In Zeiten wirtschaftlicher Krisen suchen Menschen finanzielle Sicherheit oft im Ausland. Für hochqualifizierte Wissenschaftler ist es leicht, woanders Arbeit zu finden, und viele verlassen ihre Heimat. Doch die Abwanderung von Fachkräften kann es für ein Land noch schwerer machen, die Krise zu überwinden. Wie lässt sich eine solche Abwanderung eindämmen?
Der Physiker Dr. Nektarios K. Nasikas, der im Bereich der material- und ingenieurwissenschaftlichen Forschung in Griechenland und in den Vereinigten Staaten tätig war, berät als wissenschaftlicher Sachverständiger den für Forschung und Innovation zuständigen griechischen Minister und bereitet gemeinsam mit Kollegen die Gründung der Stiftung „Hellenic Foundation for Resarch and Innovation“ vor, die im September vom Parlament gebilligt werden soll. Mit Unterstützung eines Darlehens der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 180 Millionen Euro und Finanzmitteln in Höhe von 60 Millionen Euro von Seiten der griechischen Regierung wird die Stiftung regelmäßig Ausschreibungen für Forschungsanträge durchführen, über die Vergabe von Mitteln für Forschungsgeräte entscheiden und Stipendien an junge talentierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben. Dr. Nasikas sprach mit EIB Connect über die Probleme, denen Griechenland bei der Förderung von Innovation und Forschung gegenübersteht, und über die Ziele der Stiftung.
Würden Sie sagen, dass in Griechenland seit dem Beginn der Wirtschaftskrise ein „Braindrain“ – eine Abwanderung von Wissenschaftlern – stattgefunden hat?
Ja, in der Tat, das lässt sich nicht bestreiten. Griechenland hat seit dem Beginn der Krise einen sehr hohen Preis bezahlt, was die Zahl der Menschen betrifft, die das Land verlassen haben. Landläufig spricht man schon vom „großen Exodus“. Einem Artikel des Finanzinformationsdienstleisters Bloomberg zufolge haben zwischen 2009 und 2014 mehr als 20 000 in Griechenland ausgebildete Forscherinnen und Forscher das Land verlassen, um dauerhaft im Ausland zu arbeiten. Diese Leute wurden an öffentlichen griechischen Universitäten und Forschungseinrichtungen ausgebildet und stellen eine Investition in die Entwicklung des Landes dar, die nun einfach verloren ist.
Welche Forschungsbereiche sind davon betroffen, und was kann die Stiftung nach Ihrer Ansicht tun, um zu helfen?
Alle Bereiche sind betroffen. Mobilität in der Forschung – „Brain Circulation“ – ist ein elementarer Bestandteil des Europäischen Forschungsraums und eine Voraussetzung für die Entwicklung einer wissensbasierten Wirtschaft. Die einseitige Abwanderung von Wissenschaftlern und Fachkräften, insbesondere von jungen begabten Menschen, stellt heute jedoch ein erhebliches Problem nicht nur für die griechische Wirtschaft, sondern für die griechische Gesellschaft insgesamt dar. Unsere Antwort auf das Phänomen der Abwanderung von Wissenschaftlern ist klar: Mit der Gründung der Stiftung wollen wir Forschern attraktive Chancen in Griechenland eröffnen und ein lebendiges Forschungsumfeld schaffen, das auf wissenschaftlicher Qualität beruht.
Eine Agenda für FuE in Griechenland
Welche Maßnahmen stehen kurzfristig auf der Agenda der Stiftung?
Zunächst einmal haben wir mit der EIB vereinbart, zehn Prozent des von ihr bereitgestellten Beitrags, also 18 Millionen Euro, sofort auszugeben. Diese Gelder fließen unmittelbar in Stipendien zur Unterstützung junger Forscherinnen und Forscher. Damit wollen wir dazu beitragen, die derzeitige Abwanderung von Akademikern aus Griechenland zu stoppen. Für diese Stipendien liegen bereits Entwürfe vor, und die Ausschreibungen für Forschungsanträge werden im September veröffentlicht. Wir hoffen, dass durch diese Maßnahme das herausragende wissenschaftliche Humankapital, das in diesem Land existiert, aktiv gefördert wird. Die verbleibenden 222 Millionen Euro werden über die nächsten drei Jahre verteilt. Sie ergänzen die Mittel, die bereits aus den EU-Strukturfonds in die Forschung fließen.
Wird die Stiftung bestimmte Forschungsfelder besonders fördern?
Bei der Einrichtung der Stiftung ging es uns darum, der Forschungsgemeinschaft einen Bottom-up-Ansatz zur Verfügung zu stellen. Wir möchten, dass Akademiker und Wissenschaftler aus einem breiten Spektrum von Disziplinen ohne fachliche oder geographische Einschränkungen die Forschungs- und Innovationslandschaft gestalten. Insofern liegt der Schwerpunkt eher auf von Neugier getriebener Forschung als auf bestimmten Fachrichtungen.
Gestaltung von FuE in Griechenland
„Wir möchten, dass Akademiker und Wissenschaftler aus einem breiten Spektrum von Disziplinen ohne fachliche oder geographische Einschränkungen die Forschungs- und Innovationslandschaft gestalten.“
Wie „gesund“ war die griechische Forschung vor der Schuldenkrise, und in welchem Umfang sind griechische Forscher von den Sparmaßnahmen betroffen?
Vor der Krise war die griechische Forschung bemerkenswert wettbewerbsfähig und produktiv, wenn man die im Vergleich zum EU-Durchschnitt relativ geringen prozentualen Ausgaben des BIP für diesen Bereich berücksichtigt. Die durchschnittlichen Bruttoinlandsausgaben für FuE (GERD) lagen in Griechenland zwischen 2003 und 2013 bei rund 0,6 Prozent, während sie in der EU 28 eher bei zwei Prozent liegen. Im vergangenen Jahr standen für Forschungseinrichtungen (ohne Universitäten) Haushaltsmittel in Höhe von rund 60 Millionen Euro zur Verfügung, was ungefähr dem Niveau vor der Krise entspricht. In den Jahren davor waren die Mittel auf weniger als die Hälfte (29 Millionen Euro) gekürzt worden. Vorgesehen ist, den Etat in den nächsten Jahren noch weiter anzuheben. Bemerkenswert produktiv war die griechische Forschung in Bereichen wie der Biomedizin, den Naturwissenschaften und den Ingenieurswissenschaften. Natürlich wurden die nationalen Investitionen in FuE eingeschränkt, als die Schuldenkrise das Land erschütterte. Die Sparmaßnahmen führten zu Einstellungsstopps und einschneidenden Haushaltskürzungen, und es entstand ein erstickendes Umfeld. Unser Ziel ist, diese Bedingungen zu überwinden, damit die griechische Forschung wieder auf eigenen Füßen stehen kann.