Von Bildungsverlusten bis zu den Schäden für die Wirtschaft: Es wird dauern, bis die Wunden der Pandemie heilen. Covid-19 macht die Entwicklungsfinanzierung der Europäischen Union wichtiger denn je.
Von Tessa Bending, Colin Bermingham und Emily Sinnott
Schon vor der Pandemie hat die Welt nicht genug für eine nachhaltige Entwicklung getan. Die Finanzierungslücke für die UN-Entwicklungsziele wird auf rund 2,5 Billionen US-Dollar geschätzt.[1] Gleichwohl sorgte das Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern dafür, dass die Zahl der extrem armen Menschen stetig zurückging. Die coronabedingte Rezession hat diese Fortschritte zunichtegemacht und schon jetzt etwa 120 Millionen Menschen wieder in bittere Armut gedrängt.[2]
Gemessen an den nachgewiesenen Infektionen scheinen vor allem in Afrika viele Entwicklungsländer bislang ganz gut durch die Pandemie zu kommen. Aber das ist kein Grund, sich zurückzulehnen. Vergleicht man die Sterblichkeitsraten seit Anfang 2020 mit den Vorjahren, ergibt sich allein für Südafrika eine Übersterblichkeit von 130 000. Ägypten, wo die Infektionsraten vergleichsweise niedrig sind, verzeichnet 75 000 Todesfälle mehr als sonst.[3] Wir müssen das Virus also weltweit stoppen – das ist unsere moralische Pflicht.
Auch wenn manche Länder nicht so stark betroffen sind, ist zu bedenken: Nicht alle können gleich gut auf die Krise reagieren und deren soziale und wirtschaftliche Folgen abfedern. Die Pandemie deckt auf, wo wir in die öffentliche Gesundheit und digitale Infrastruktur investieren müssen, und wie anfällig fehlende Haushaltspielräume und geringe wirtschaftliche Diversifizierung machen. Menschen in prekärer oder informeller Beschäftigung, Wirtschaftsmigranten und Frauen leiden besonders unter der Krise, die Ungleichheiten verschärft.
Schlimmer noch als die direkten Pandemiefolgen könnte der sogenannte „Scarring-Effekt“ sein – der Schaden, der auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus die Chancen mindert.
1,5 Milliarden Kinder gehen nicht zur Schule
UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnete die Auswirkungen von Covid-19 auf die Kinder und ihre Bildung als „Generationenkatastrophe“.[4] Auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie im Jahr 2020 hatten etwa 1,5 Milliarden Kinder keinen Unterricht, weil die Schulen geschlossen waren.[5] Im Durchschnitt hatten die Kinder nur halb so viel Kontakt zu ihren Lehrkräften wie in normalen Jahren. Nach Schätzungen der UNESCO könnte die Zahl der Kinder, die kein altersgemäßes Lesevermögen erreichen, um fast 100 Millionen auf 581 Millionen steigen.[6]
Die Folgen dieser Lernverluste werden über Jahrzehnte spürbar sein. Es wird wohl nicht nur Jahre dauern, bis die Kinder den Lernstoff aufholen, die Defizite könnten auch langfristig ihre Einkommenschancen schmälern und die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Ungleichheiten dürften sich verschärfen. Denn ärmere Kinder haben oft keinen Zugang zum Internet, um dem Online-Unterricht zu folgen, sofern er stattfindet. Hinzu kommt, dass durch die pandemiebedingte Zunahme von Armut wahrscheinlich mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien die Schule verlassen. Dabei werden Mädchen oft eher von der Schule genommen als Jungen, sodass der Bildungsschaden bei ihnen noch größer ausfällt. Deshalb ist es höchste Zeit, dass der Unterricht weitergeht.
Unternehmen in Schwierigkeiten
Die meisten Jobs bietet in Entwicklungsländern der Privatsektor, von informellen Marktständen über kleine Betriebe bis hin zu Großkonzernen. Also müssen vor allem dort mehr und bessere Arbeitsplätze entstehen, um die Armut zu bekämpfen. Unternehmen müssen investieren, expandieren und die Produktivität steigern, aber die Pandemie erschwert dies. Es könnte Jahre dauern, bis sich der Privatsektor erholt.
Die Hoffnung auf eine rasche Konjunkturerholung weicht der Skepsis, wenn wir sehen, wie die Pandemie viele Unternehmen in die Klemme bringt – vor allem kleinere Firmen, die schwerer Zugang zu Kapital haben. Zusammen mit der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung befragte die Europäische Investitionsbank im Jahr 2020 Unternehmen in Ländern der südlichen und östlichen Nachbarschaft Europas und im Westbalkan. Die Ergebnisse zeigen, was die Unternehmen belastet.
Zunächst einmal war schon die Ausgangslage für viele Firmen schwierig: In manchen Ländern investierte nur ein Fünftel von ihnen jedes Jahr, was auch an der restriktiven Kreditvergabe lag. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in den östlichen und südlichen Nachbarländern und 38 Prozent im Westbalkan klagen über Finanzierungsengpässe. Die meisten haben schon gar nicht mehr versucht, einen Kredit zu beantragen.
Eine gesonderte Umfrage zu den Auswirkungen der Pandemie ergab, dass die meisten Firmen in diesen Regionen vorübergehend schließen mussten. Drei Viertel haben an Liquidität oder Finanzkraft verloren, 19 Prozent sind bereits mit ihren Krediten im Verzug. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zahlen den Preis dafür, dass sie kaum digitale Technologien nutzen. Im Vergleich zu Großunternehmen konnten nur halb so viele auf Telearbeit umstellen. Noch weniger schafften es, einen Teil ihres Geschäfts ins Internet zu verlagern. Einige Firmen werden die Pandemie nicht überleben, viele andere müssen erst finanziell gesunden, bevor sie wieder langfristig investieren und gute Arbeitsplätze schaffen können.
In anderen Regionen sieht es noch schlechter aus: Eine Umfrage zur Coronakrise in sieben afrikanischen Ländern ergab, dass rund 90 Prozent der Unternehmen Umsatz- und Cashflow-Rückgänge verzeichnen. 24 Prozent sind mit Krediten im Rückstand. 38 Prozent gaben an, der Zugang zu Kapital sei ein großes Problem, und nur 17 Prozent nahmen Bankkredite auf, um Liquiditätsengpässe zu überwinden.
Auch hier hat die schleppende Digitalisierung die Anfälligkeit erhöht: Nur 18 Prozent der Unternehmen konnten ihr Onlinegeschäft ausbauen und nur 17 Prozent auf Telearbeit umstellen. Lediglich sieben Prozent erhielten oder erwarten staatliche Hilfen, sodass neun Prozent bereits Insolvenz oder Konkurs anmelden mussten.
Finanzströme in Gefahr
Unternehmen in Finanznot können Banken in Bedrängnis bringen. Bislang zeigen sich die Banken robust. Oft geraten sie aber im Gefolge von Wirtschaftskrisen in Schieflage, weil sich faule Kredite in ihren Büchern ansammeln, selbst wenn es im Rest der Wirtschaft schon wieder aufwärtsgeht. Die Gefahr ist groß, dass die Banken wegen einer Zunahme von Problemkrediten bald weniger Kredite an gesunde Unternehmen vergeben können. Aus den vorläufigen Ergebnissen einer Umfrage unter Banken in Afrika, die die Abteilung Volkswirtschaftliche Analysen der EIB Anfang 2021 durchgeführt hat, lässt sich ablesen, was bislang die Hauptfolgen der Pandemie waren: eine sinkende Aktivaqualität (z. B. mehr faule Kredite) und eine geringere Nachfrage nach Krediten. Das entspricht dem, was wir auch in den Umfragen unter Unternehmen sehen.
Wie gravierend die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie letztlich ausfallen, wird stark davon abhängen, welche Hilfe die Staaten leisten können, um die Krise abzufedern, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, Unternehmen zu stützen und die Menschen in Arbeit zu halten. Neben den Hilfen für Unternehmen sind weitere Ausgaben notwendig, für öffentliche Dienstleistungen, Sozialsysteme und Infrastruktur – damit es wieder aufwärtsgeht und sich die Schäden der Pandemie nicht noch weiter vergrößern. Das alles muss finanziert werden. Zusätzlich zu den jährlich 2,5 Billionen US-Dollar, die für die UN-Entwicklungsziele fehlen, sieht die OECD eine jährliche Lücke von einer Billion US-Dollar bei den Ausgaben der Entwicklungsländer für die Erholung von Covid-19.
Die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer können sich jedoch Wirtschaftshilfen wie in den reicheren Ländern kaum leisten. Stattdessen wächst die Sorge über die Schuldentragfähigkeit, vor allem in Ländern, die schon vor der Pandemie hoch verschuldet waren. Derzeit haben 36 der 70 untersuchten Länder mit niedrigem Einkommen ein hohes Überschuldungsrisiko oder können ihre Kredite schon jetzt kaum bedienen.[7] Die Aussicht auf eine höhere Inflation und steigende Zinsen in den Vereinigten Staaten könnte die Risikobereitschaft zügeln und Schwellen- und Entwicklungsländern den Zugang zu Kapital aus dem Ausland weiter erschweren. Die privaten Geldflüsse aus dem Ausland in Entwicklungsländer brachen bereits 2020 ein und gingen um geschätzte 700 Milliarden US-Dollar zurück. Die Rücküberweisungen nahmen um etwa 20 Prozent ab, die ausländischen Direktinvestitionen um 35 Prozent und die Nettoportfoliozuflüsse (in Finanzanlagen wie Staatsanleihen investiertes Geld) um 80 Prozent.[8]
Das Virus stoppen
Oberste Priorität hat natürlich, dass wir die Pandemie überwinden und der weltweiten medizinischen Notlage ein Ende bereiten. Das geht nur mit globaler Zusammenarbeit und Solidarität. Die EIB hat zusammen mit der Europäischen Kommission das COVAX Advance Market Commitment finanziert, damit COVAX eine Milliarde Impfstoffdosen für die Menschen in 92 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen beschaffen und verteilen kann. Darüber hinaus finanziert die EIB dringend benötigten medizinischen Bedarf und Einrichtungen zur Behandlung von Covid-19-Patienten. In Afrika fördert sie außerdem den Ausbau von Kapazitäten zur Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe.
Im Kampf gegen die Coronakrise legt die EIB auch bei den Hilfen für kleine und Kleinstunternehmen kräftig nach, damit sie die Folgen der Pandemie besser verkraften. Wir müssen so gut es geht verhindern, dass die Gesundheitskrise in eine Wirtschaftskrise mündet. Deshalb hat die Bank im Jahr 2020 ihre Mittel für Kleinstunternehmen und KMU außerhalb der EU um 83 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro erhöht. Gleichzeitig müssen wir zusehen, dass die Belastung der öffentlichen Finanzen durch Covid-19 nicht auf Kosten der Investitionen in Infrastruktur geht. Deshalb schieben wir weiter Investitionen in soziale und wirtschaftliche Infrastruktur an, denn das ist der beste Schutz vor einem Dominoeffekt der Pandemie.
Grün, inklusiv und widerstandsfähig
Wenn diese Pandemie vorbei ist, können wir dann wieder zur Tagesordnung übergehen? Sicher nicht! Schon vor der Krise sind wir im Kampf gegen Armut und auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung nur langsam vorangekommen. Es war bereits absehbar, dass wir die UN-Ziele verfehlen, und Covid-19 hat uns weiter gebremst. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen die Welt in den nächsten Jahrzehnten steht, sind die Entwicklungsfinanzierungen der EIB wichtiger denn je.
Die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren. Nur dann können sie schneller einen Weg aus der Armut und zu einem höheren Lebensstandard finden. Aber dieses Wachstum muss grün sein, um unser aller willen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass diese Länder das nötige Kapital und technische Hilfe erhalten, damit sich saubere neue Technologien durchsetzen und die Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung schaffen.
Dieses grüne Wachstum muss allen Teilen der Bevölkerung zugutekommen. Es muss allen Menschen Zugang verschaffen zu grundlegenden Gütern wie saubere Energie, Wasser, Mobilität, Bildung und Gesundheitsfürsorge – und es muss Chancengleichheit für alle gewährleisten. Unternehmen und Kleinstbetriebe brauchen das nötige Kapital, um menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen, denn der Bedarf dafür ist riesengroß. Die Entwicklungshilfe muss hohe Standards setzen, was die Gendergerechtigkeit, Menschen- und Arbeitsrechte betrifft. Sie muss außerdem Transparenz fordern, um die Korruption in den Griff zu bekommen.
Und schließlich müssen die Länder widerstandsfähiger werden – das ist eine Lehre aus der Pandemie. In den nächsten Jahrzehnten werden die Risiken durch den Klimawandel und extreme Wetterereignisse steigen. Hinzu kommen anhaltende Konflikte und die Gefahr, dass erneut Pandemien ausbrechen. Für mehr Resilienz in den Bereichen Energie, Ernährung, Bildung, Gesundheit und Wirtschaft bedarf es dringender Investitionen, nicht zuletzt in eine robuste Infrastruktur. Das bedeutet Investitionen für einen besseren Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung und digitalen Dienstleistungen, aber auch eine Diversifizierung der Wirtschaft und den Abbau von Schwachstellen, die sich aus hohen Schulden und fragilen Finanzsystemen ergeben.
Tessa Bending, Colin Bermingham und Emily Sinnott arbeiten in der Abteilung Volkswirtschaftliche Analysen der Europäischen Investitionsbank.
[1] OECD (2020), Global Outlook on Financing for Sustainable Development 2021.
[2] Lakner et al. https://blogs.worldbank.org/opendata/ updated-estimates-impact-covid-19-global-poverty-looking-back-2020-and-outlook-2021.
[3] https://github.com/dkobak/excess-mortality#excess-mortality-during-the-covid-19-pandemic.
[4] https://www.un.org/en/coronavirus/future-education-here
[5] https://en.unesco.org/covid19/educationresponse.
[6] http://uis.unesco.org/sites/default/files/documents/covid-19_interruptions_to_learning_-_final.pdf
[7] https://www.imf.org/external/Pubs/ft/dsa/DSAlist.pdf
[8] OECD (2020), Global Outlook on Financing for Sustainable Development 2021.