EIB nutzt erstmals digitale Währung für den Anleiheverkauf – Kapitalmärkte sehr an neuer Technologie interessiert
John Whelan arbeitet für eine große internationale Bank, sieht sich selbst aber als Ingenieur. Neuerdings dreht sich bei seiner Arbeit alles um Kryptowährungen und Blockchains.
„Ich glaube fest an die Macht der Technologie, um das Finanzwesen zum Besseren zu verändern“, so Whelan. Bei der Banco Santander in Spanien gründete er ein Digitallabor, um zu untersuchen, wie Blockchains und Kryptowährung das Bankwesen verbessern könnten.
Die Banco Santander ist eine von drei privaten Banken, die die Europäische Investitionsbank bei der Emission ihrer ersten digitalen Blockchain-Anleihe unterstützten. Die 100-Millionen-Euro-Anleihe war ein großer Erfolg, nachdem sie im April auf der Ethereum-Plattform aufgelegt wurde. Die Plattform hat die zweitgrößte Kryptowährung der Welt nach dem Marktführer Bitcoin. Auch die französische Société Générale und die US-amerikanische Bank Goldman Sachs waren an dem Deal beteiligt.
Keine reine Theorie mehr
Die Kapitalmärkte sind bereit für die Blockchain-Technologie – das hat die Emission gezeigt. Jetzt dürften weitere öffentliche und private Banken der EIB in diesen Markt folgen, und der Verkauf von Anleihen – auch grüner Anleihen – dürfte mehr Anleger auf mehr Plattformen ansprechen.
„Wir haben der Welt gezeigt, dass so etwas mit einem der weltweit größten supranationalen Emittenten klappt“, so Whelan weiter. „Es bleibt nicht bei der bloßen Theorie: Wir haben den praktischen Nachweis erbracht.“
Bei der digitalen Anleihe der Europäischen Investitionsbank arbeitete eine öffentliche Bank erstmals mit einer Gruppe privater Banken zusammen, um Anleihen über die Blockchain zu verkaufen. Die Europäische Investitionsbank bestand darauf, bei ihrer ersten digitalen Anleihe mit einer Gruppe Banken zusammenzuarbeiten, damit der Verkauf einem klassischen Anleiheverkauf ähnelt.
Geringere Kosten und mehr Transparenz
Ein Anleiheverkauf ist kompliziert und zeitaufwendig, vor allem wenn mehrere Banken beteiligt sind. Blockchains bieten großen Finanzinstituten, die womöglich jedes Jahr Anleihen im Volumen von mehreren Milliarden Euro begeben, viele Vorteile. Beispielsweise ersparen sie den Banken viel bürokratischen Aufwand, der sie manchmal Monate kosten kann. Die meisten Dokumente im Zusammenhang mit Underwriting, Zeichnung und Verteilung von Anleihen können in einer Blockchain gespeichert werden, was Zeit spart.
Die Digitalisierung der Kapitalmärkte kann außerdem die Fixkosten senken und die Transparenz erhöhen, weil sich Handelsströme und Aktivitäten auf dem Sekundärmarkt leichter zurückverfolgen lassen.
„Viele Leute sind sich der Vorteile der Blockchain-Technologie nicht bewusst“, sagt Richard Teichmeister, der Leiter der Mittelbeschaffung in der Europäischen Investitionsbank. „Sie hat das Potenzial, den Finanzsektor zu verändern und könnte das Leben vieler Menschen verbessern.“
Wenn es schnell gehen soll
Die Geschwindigkeit ist laut Teichmeister ein weiterer großer Vorteil von Blockchains weil viele Dinge schneller erledigt werden können oder ganz wegfallen. Künftig könnten einige der administrativen Aufgaben bei der Emission von Anleihen, wie etwa die Erstellung der Dokumentation und die Abwicklung auf dem Primärmarkt innerhalb von Stunden statt wie heute von Tagen oder gar Wochen erledigt werden.
„Die Blockchain ist in einem größeren Zusammenhang zu sehen, da sie mehr Transparenz, Digitalisierung, Geschwindigkeit und Effizienz schafft“, so Whelan, der Kryptowährungsexperte der spanischen Bank. „Auf lange Sicht könnte das die Kapitalmärkte nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für kleine Firmen und selbst Einzelpersonen attraktiv machen.“
Entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Blockchain nicht dasselbe wie Kryptowährung. Die Blockchain ist die Technologie, die Kryptowährungen nutzen, um Transaktionen aufzuzeichnen und zu speichern.
In der Finanzwelt ist eine Blockchain am ehesten mit dem Hauptbuch einer Bank zu vergleichen, in dem früher Transaktionen und Finanzausweise per Hand aufgezeichnet wurden. Eine Blockchain ist eine digitale Version dieses Buches, die online gespeichert wird und von der Kopien auf vielen Computern an vielen Orten abgelegt werden. Diese Vervielfachung und Verifizierung verhindert Fehler und Hackerangriffe. Blockchains werden oft auch „verteilte Hauptbücher“ genannt, weil sie an viele Teilnehmende gesendet werden, die die Daten prüfen und die Richtigkeit der Informationen sicherstellen.
Was ist ein dezentrales System?
Die Blockchain selbst ist lediglich eine Liste von Datensätzen (die sogenannten Blöcke), in denen Transaktionen aufgezeichnet und mithilfe von Kryptografie als Kette miteinander verknüpft werden. Jeder Block enthält einen Zeitstempel und Transaktionsdaten. Die Blockchain wird auch als „dezentrales“ System bezeichnet, weil sie auf vielen Computern gespeichert und vervielfältigt wird. Jedes Mal, wenn eine neue Transaktion auf der Blockchain stattfindet, wird ein Datensatz dieser Transaktion automatisch von allen geprüft.
Teichmeister vergleicht den Vorgang mit Urlaubsgrüßen:
„Vor dreißig Jahren haben wir aus dem Urlaub eine Postkarte nach Hause geschickt. Die kam dann eine Woche später an. Heute machen wir ein Selfie, schicken es per E-Mail oder posten es in den sozialen Medien: Der Urlaubsgruß wird in Sekundenschnelle übertragen. Das ist der Vorteil der Blockchain“.
Öffnung der Märkte
Whelan von der Banco Santander glaubt fest daran, dass diese neue Technologie den Finanzsektor für alle zum Positiven hin verändert. Die jüngste Transaktion mit der Europäischen Investitionsbank ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, meint er.
Und fügt hinzu: „Öffentliche Blockchains, die niemand direkt kontrolliert und die genutzt werden, um geschäftliche Transaktionen jeglicher Art aufzuzeichnen, erweisen sich gerade als unglaublich wirkungsvoll. Sie können überall nützlich sein, für Menschen und Unternehmen. Wir haben erst einen winzigen Bruchteil dessen gesehen, was kommen wird."