Das alles ist Kreislaufwirtschaft!
Wussten Sie eigentlich, dass ein Drittel aller weltweit hergestellten Lebensmittel niemals auf dem Teller landet? Das sagen Schätzungen der Vereinten Nationen. Viele der Lebensmittel stammen aus dem Einzelhandel und sind noch einwandfrei genießbar. Aber niemand kauft sie, weil sie kleine Schönheitsfehler haben oder ihr Mindesthaltbarkeitsdatum fast erreicht ist.
Das französische Start-up Phenix hat dieser Vergeudung den Kampf angesagt. Bisher bezahlten Einzelhändler und Fabriken externe Firmen dafür, die unverkauften Lebensmittel zu verbrennen oder auf Deponien zu bringen. Mit der App von Phenix können Lebensmittelhändler jetzt auch Waren kurz vor dem Ablaufdatum noch verkaufen. Außerdem bringt das Unternehmen die Händler mit Organisationen zusammen, die Lebensmittelspenden suchen, und es gibt den unverkauften Lebensmitteln über neue Recyclingkanäle eine zweite Chance. Seine Kunden profitieren davon gleich doppelt: Sie sparen nicht nur das Geld für die Entsorgung der Lebensmittel, die Spenden an wohltätige Organisationen bringen oft auch Steuervorteile.
Fünf Prozent aller Lebensmittelspenden in Frankreich laufen bereits über Phenix. Das sind jeden Tag 100 000 Mahlzeiten oder 50 Tonnen Lebensmittel, die gerettet werden. Inzwischen ist das Unternehmen auch in Portugal und Spanien aktiv. Bpifrance, eine Tochter der Caisse des Dépôts et Consignations-Gruppe, hat mit anderen Investoren 15 Millionen Euro in Phenix investiert – Geld, mit dem das Unternehmen expandieren und international wachsen will.
Phenix ist ein Musterbeispiel für Kreislaufwirtschaft. Es führt vor, wie die traditionelle Linearwirtschaft die Kurve zur Nachhaltigkeit kriegen könnte. In traditionellen, linearen Geschäftsmodellen wird aus einem Rohstoff ein Endprodukt hergestellt – oft mit viel Abfall. Dieses Produkt wird dann verkauft, genutzt, entsorgt und durch ein neues ersetzt. Die Kreislaufwirtschaft hingegen funktioniert anders: Sie versucht, Produkte so zu gestalten, dass sie gar nicht erst auf dem Müll landen: Schon bei der Herstellung wird Abfall vermieden, und nach der Nutzung werden Materialien und Rohstoffe wiederverwertet.
Am 18. Juli 2019 haben fünf nationale Förderinstitute aus Polen, Italien, Frankreich, Deutschland und Spanien zusammen mit der Europäischen Investitionsbank eine gemeinsame Initiative für die Kreislaufwirtschaft auf den Weg gebracht. 5+1 Institute bündeln ihr Know-how aus vielen innovativen Kreislaufprojekten mit einem Ziel: Sie streben in den nächsten fünf Jahren Investitionen von zehn Milliarden Euro an, um die EU schneller auf den Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu bringen.
Fünf weitere Beispiele aus Europa zeigen, wie Kreislaufwirtschaft gehen kann:
Novamont ist ein Hersteller von Biokunststoffen. Die Zutaten dafür: Stärke, Zellulose und Pflanzenöle. Außerdem produziert das Unternehmen Bioschmierstoffe wie Hydraulikflüssigkeiten, Getriebeöle und Fette, die sich nach wenigen Tagen spurlos abbauen. Sie eignen sich daher besonders für ökologisch sensible Bereiche wie die Land- und Forstwirtschaft oder die Schifffahrt. Weitere Produkte sind biologisch abbaubare Mikropartikel für Peelings und andere Kosmetikbestandteile – alles auf Basis landwirtschaftlicher Ausgangsstoffe. Produziert wird in stillgelegten oder ausgedienten Fabriken – das ist Teil des Geschäftsmodells. So belebt das Unternehmen alte Industrieareale neu und schafft dort Jobs, wo vorher Stellen abgebaut wurden. Von der Europäischen Investitionsbank erhielt Novamont einen Kredit über 30 Millionen Euro. Das Geld soll in Produktion, Forschung und Entwicklung fließen.
Ein weiteres Beispiel für die Wiederbelebung verlassener Industriestandorte steht mitten in Mailand: Dort baute die Manifattura Tabacchi 1930 auf 90 000 Quadratmetern ein Lager für Rohtabak. In den 1990er-Jahren wurde die Produktion eingestellt und das Gelände aufgegeben. Bis die Cassa Depositi e Prestiti 40 Millionen Euro für die Sanierung in die Hand nahm. Das erste Gebäude mit insgesamt 17 000 Quadratmetern Wohn- und 2 000 Quadratmetern Bürofläche ist bereits fertig, und weitere werden folgen.
Im spanischen Soria steht das Biomasse-Fernheizwerk Red de Calor de Soria – betrieben mit Holzschnitzen der heimischen Holzindustrie. Spaniens Förderbank, das Instituto de Crédito Oficial, beteiligte sich über seine Risikokapitaltochter AXIS an diesem Projekt. Jährlich sollen 80 Gigawattstunden erneuerbare Energien erzeugt werden – damit lassen sich 8 000 Wohnungen von mehr als 16 000 Einwohnern beheizen und nebenbei 28 000 Tonnen CO2-Emissionen einsparen.
Kreislaufwirtschaft kann ganz einfach sein. Statt Gegenstände wegzuwerfen und dann neu zu kaufen, lässt sich ihre Nutzungsdauer oft verlängern. Genau das hat PKP SKM in Polen gemacht: Die regionale Bahngesellschaft im Großraum Dreistadt verbindet Danzig, Gdynia und Sopot an der Ostseeküste. Mit 55 Millionen Zloty (etwa 13 Millionen Euro) von der polnischen Bank Gospodarstwa Krajowego ließ das Unternehmen 22 Elektrotriebwagen generalüberholen, sodass es für die Züge jetzt heißt: Bahn frei für die nächsten 20 Jahre.
Bei unserem letzten Beispiel geht es ums Backen, genauer gesagt um die Hitze, die dabei entsteht. Sie kennen das aus Ihrer Küche? Dann stellen Sie sich die Temperaturen in einer Bäckerei vor, in der jeden Tag 4 500 Brote und 75 000 Brötchen gebacken werden! Eine solche Wärmeverschwendung lässt keinen Bäcker kalt.
Müller & Egerer, eine deutsche Traditionsbäckerei mit zahlreichen Filialen, hat für die viele heiße Luft eine sinnvolle Verwendung gefunden: Sie nutzt sie für ihre Spülmaschinen.
„Wir backen nachts, dabei entsteht Abwärme“, erklärt Jan-Christoph Egerer, der Geschäftsführer. Diese Abwärme kann tagsüber genutzt werden, um das Wasser der großen Industriespülmaschinen aufzuheizen.
Die Bäckerei nutzt die Energie auch, um Teiglinge im Gärunterbrecher herunterzukühlen und am Nachmittag wieder zu erwärmen. Für die Entwicklung dieses komplexen Abwärmesystems beauftragte Müller & Egerer einen zertifizierten Energieberater. Ein Kredit mit KfW-Förderung über 900 000 Euro half, das Projekt zu stemmen. Und bei Nachweis der erzielten Energieeinsparungen reduziert sich seine Rückzahlung um 150 000 Euro.
Schon jetzt spart Müller & Egerer knapp 650 000 Kilowattstunden Energie pro Jahr. Davon profitiert nicht nur die Bäckerei, sondern auch unsere Erde.
All diese Projekte sind erst der Anfang. Wir hoffen sehr, dass die zehn Milliarden Euro der 5+1 für Kredite, Eigenkapital und Garantien recycelt werden, um künftig noch mehr Projekte zu finanzieren – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.