, wenn sie in seelische Not geraten.
„Studien zeigen, dass die Bewältigungsmechanismen rascher wieder funktionieren, wenn die Leute früh zur Behandlung kommen“, sagt er. „Das kann ich aus 14 Jahren Praxis nur bestätigen.“