Island nutzt Vulkane zur Energieerzeugung
Der isländische Schriftsteller Hallgrímur Helgason schreibt: „Europa und Amerika driften langsam auseinander. Das Einzige, was sie vielleicht noch zusammenhalten kann, ist Island.“ Denn Island liegt genau auf der Nahtstelle zweier Erdplatten – die Kontinentalverschiebung zeigt sich hier unmittelbar. An kaum einem anderen Ort der Welt ist diese Trennung der Kontinente so spektakulär und so deutlich sichtbar wie auf Island, wo sich die nordamerikanische und die eurasische Erdplatte jedes Jahr zwei Zentimeter voneinander entfernen.
Clevere Isländer wie die Ingenieurin Marta Rós Karlsdóttir nutzen die besonderen geologischen Bedingungen Islands, um das kalte Inselland mit Strom und Wärme zu versorgen.
„Wir haben es wirklich gut auf Island“, schwärmt sie. „Wir können das ganze Jahr über draußen schwimmen, und zu Hause ist es immer warm, auch bei Frost und Schnee. Das verdanken wir der Erdwärme und der besonderen Lage unseres Landes.“
Clevere Isländer wie Marta Rós Karlsdóttir machen sich die Besonderheiten der Inselnatur zunutze.
Klimavorteil Nr. 1: Island versorgt sich komplett aus erneuerbaren Energiequellen
Marta Rós Karlsdóttir (34), Mutter von drei Kindern, ist bei Islands führendem Energieversorger ON Power für natürliche Ressourcen verantwortlich. Stolz erklärt sie, dass Island heute seinen gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energiequellen deckt, hauptsächlich aus Erdwärme und Wasserkraft.
Der Großteil dieser Energie kommt aus Hellisheidi. Hellisheidi ist eines der größten Erdwärmekraftwerke der Welt und liegt direkt auf dem Hengill-Vulkan im Süden Islands.
„Knapp zwei Kilometer unter der Erde liegt hier ein Erdwärmevorkommen. Er entsteht durch den Regen, der durch das Gestein sickert und dann auf die heiße Lava des Vulkans trifft“, erklärt Karlsdóttir. „Das Ganze ergibt ein Gemisch aus Dampf und Wasser, das wir in tiefen Brunnen sammeln.“
In Hellisheidi wird daraus Strom für 75 000 Haushalte und 10 000 Unternehmen auf der Insel erzeugt.
Klimavorteil Nr. 2: Island heizt mit heißer Luft
Doch Hellisheidi deckt nicht nur zehn Prozent des isländischen Strombedarfs. Das größte Erdwärmekraftwerk des Landes liefert auch das heiße Wasser für die Heizungsanlagen der Region Reykjavik. Und da man hier auch im Sommer heizen muss, braucht man viel heißes Wasser. Erzeugt wird es aus der überschüssigen Wärme, die bei der Energieerzeugung entsteht.
„Wenn wir aus dem Dampf und dem heißen Wasser Strom und Heißwasser erzeugt haben, leiten wir das restliche Wasser aus dem Erdwärmevorkommen wieder in die Erde. So entsteht eine Art dauerhafter Kreislauf. Damit schützen wir nicht nur die Umwelt, sondern erhalten uns auch unsere wertvolle Erdwärme“, betont Karlsdóttir.
Viele andere Erdwärmekraftwerke in Island leiten dieses Wasser nicht in die Erde, sodass sich an der Erdoberfläche große Heißwasserbecken bilden. Ein Beispiel dafür ist die weltberühmte Blaue Lagune. Sie verdankt ihr Entstehen einem Erdwärmekraftwerk, das 1976 ganz in der Nähe gebaut wurde. In den Jahren danach wurde sie wegen ihres einzigartigen, milchblauen Wassers zum Badeparadies. Heute ist die Blaue Lagune der größte Touristenmagnet Islands.
Klimavorteil Nr. 3: Island lässt Emissionen im Erdboden verschwinden
Um ein Erdwärmekraftwerk zu finden, müssen Sie einfach nur Ihrer Nase folgen. Denn hier entstehen neben Dampf und Treibhausgasen auch Gase mit einem ganz besonderen Geruch. Dafür verursachen Erdwärmekraftwerke bis zu 95 Prozent weniger CO2-Emissionen als herkömmliche Wärmekraftwerke. In Hellisheidi hat ein bahnbrechendes Forschungsprojekt zu CO2-Emissionen weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Sein Name: CarbFix. Sein Ziel: die Emissionen einfach, sicher und günstig im Erdboden verschwinden zu lassen.
Karlsdóttir: „Unsere Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Vulkangestein hier so beschaffen ist, dass man das wenige CO2, das in dem Wasser der Erdwärmevorkommen enthalten ist, einfach wieder in den Boden leiten kann. Dort verwandelt es sich dann in Minerale und wird zu Gestein. So gelangen keinerlei Emissionen in die Atmosphäre.“
Und es funktioniert. Nur zwei Jahre, nachdem man das Gas nahe Hellisheidi in den Boden geleitet hat, ist es „versteinert“. „Das ist ein ganz besonderer Vorgang, der sich aber an vielen Orten der Erde nutzen lässt – vor allem da, wo unter der Wasseroberfläche Basaltgestein liegt. CarbFix ist eine unserer Waffen im Kampf gegen den Klimawandel.“
Mit dem richtigen Partner gegen den Klimawandel
Die Arbeit mit einem Vulkan ist nicht einfach. Da hilft es, wenn man wenigstens den richtigen Finanzierungspartner an seiner Seite hat. In den letzten 20 Jahren hat die EIB den Bau und Ausbau von Hellisheidi und anderen Erdwärmeanlagen auf Island mit insgesamt 150 Millionen Euro unterstützt. „Die Europäische Investitionsbank ist seit 1997 unser wichtigster Geldgeber“, verrät Karlsdóttir.
Hellisheidi war eines der Projekte, das aus der Umweltanleihe finanziert wurde, die die EIB vor zehn Jahren als weltweit erster Emittent begeben hatte.
Das jüngste Darlehen wurde 2016 unterzeichnet. ON Power kann damit zusätzliche Brunnen bohren und Hellisheidi an neue, große Versorgungsleitungen anschließen. Das Darlehen deckt auch andere Umweltprojekte ab, etwa zur Verringerung von Emissionen, die bei der Erdwärmegewinnung entstehen.
Karlsdóttir: „Wir arbeiten hier mit einem Rohstoff, den man nicht sehen kann. Das ist enorm schwierig. Wir müssen daher kontinuierlich weiter forschen und ein Gleichgewicht finden zwischen dem Bohren nach heißem Tiefenwasser und seiner Einleitung zurück in das Vorkommen. Dabei hilft uns die EIB, damit wir diesen Rohstoff in Hellisheidi dauerhaft nutzen können.
Der Klimawandel betrifft uns alle auf die eine oder andere Art. Wir hier auf Island können dafür sorgen, dass wir so wenig Treibhausgase wie möglich verursachen. Und wir können unser Wissen weitergeben, damit andere Länder von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umsteigen können. Denn eins ist klar: An umweltfreundlicher Energie führt kein Weg vorbei.“