Innovative Gesundheits-App erspart älteren Menschen daheim den Umgang mit kniffliger Technik
Wer María González Manso zu ihrer KI-gestützten Pflegeplattform für Senioren Tucuvi motiviert hat? Ihre Freundin und Nachbarin Carmen. Die Seniorin lebt in Segovia, wo María González Manso aufgewachsen ist und ihre Familie auch heute noch wohnt. „Carmen ist 80 und hat mehrere chronische Erkrankungen, die überwacht werden müssen. Sie hatte aber daheim nicht die technische Ausstattung dafür“, erklärt die Start-up-Gründerin.
Je länger sie nach Lösungen für Carmen suchte, desto mehr wurde klar: Vielen anderen geht es ähnlich. „Es gibt zwar jede Menge Apps und Wearables wie Smartwatches. Doch mehr als 80 Prozent der Senioren – inklusive Carmen – kommen damit nicht zurecht. Zudem fehlt es an medizinischen Fachkräften, um diese Zielgruppe bedarfsgerecht zu betreuen“, so die Biomedizintechnikerin.
Gemeinsam mit Tucuvi-Mitbegründer Marcos Rubio Rubio, ebenfalls Biomedizintechniker, wollte sie eine technologische Lösung für ältere Menschen finden, damit sie zu Hause so gesund und sicher wie möglich leben können. Gleichzeitig soll das Befinden von chronisch Kranken überwacht werden.
Die beiden gründeten Tucuvi – eine virtuelle Pflegekraft, die mithilfe künstlicher Intelligenz ältere Patienten anruft und hört, wie es ihnen geht. Sie erfasst ihre Antworten und informiert die Klinik oder das Krankenhaus, falls ein persönlicher Besuch notwendig erscheint. Damit bleibt älteren, technisch weniger versierten Patienten erspart, einen Computer oder ein Smartphone bedienen zu müssen.
Täglicher Gesundheitscheck per Telefon
„Wir wollen, dass versorgungsbedürftige Senioren zu Hause betreut werden können“, so María González Manso. „Unsere KI-Stimme spricht wie eine Krankenschwester mit den Patienten.“
Gleichzeitig entlastet die Plattform Krankenhäuser und Gesundheitsdienste: Sie können die Anzahl ihrer Patienten besser steuern und sich so zeitnah um diejenigen kümmern, die Hilfe brauchen.
Tucuvi gehörte zu den Finalisten des Wettbewerbs für Soziale Innovation 2020. Mit dieser Leitinitiative fördert und prämiert das EIB-Institut die besten europäischen Unternehmerinnen und Unternehmer, die vor allem eine soziale, ethische oder ökologische Wirkung anstreben.
Tucuvi arbeitet mit mehreren Krankenhäusern und Gesundheitsdiensten in Spanien und Portugal zusammen. Nun will das Unternehmen nach Südamerika expandieren. Bis Ende 2021 soll die Plattform 100 000 Patientinnen und Patienten erreichen.
Tucuvi passt sein Programm an den Bedarf des jeweiligen Krankenhauses oder Gesundheitsdienstes an. Für jede Region und für jede zu überwachende Krankheit muss die KI „geschult“ werden. Nur so kann sie die richtigen Fragen stellen und die Dialekte und Ausdrucksweisen älterer Patientinnen und Patienten verstehen. Dieser Lernprozess dauert bis zu drei Monate. „Danach lernt die KI von allein“, versichert María González Manso.
Soforthilfe in der Covid-19-Krise
Das Programm von Tucuvi hilft Patienten mit chronischen Herzproblemen, Krebs- und Atemwegserkrankungen. Je nach Bedarf des Gesundheitsdienstes kann Tucuvi verschiedene Leistungen erbringen. Zum Beispiel bietet die Plattform für Patienten mit Demenz oder Alzheimer Spiele an, die Gedächtnis, Sprache und kognitive Fähigkeiten stimulieren.
Tucuvi hat auch in der Covid-19-Krise geholfen. „Wir arbeiten mit einem Krankenhaus zusammen, das häusliche Covid-Kranke kontinuierlich überwacht. 85 Prozent der Anrufe bearbeitete unser System eigenständig, und nur 15 Prozent mussten wir an das Krankenhaus weiterleiten. Dadurch konnte das Personal Zeit sparen und sich um die Kranken kümmern, die wirklich Hilfe brauchten.“
Nun will Tucuvi herausfinden, wie sich mit künstlicher Intelligenz nicht nur feststellen lässt, was die Patienten antworten, sondern in welcher Verfassung sie tatsächlich sind.
Die Expertin nennt ein Beispiel aus der Covid-Krise: „Manchmal antworten die Patienten ‚Alles in Ordnung. Mir geht’s gut‘. Aber in Wirklichkeit weinen sie. Sie sagen das nur, weil sie niemandem zur Last fallen wollen. Daher müssen wir auch analysieren, wie sie sich fühlen.“
Darauf soll die Plattform nun mithilfe künstlicher Intelligenz geschult werden.
Tucuvi will älteren Menschen helfen, weiter in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können – ohne Angst, plötzlich ins Heim oder ins Krankenhaus zu müssen.
„Solange die Leute gesund bleiben, können sie auch weiter zu Hause wohnen. Und genau das wollen wir erreichen.“
Marías Freundin Carmen lebt nach wie vor zu Hause in Segovia und ist immer noch sehr aktiv. „Gestern hat sie für uns Kekse gebacken“, strahlt María. „Hauptsache, sie weiß, dass wir für sie da sind.“