Welche Restaurants oder Hotels sind auch für Menschen mit Behinderungen ausgelegt? Eine Unternehmerin hat dafür eine App entwickelt

Vor gut zehn Jahren verkaufte Fiona Jarvis noch Softwaresysteme in London. Dann fingen die Gleichgewichtsstörungen an. Nach verschiedenen Tests kam die Diagnose: Multiple Sklerose. Mit fortschreitender Erkrankung fiel Jarvis die Arbeit immer schwerer. „Wenn ich zum Mittagessen ging, musste ich darauf achten, dass es im Restaurant eine barrierefreie Toilette gab – und keine Stufen“, erinnert sie sich. „Auch dicke Teppiche waren ein No-Go, denn darauf läuft es sich mit einem Gehstock schwer.“  

Jarvis wusste mit der Zeit, welche Restaurants, Hotels und andere Locations barrierefrei waren. Irgendwann merkte sie, dass ihr Wissen auch für andere Leute nützlich sein könnte, und packte es auf eine Website.

Bei einem App-Entwickler-Kurs am University College London bot ihr der Dozent an, eine App dafür zu programmieren. Blue Badge Style war geboren.

Eine App für Menschen mit Behinderung

Die Blue Badge Style-Website samt App ist wie ein Michelin-Führer für Menschen mit Behinderung. Jarvis und einige Freiwillige schreiben die Bewertungen. Sie prüfen Locations im Vereinigten Königreich und Europa auf Design, Barrierefreiheit und die vorhandenen Einrichtungen. Am Ende gibt es eine Note: entweder ein, zwei oder drei blaue Häkchen. Die App-Community kann ihre eigenen Bewertungen beisteuern. 

>@Blue Badge Style
© Blue Badge Style

Die Bewertung einer Londoner Austern-Bar mit zwei Häkchen liest sich so: „Man muss auf einen Tisch warten, aber es lohnt sich. Die Meeresfrüchteplatte ist ein echtes Erlebnis. Der Haupteingang hat Stufen, aber die Kellner bringen eine tragbare Rampe. Kritikpunkt: Die Toiletten haben zwar Haltebügel, sind aber leider nicht groß genug für einen Rollstuhl.“

Jarvis ist mittlerweile auf einen Rollstuhl angewiesen. Das sollte aber niemanden daran hindern, auszugehen und Spaß zu haben, findet sie.

„Auch Stil und Design sind für Menschen mit Behinderung wichtig. Damit sie sich wohl fühlen, auch mental. Und das gilt nicht nur für teure Restaurants und Hotels, sondern beispielsweise auch für Biker-Kneipen, also eher einfache Locations.“

Einem ihrer Lieblingshotels gab Jarvis drei Häkchen: „Die Rampe am Eingang ist etwas steil, aber der Portier ist sehr hilfsbereit. Die Bar ist extrem geräumig, mit ausreichend Platz für Rollstühle. Außerdem ist der Fußboden eben – gut für Leute mit Gehstöcken.“

2014 erhielt Blue Badge Style beim Wettbewerb für Soziale Innovation der Europäischen Investitionsbank den ersten Preis in der Sonderkategorie „Städtische und natürliche Umgebung“. Der Wettbewerb zeichnet soziale Unternehmen aus, die gesellschaftlich oder ökologisch etwas bewegen.

Punkte für Barrierefreiheit mit Stil

Seit 2016 veranstaltet Jarvis auch jedes Jahr den Blue Badge Access Award, den sie zusammen mit dem am Guillain-Barré-Syndrom erkrankten Hotelier Robin Sheppard ins Leben gerufen hat.

„Robin hatte einen Design-Wettbewerb gestartet, damit Menschen mit Behinderung auch etwas fürs Auge geboten wird“, erklärt sie. „Früher bekamen sie andere Zimmer als die anderen Hotelgäste, Zimmer mit Krankenhaus-Feeling. Der Wettbewerb sollte Designer dafür sensibilisieren, dass Menschen mit Behinderung auch Wert auf ein schönes Umfeld legen.“

>@Blue Badge Style
© Blue Badge Style

Auftakt der Blue Badge Style Awards: Starkoch Michael Caines, Blue Badge Style-Gründerin Fiona Jarvis und Award-Mitgründer Robin Sheppard (v.l.n.r.)

Bei den Awards werden verschiedene Kategorien bewertet, darunter beste Bar, unmöglichste Toilette und in diesem Jahr erstmals die beste internationale Location.

Doch nicht nur Hotels und Restaurants erhalten Preise. 2017 wurde Downing Street Nr. 10 ausgezeichnet: für die Investition in einen äußerst eleganten Rollstuhllift. Zudem werden in einem Designwettbewerb 20 000 britische Pfund für die besten Neuerungen für Gäste mit Behinderung ausgelobt.

Laut Jarvis ist der Access Award mittlerweile wichtiger als die Website. Er wird von Sponsoren gefördert, die merken, dass sich hier in den Bereichen Tourismus, Bewirtung und Dienstleistungen ein enormer Markt auftut. „Es gibt ja nicht nur die Person mit Behinderung, sondern auch ihre Freunde und Familie“, erklärt sie. „Im Vereinigten Königreich sind das immerhin 25 Prozent der Bevölkerung – eine solche Zielgruppe wollen Sie nicht ausschließen.“

2022 führte einer von Sheppards Zulieferern ein Audit durch. Das Ergebnis: Ein barrierefreies Hotel bringt 200 000 Pfund mehr Umsatz pro Jahr.

Wenn Unternehmen Menschen mit Behinderung als zahlende Gäste betrachten und nicht als Gesundheits- und Sicherheitsproblem, dann kann das die Tür öffnen für mehr gesellschaftliche Teilhabe.

Virtueller Rundgang

Blue Badge Style finanziert sich auch über sogenannte Zugangsgalerien und Audits der Barrierefreiheit vor Ort. Auf Fotos und Videos können Nutzerinnen und Nutzer vorher sehen, was sie erwartet und mit welchen Hindernissen sie rechnen müssen.

>@Blue Badge Style
© Blue Badge Style

Zugangsgalerien zeigen den Menschen, was sie erwartet

Jetzt denkt Jarvis darüber nach, die App um spielerische Aspekte zu erweitern. „Die Idee ist: Ein Avatar mit Ihrer Behinderung führt Sie durch ein Hotel oder Restaurant und zeigt Ihnen, was wichtig für Sie ist.“

Blue Badge Style hat das Leben Tausender Menschen bereichert. Eine beinamputierte Nutzerin mit einem Faible für Designerhandtaschen schrieb dem Team: „WOW! Was für eine tolle Website! Ich habe nach bequemen Polstern und Handauflagen für meine Gehhilfe gesucht und bin dabei auf euch gestoßen. Chapeau Fiona für deinen Mut, Humor und deinen STIL! Endlich eine Gleichgesinnte!“