Die European Tech Champions Initiative (ETCI) soll europäische Technologie-Scale-ups finanzieren und Europas Markt für Venture Capital einen kräftigen Schub geben
Von Gelsomina Vigliotti und Marjut Falkstedt
Ob Klima, Geopolitik oder neue Technologien – die Welt verändert sich so rasant wie nie zuvor.
Um in diesen volatilen Zeiten die Weichen auf Erfolg für die Zukunft zu stellen, müssen wir heute massiv in Innovation investieren. Nur so können wir wettbewerbsfähig und technologisch souverän bleiben und erfolgreich auf eine klimaneutrale Wirtschaft umsteuern.
Anders als in den USA oder Asien fehlt in Europa der Unterbau für große Risikokapitalinvestitionen. Deshalb greift nun die EIB-Gruppe ein: mit einer neuen Investitionsplattform, die dem Venture-Capital-Markt in Europa Auftrieb geben soll.
Das Innovationspotenzial in Europa ist enorm. Schließlich gehört das Bildungssystem hier zur Weltspitze. Wir sind stolz auf unsere lange Tradition weltbewegender Innovationen, von der Druckerpresse über den Verbrennungsmotor bis hin zur ersten mRNA-Impfung gegen Covid-19.
Viele europäische Unternehmen gehören heute zur Weltspitze, und das in unterschiedlichsten Branchen.
Im letzten Jahrzehnt hat Europa eine dynamische Start-up-Szene aufgebaut. Daraus sind Global Player hervorgegangen (darunter über 70 Einhörner) und über zwei Millionen Arbeitsplätze entstanden. Zwischen 2010 und 2020 haben sich die Investitionen in europäische Start-ups versechsfacht: auf rund 40 Milliarden Euro.
Das Problem ist die Phase nach dem Start. Denn bei der Pflege junger Unternehmen ist Europa weniger erfolgreich. Nur selten werden aus diesen Hoffnungsträgern die Branchenführer von morgen.
Und nur allzu oft schaffen es vielversprechende europäische Start-ups nicht, sich das Kapital für ihre weitere Expansion zu beschaffen. Deshalb wandern sie entweder in die USA ab, wo Risikokapital reichlich vorhanden ist, oder sie verkaufen sich an größere Rivalen mit tieferen Taschen.
Im Jahr 2020 war bei fast einem Viertel aller europäischen Venture-Capital-Deals mindestens ein Investor aus den USA oder Asien an Bord. Von europäischen Investoren kam meist nur ein kleiner Teil des eingeworbenen Kapitals, vor allem bei den ganz großen Deals.
Einer der Gründe dafür ist, dass es in Europa schlicht und einfach deutlich weniger Risikokapitalfonds gibt als in den USA – vor allem keine großen Fonds, die das nötige Kapital für ein Scale-up der erfolgreichsten Unternehmen stemmen können.
Die USA kommen im Vergleich zu Europa auf dreimal so viele Risikokapitalfonds mit einem Investitionsvolumen von 200–500 Millionen Euro. Bei Fonds zwischen 500 Millionen Euro und einer Milliarde Euro aufwärts sind es sogar sechs- bis achtmal so viele. Kein Wunder, dass Start-ups in den USA meist weitaus mehr Geld aufnehmen können als in Europa, und zwar bis zum Fünffachen.
Wenn Europa nicht den Anschluss verlieren will, muss es diese Risikokapitallücke schließen, und zwar schnell.
Zu diesem Zweck hat die EIB-Gruppe gerade gemeinsam mit mehreren EU-Ländern die European Tech Champions Initiative (ETCI) ins Leben gerufen.
Die ETCI soll europäische Risikokapitalfonds über einen Dachfonds unterstützen, damit diese dringend benötigtes Late-Stage-Kapital für vielversprechende europäische Innovatoren bereitstellen können.
Verwaltet wird der Fonds vom Europäischen Investitionsfonds (EIF), der Tochtergesellschaft der EIB, die Eigenkapitalfinanzierungen anbietet. Bisher kamen erste Zusagen über 3,75 Milliarden Euro von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Belgien und der EIB-Gruppe.
In Zukunft soll der Fonds durch frisches Kapital weiter wachsen. Es ist der erste Dachfonds seiner Art in Europa, der sich an Firmen in der Wachstumsphase richtet. Er wird von der langjährigen Erfahrung des EIF beim Aufbau von Venture-Capital-Ökosystemen in ganz Europa profitieren.
Nach der Einweihung der ETCI am 13. Februar 2023 steht schon jetzt eine Pipeline von 10–15 Investitionen in große Venture-Capital-Fonds mit einem Volumen von etwa einer Milliarde Euro zu erwarten.
Das Ziel der ETCI: Investitionen von mehr als zehn Milliarden Euro in innovative Unternehmen in der Wachstumsphase mobilisieren. Mit einer solchen Summe würde sich der Abstand zu den USA deutlich verkleinern.
Die European Tech Champions Initiative ist wichtig, weil sie unsere vielversprechendsten Tech-Schmieden durch große Kapitalspritzen pusht. Doch sie tut noch mehr. Sie hilft auch dabei, eine Anlageklasse zu etablieren, die für institutionelle Anleger attraktiv ist und eine kontinuierliche Finanzierungsquelle für europäische Scale-ups erschließt.
Die Initiative steht im Zentrum konzertierter Bemühungen, die im Februar 2022 von Frankreich und Deutschland angestoßen wurden. Dabei geht es darum, das Finanzierungs-Ökosystem für Europas innovative Late-Stage-Unternehmen zu stärken.
Es steht viel auf dem Spiel. Europa braucht mehr Innovation – und dafür brauchen wir innovative Ideen.
Neue Technologieunternehmen und Innovationen entscheiden über die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften. Außerdem sind sie zentraler Bestandteil unseres Plans zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft und zur Bekämpfung des Klimawandels.
Gerade für diese Mammutaufgaben fehlen uns meist noch die Lösungen – deshalb ist Innovation so wichtig.
Nur wenn wir innovativ sind und Pionierunternehmen in Europa halten können, werden wir unsere technologische Souveränität, unsere Stellung in der Welt und unsere Fähigkeit bewahren, weltweit Maßstäbe zu setzen.
Gelsomina Vigliotti ist Vizepräsidentin der EIB und Vorsitzende des Verwaltungsrats des EIF.
Marjut Falkstedt ist geschäftsführende Direktorin des EIF.