Um den Stromklau zu stoppen, versorgt Eletropaulo die Favelas in São Paulo zum vergünstigten Tarif – für mehr soziale Teilhabe und Gendergerechtigkeit
São Paulo in einer stürmischen Regennacht.
Eine Frau spült Geschirr. Nebenan läuft der Fernseher. Mit kurzen Unterbrechungen, weil immer mal wieder der Strom weg ist. Vor dem Schlafengehen muss sie den Stecker ziehen, sonst hat der Kühlschrank über Nacht nicht genug Strom.
Erst vor ein paar Tagen gab es wieder einen Blackout, und alle Lebensmittel waren hinüber. Sie konnte nicht einmal ihren Mann übers Festnetz anrufen. Seit er illegal das Stromnetz angezapft hat, ist das alles zur Routine geworden.
Hätte sie einen Job, könnten sie sich einen legalen Anschluss leisten. Aber als Frau hat man in den Favelas, wie die Armenviertel in Brasilien genannt werden, kaum Chancen.
Enel São Paulo wollte das ändern und beschloss, die Menschen in den Slums von São Paulo zum Sondertarif an das Stromnetz anzuschließen.
Der Versorger ist einer der größten Energieverteiler der Enel-Gruppe in Lateinamerika und der größte in Brasilien. Allein in der Metropolregion São Paulo versorgt Enel 7,6 Millionen Kunden in 24 Städten.
„Wenn Sie in den Favelas nach oben schauen, sehen Sie diesen Kabelsalat an den Strommasten“, erklärt Martina Cimarosa, die als Associate Investment Officer bei der Europäischen Investitionsbank einen Kredit für den Netzausbau von Enel São Paulo mitbetreut hat. „Da ist wirklich viel zu tun. Der Kredit für Enel São Paulo dient vor allem dazu, die Servicequalität zu verbessern. Geplant sind neue Netzleitungen und zusätzliche Ausrüstung für mehr Effizienz.“
Womit niemand gerechnet hatte: Das Projekt hat auch einen sozialen Nutzen. Vor allem für Frauen.
„Die verschiedenen Facetten des Projekts überraschten uns selbst“, erzählt Moa Westman, Gender-Expertin bei der Europäischen Investitionsbank. „Eigentlich ging es darum, die Stromverteilung in den Favelas stabiler und zuverlässiger zu machen. Aber dann stellten wir fest, dass die meisten Haushalte von Frauen geführt werden. Damit bekam das Projekt eine Genderkomponente und trägt nun auch zur sozialen Teilhabe bei.“
Von der Europäischen Investitionsbank bekam Enel São Paulo ein Darlehen über 200 Millionen US-Dollar. Mit dem Geld will das Unternehmen die Netzverluste verringern und die Energieversorgung in der Region São Paulo zuverlässiger machen.
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Weniger Stromverluste und mehr gelebte Bürgerrechte
Brasilien ist mit rund 36 Prozent der größte Energieverbraucher in Südamerika. Doch der Stromdiebstahl liegt landesweit bei 15 Prozent, im Norden sogar über 50 Prozent. Allein 2020 entstand dadurch ein Schaden von 6,5 Milliarden Real (rund 1,15 Millionen Euro).
In Randgebieten untersucht Enel São Paulo zunächst den sozialen und wirtschaftlichen Kontext. Dazu sucht das Unternehmen Community-Leader und bindet sie in sein „Leadership Network“ ein, um herauszufinden, was die Menschen brauchen und wo es hakt.
Dann analysiert Enel die täglichen Gewohnheiten und den Energieverbrauch der Bewohnerinnen und Bewohner.
Anschließend klären die Leader über die Risiken illegaler Leitungen auf und sensibilisieren für den sicheren, verantwortungsvollen Umgang mit Strom.
Enel São Paulo hilft den Menschen auch, Strom zu sparen – mit neuen Elektroinstallationen, moderneren Lampen und energieeffizienteren Kühlschränken.
„Indem wir die Favelas legal an das Stromnetz anschließen, verringern wir unsere Netzverluste, für die sonst unsere zahlenden Kunden aufkommen müssen“, erklärt Marcia Massotti, bei Enel Brasilien für Nachhaltigkeit zuständig. „Wenn wir die Menschen legal versorgen, haben wir auch weniger Netzausfälle durch illegale Leitungen, die Kurzschlüsse verursachen.“
Aber warum sollten sich die Menschen für einen legalen Anschluss interessieren, wenn sie den Strom auch gratis haben können? Geringverdiener, die unter einem bestimmten Verbrauch bleiben, bekommen den Strom zum vergünstigten „Sozialtarif“.
Mit einem legalen Stromanschluss können die Menschen auch ihre Bürgerrechte wahrnehmen. Das ist vor allem für Frauen wichtig. Denn nur wer eine Adresse nachweisen kann, hat auch Zugang zu anderen Dienstleistungen.
„Mit einer Hausnummer und einem eigenen Briefkasten haben die Menschen in den Favelas eine Chance auf soziale Teilhabe“, sagt Massimo Merighi, Senior Technical Adviser bei der Europäischen Investitionsbank. „Nur mit einem Wohnsitz kann man sich auch im Grundbuch eintragen lassen, eine Sozialversicherungsnummer bekommen und ein Bankkonto eröffnen – scheinbar kleine Dinge, die aber für die soziale Teilhabe enorm wichtig sind. Die Leute können sich dann auch für Sozialprogramme bewerben.“
Für mehr soziale Chancen
Um enger mit seinen Kunden und den Menschen in den Randgebieten zusammenzuarbeiten, hat Enel São Paulo das Programm „Enel Shares“ gestartet. Es soll den Ärmsten der Armen sozial und wirtschaftlich auf die Beine helfen.
„Soziale und Umweltprojekte führen wir in erster Linie mit den Menschen in den Favelas durch“, so Massotti. „Dort helfen soziale Initiativen den Menschen, Fuß zu fassen. Vor allem nach der Pandemie. Denn die hat gerade die Ärmsten noch ärmer gemacht.“
Bei dem Enel-Projekt „Hortas em Rede“ in São Paulo bauen die Menschen unter fachlicher Anleitung in urbanen Gemeinschaftsgärten Gemüse an. Zielgruppe sind vor allem Frauen und Männer über 50. Das Projekt ist wirtschaftlich und sozial ein Gewinn und gibt den Menschen die Chance, sozialen Wandel mitzugestalten.
„So werden die Menschen zu Aktivisten. Und in den Nachrichten über die Favelas geht es dann nicht mehr nur um Gewalt und Armut, sondern um Chancen, wirtschaftliche Entwicklung, unternehmerische Initiative, Kultur und Innovation“, versichert Massotti.
Neue Chancen für Frauen
2021 wurden 48 Prozent aller brasilianischen Haushalte (fast 34,8 Millionen) von Frauen geführt. Gleichzeitig waren aber nur 53 Prozent der Frauen erwerbstätig, gegenüber 73 Prozent der Männer. Die Arbeitslosenquote beträgt bei den Frauen 14 Prozent; bei den Männern sind es 9,2 Prozent.
Im Bundesstaat São Paulo sind 83 Prozent aller Nothilfe-Empfänger Frauen, so das Staatssekretariat für Bürgereinkommen im Bürgerministerium. Das heißt, in acht von zehn sozial schwachen Familien sind Frauen das Familienoberhaupt – und beziehen auch den Strom zum Sozialtarif.
Die Projekte von Enel São Paulo – vor allem für soziales Unternehmertum und Berufsausbildung – richten sich in erster Linie an Frauen. Denn sie haben weniger Chancen, werden auf dem formellen Arbeitsmarkt schlechter bezahlt und sind oft Opfer häuslicher Gewalt.
„Unsere Projekte für soziales Unternehmertum geben vielen Frauen eine Zukunftschance“, erklärt Massotti. „Sie schließen sich zusammen und verdienen mit ihrer Arbeit eigenes Geld. Das stärkt auch ihr Selbstwertgefühl.“
Die Projekte könnten auch dazu beitragen, dass Frauen künftig im Energiesektor stärker vertreten sind. Derzeit machen sie nur 16 Prozent des traditionellen Energiesektors aus – für die Branche ein erhebliches Hindernis im Transformationsprozess.
Auch da will die ENEL-Gruppe ansetzen. „Wir wollen die Energiearmut an allen Fronten bekämpfen. Darin sehen wir unseren Auftrag“, so Massotti. „Mit solchen Projekten können mehr Menschen und vor allem Frauen aus sozial schwachen Verhältnissen unser Angebot nutzen. Wir wollen einen inklusiven, gendergerechten Energiesektor. Deshalb werden wir weiter am Ball bleiben, immer mit der Wirkung für die Menschen im Blick.“