CO2 hat ein Image-Problem. Dabei kann man richtig gute Produkte daraus herstellen. Am Ende hilft es uns vielleicht sogar, auf dem Mars zu leben.
„Die meisten sehen in CO2 nur ein Abfallprodukt, aber unser Forschungsteam hat sich angesehen, wie man es sinnvoll nutzen kann“, sagt Sebastian Pohlmann, Technologiechef bei UP Catalyst, einem Start-up in Estland, das aus CO2 hochwertiges Material für E-Auto-Batterien, den Verteidigungssektor und die Baubranche herstellt. „Wir haben herausgefunden, dass in diesem sogenannten Abfall echtes Wertpotenzial steckt.“
Der Klimawandel und die Knappheit kritischer Rohstoffe sind für Europa momentan zwei der größten Herausforderungen. UP Catalyst hat eine Methode entwickelt, um aus dem Klimakiller CO2 Nanomaterialien und Grafit herzustellen. Grafit ist ein Mineral, das vor allem in der Batterieindustrie gebraucht wird, in Europa aber nicht beliebig verfügbar ist.
Wertvolle Kohlenstoff-Nanomaterialien
In Experimenten, die am Nationalen Institut für Chemische Physik und Biophysik in Tallinn begannen, haben Forscherinnen und Forscher von UP Catalyst herausgefunden, dass sie aus CO2 wertvolle Einsatzstoffe für die unterschiedlichsten Industriezweige herstellen können. Konkret sind das Materialien wie Kohlenstoff-Nanoröhren und Grafit. Das angewandte Verfahren MSCC-ET kommt von der NASA, die damit in Raumschiffen Sauerstoff herstellt.
Hier sind Kohlenstoff-Nanomaterialien und Grafit besonders wertvoll:
- Energie: Kohlenstoff-Nanomaterialien erhöhen die Leistung von Batterien, Brennstoffzellen, Superkondensatoren und Solarzellen. Grafit ist wegen seiner hohen Energiedichte ein wichtiges Material für Batterien
- Farben und Beschichtungen: Kohlenstoffdispersionen verbessern die elektrische Leitfähigkeit, die mechanische Festigkeit sowie die Feuer- und Korrosionsbeständigkeit
- Bau: Wegen der hohen Elastizität, Zugfestigkeit und Streckgrenze von Nanomaterialien lässt sich damit Beton verstärken, sodass weniger Beton notwendig ist
- Verbundstoffe: Die besonderen Eigenschaften – darunter elektrische Leitfähigkeit, thermische und chemische Stabilität, strukturelle Flexibilität und große Oberfläche – machen Kohlenstoff-Nanomaterialien ideal für neue Verbundstoffe
- Filtersysteme: Kohlenstoff-Nanomaterialien können entweder direkt als Filter dienen oder Membrane verstärken und kommen deshalb bei der Entsalzung und Reinigung von Wasser zum Einsatz. In Luftfiltern nehmen sie Gase wirksam auf
- Elektronik: Graphen und Kohlenstoff-Nanoröhren (CNTs) sind vielversprechende Materialien für elektronische Geräte. Vor allem CNTs eignen sich gut als Kanalmaterialien in Transistoren.
CO2-negativ!
In der Industrie kommt heute vor allem synthetischer Grafit aus China zum Einsatz. Das Produkt von UP Catalyst hat im Vergleich dazu große Vorteile: Normalerweise verursacht die Herstellung von synthetischem Grafit hohe CO2-Emissionen, die beim Erhitzen von Erdölnebenprodukten entstehen. UP Catalyst bewirkt das Gegenteil, verringert also die CO2-Belastung, denn es nutzt CO2 aus Biogasanlagen als Einsatzstoff für die Grafit-Herstellung; der nötige Strom kommt aus erneuerbaren Quellen.
„Synthetischer Grafit ist in der Regel ein sehr CO2-intensives Produkt, das letztlich aus Erdölraffinerie-Rückständen hergestellt wird“, sagt EIB-Berater Jonas Wolff. „Da UP Catalyst aber CO2-Emissionen von Biokraftstoffen nutzt, zieht das Unternehmen praktisch CO2 aus dem Verkehr. Das heißt, es scheidet das Treibhausgas dauerhaft ab. Für unsere Klimaziele ist das enorm wertvoll.“
Ein weiterer positiver Aspekt: UP Catalyst könnte mit seinem Verfahren die Abhängigkeit der EU von Grafit-Importen aus China verringern, die aktuell rund 95 Prozent des Bedarfs decken. Das Unternehmen will eine Viertelmillion Tonnen CO2 in Grafit umwandeln. Die Europäische Kommission hat das Potenzial der Technologie erkannt und das Projekt als eines von 47 strategischen Projekten für kritische Rohstoffe eingestuft. Dadurch profitiert es von einer koordinierten Unterstützung durch die Europäische Kommission, die EU-Länder und Finanzinstitute sowie von beschleunigten Genehmigungsverfahren.
Skalierung ist teuer und komplex
Die Europäische Investitionsbank fördert Investitionen von UP Catalyst in eine neue Anlage mit 18 Millionen Euro an Venture Debt – einer Art Kredit, der Unternehmen in der Frühphase Liquidität bietet, ohne die Anteile der Eigentümer zu verwässern. Dank des Kredits, der über eine Garantie aus dem EU-Haushalt besichert ist, kann UP Catalyst in dem Projekt mit erwarteten Gesamtkosten von 46,43 Millionen Euro zwei neue chemische Reaktoren bauen.
„Unseren Prozess würde man als Deeptech bezeichnen“, sagt Pohlmann von UP Catalyst. „Wir reden hier nicht von Software, sondern von Hardware, von Chemie. Es erfordert viel Geld und viele Schritte, um das System zu skalieren. Mit dem EIB-Kredit wollen wir für unsere Technologie der dritten und der vierten Generation erstmals eine Pilotanlage im industriellen Maßstab bauen.“
„Zuerst lag unsere Produktion im Labor im Grammbereich, dann haben wir uns auf Kilogramm gesteigert, aber für den Markt müssen wir täglich Hunderte von Kilogramm produzieren“, sagt Pohlmann.
Das Unternehmen aus Estland kann übrigens buchstäblich in den Himmel wachsen: Gemeinsam mit der Europäischen Weltraumorganisation lotet UP Catalyst aus, wie das Verfahren auf dem Mars zur Produktion von Sauerstoff beitragen könnte. Dort enthält die Atmosphäre 96 Prozent CO2 und nur 0,1 Prozent Sauerstoff.