Mithilfe der Europäischen Union starten in Kroatien über 1 300 Schulen, 20 000 Lehrkräfte und 455 000 Schülerinnen und Schüler in eine neue Ära des Online-Lernens
Ivana Mažar Marušić unterrichtet an der Dragutin-Tadijanović-Grundschule im kroatischen Vukovar. Als im März 2020 plötzlich die Schulen schlossen, ging es ihr wie Millionen Lehrkräften weltweit: Sie musste sich flugs etwas einfallen lassen. Aber anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen konnte sie sofort auf Online-Unterricht umstellen. „Egal, welche Klasse wir unterrichteten oder besuchten – über Nacht waren wir plötzlich alle ‚Schulanfänger‘ in unserer neuen Online-Schule.“
Schon lange bevor das Wort „Lockdown“ in aller Munde war, hatte Kroatien damit begonnen, seine Schulen für das digitale Zeitalter fit zu machen. Die Schule von Ivana Mažar Marušić gehörte zu den 151 Schulen, die für die Pilotphase eines landesweiten Digitalisierungsprojekts unter der Ägide des kroatischen Forschungs- und Bildungsnetzwerks CARNET ausgewählt worden waren. 920 Lehrkräfte und über 6 000 Schülerinnen und Schüler an diesen Schulen erhielten Laptops, Tablets und Präsentationsausrüstung und freuten sich über bessere Internetanschlüsse. „Dank der Geräte und der Schulungen für die Lehrkräfte konnten wir schon zwei Tage nach den Schulschließungen online loslegen“, erzählt Mažar Marušić.
Vollständig digital
Nach der Pilotphase folgte 2018 die zweite Phase des Projekts. Geplant ist, bis Ende 2023 über 1 300 Grund-, Sekundar- und Kunstschulen in Kroatien vollständig digital aufzustellen. Zusätzlich werden mehr als 20 000 Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen geschult. Denn es geht nicht nur um IT-Ausrüstung: Durch Weiterbildung der Lehrkräfte und neue, digitale Bildungsinhalte sollen die Schulen digital reifer werden.
Die Europäische Union hat beide Phasen des Projekts finanziert, das als bestes Kohäsionsprojekt in der Kategorie „Kompetenzen und Bildung für ein digitales Europa“ von der Europäischen Kommission mit einem Regiostars Award ausgezeichnet wurde. Allein in der zweiten Phase erhielt es über 150 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds. Und die Europäische Investitionsbank war von Anfang an dabei. Unser JASPERS-Team hat dafür gesorgt, dass dieses Projekt zustande kam. Es berät öffentliche Stellen und Projektträger zu Strategien, Programmen und Projekten, damit sie europäische Mittel in Anspruch nehmen können.
Mehr als Technologie
„Wir haben CARNET von der Pilotphase an dabei geholfen, das Projekt landesweit umzusetzen“, sagt Joanna Knast-Braczkowska, Volkswirtin bei der Europäischen Investitionsbank, die an dem Projekt gearbeitet hat.
Diese Entscheidung erwies sich als richtig. Gegenüber der ersten Evaluierung haben 93 Prozent der an der Pilotphase teilnehmenden Schulen ihren digitalen Reifegrad auf „digital kompetent“ oder “digital fortgeschritten“ erhöht.
Was heißt digitale Reife?
- integrieren Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in hohem Maß in ihr Bildungsangebot und ihre Verwaltung
- entwickeln systematisch die Digitalkompetenz ihrer Beschäftigten und Lernenden
- verfügen über eine angemessene IKT-Ausstattung für Klassenräume, Labors, Beschäftigte und Lernende
- nutzen IKT, um Lehrmethoden zu verbessern, digitale Bildungsinhalte zu entwickeln und Lernleistungen zu bewerten
Ich glaube, das Wichtigste an dem Projekt war die Ausrichtung auf die Schulung der Lehrkräfte und die Bildungsinhalte – zusätzlich zur Infrastruktur und Ausstattung. Die Pilotphase hat hier wertvolle Erkenntnisse gebracht, die in der zweiten Phase erfolgreich berücksichtigt wurden“, erklärt Teresa Calvete, Volkswirtin bei der Europäischen Investitionsbank, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt war.
Die Lehrkräfte können alle digitalen Inhalte und diverse Unterrichtsszenarien nach Bedarf für ihre Klassen nutzen.
Und nicht nur sie profitieren davon. „Der digitale Lernstoff ist jetzt so einfach verfügbar. Wir können damit lernen, wann wir wollen“, erzählt Ana Cicak, eine Schülerin aus Zagreb. Und noch einen weiteren Punkt findet sie wichtig, gerade aus finanzieller Sicht: „Wenn wir mit dem Stoff mal nicht mitkommen oder Stunden verpassen, müssen wir keine Nachhilfestunden mehr bezahlen. Wir nutzen einfach das Online-Material.“
Die neue Normalität
Wie überall auf der Welt hat die Pandemie auch in Kroatien das Schulsystem in schwere Turbulenzen gestürzt. Nicht alle Schulen waren vorbereitet. Allerdings hat die Pandemie das Projektteam in seiner Einschätzung bestätigt. Der Lockdown zeigte, wie wichtig Digitaltechnik in der Schule ist – nicht nur für das Homeschooling, sondern auch für den traditionellen Präsenzunterricht. Viele Schulen in Kroatien setzen die neuen Lehr- und Lernmethoden bereits ein.
Projektabschluss ist nun 2023, ein Jahr später als geplant, weil Covid-19 die Lieferketten durcheinandergebracht hat. Dann aber beginnt für die Schulen in Kroatien eine neue Ära. Ivana Mažar Marušić freut sich schon auf die „neue Normalität“, in der Digitaltechnik im Unterricht einfach dazugehört. „Die Voraussetzungen sind da, jetzt ist es an den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, was sie können.“