Für den grünen Umbau der Industrie muss die EU neue Akzente in der Kohäsionspolitik setzen und das Innovationspotenzial weniger entwickelter Regionen steigern
Europa steht vor einer neuen industriellen Revolution. Es gilt, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, zugunsten von Klima, Gesundheit, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Dazu müssen sich Europas Regionen in den kommenden Jahrzehnten wandeln, was Innovation und massive Investitionen erfordert – öffentliche wie private. Doch die Startbedingungen sind nicht überall gleich. Jede Region hat ihren besonderen Investitionsbedarf und ihr eigenes Innovationspotenzial. Um gemeinsam erfolgreich zu sein und auf dem notwendigen Weg zur CO2-Neutralität niemanden zurückzulassen, muss die Europäische Union ihren Kohäsionsansatz überdenken.
Europas Kohäsionspolitik – also das Bestreben, die Lebensstandards seiner wirtschaftlich schwächeren Regionen anzugleichen – war stets der sichtbarste Ausdruck europäischer Solidarität und Verflechtung. Sie ist ein wichtiger Motor für wirtschaftliche Konvergenz und Wachstum in Mittel- und Osteuropa und hat sich in den jüngsten Krisen als wirksamer Rückhalt erwiesen. Doch bei der Kohäsion geht es nicht um wirtschaftliche Umverteilung, sondern um wirtschaftliche Effizienz. Kohäsion trägt zu einem Ausgleich im Binnenmarkt bei und stärkt Europas Wettbewerbsfähigkeit.
Viele der derzeit am stärksten geförderten Regionen sind gleichzeitig am schlechtesten aufgestellt, um vom grünen Umbau der Industrie zu profitieren. Das liegt überwiegend am sogenannten Innovationsgefälle. Wie der aktuelle Kohäsionsbericht der EIB zeigt, investieren Europas ärmere Regionen nach wie vor weniger in Innovation und Digital- und Humankapital als ihre stärker entwickelten Pendants. Zudem investieren sie aufgrund ihrer schlechteren Ausgangslage eher in die für Innovationen notwendige Kerninfrastruktur und weniger in Forschung und Entwicklung oder Spitzentechnologie, so wie dies die stärkeren Regionen tun. Solange das Innovationsgefälle nicht überwunden wird, drohen die weniger entwickelten Regionen auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel weiter zurückzufallen.
Die Europäische Investitionsbank setzt sich seit ihrer Gründung für den europäischen Zusammenhalt ein. 2022 finanzierte die EIB-Gruppe – die EIB und ihre auf kleinere Firmen spezialisierte Tochter, der Europäische Investitionsfonds (EIF) – Investitionen im Rekordvolumen von 28,4 Milliarden Euro in den Kohäsionsregionen. Rund die Hälfte davon entfiel auf weniger entwickelte Regionen. Dies entspricht mit 44 Prozent fast der Hälfte unserer Gesamtfinanzierungen in der EU und liegt deutlich über den 30 Prozent aus dem vorherigen langfristigen EU-Haushalt.
2021 beschloss die Europäische Investitionsbank, die Kohäsionsförderung neu anzugehen: umfassender, mutiger, gezielter. Seitdem bauen wir unsere Unterstützung für die schwächeren Regionen Europas aus. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass die Hälfte unserer Finanzierungen für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit vergeben werden. Um den weniger entwickelten Regionen gerecht zu werden, müssen wir auch mehr gegen das Innovationsgefälle tun.
Damit haben wir bereits begonnen. Seit 2021 helfen wir mittelgroßen Unternehmen in weniger entwickelten Regionen verstärkt dabei, bewährte Spitzentechnologien einzuführen. Um ihre Finanzierungsaussichten zu verbessern, vergeben wir jetzt außerdem zusätzlich zu unseren Finanzierungen über zwischengeschaltete Partner direkt Kredite an diese Unternehmen. Öffentliche Investitionen reichen jedoch nicht, um uns durch die grüne, digitale, industrielle und demografische Wende zu bringen. Wir müssen öffentliche Mittel effektiv einsetzen, um private Gelder für Klimaschutz, Forschung und Entwicklung, Kompetenzaufbau und Infrastruktur mit ins Boot zu holen. Die Finanzierungsinstrumente der EIB sind da ein parates Mittel, um Investitionen anzukurbeln.
Wir bauen derzeit unsere Beratung und unsere technische Hilfe aus, damit die Behörden und Unternehmen in weniger entwickelten Teilen Europas die finanzielle Unterstützung der EU in vollem Umfang nutzen können. Rund zwei Drittel der EIB-Beratung richtet sich an Kohäsionsländer, wobei ein zunehmender Anteil speziell auf Klima und Umwelt sowie Innovation und Digitalisierung entfällt.
Im spanischen Murcia berieten die EU-Ministerinnen und -Minister für Allgemeine Angelegenheiten am 29. September über die Zukunft der Kohäsionspolitik und darüber, dass die Politik flexibler auf die Bedürfnisse der einzelnen Regionen eingehen muss. Doch die Kohäsionspolitik ist auch wichtig, um die Ziele von Innovation und grüner Wende in nationalen und regionalen Entwicklungsstrategien zu verankern. Sie hat das Potenzial, über die gezielte Mobilisierung von Investitionen einen strukturellen Wandel hin zu einer grünen und digitalen Wirtschaft anzustoßen – am besten durch die Förderung von Innovation, indem das besondere Potenzial jeder Region freigesetzt und die jeweilige Spezialisierung vorangetrieben wird. Außerdem müssen wir mit den EU-Mitteln private Investitionen mobilisieren. Anders lässt sich der enorme Investitionsbedarf für die grüne Wende nicht stemmen.
Die Kohäsionsfinanzierung über EU-Zuschüsse und EIB-Kredite ist ein wirksames Instrument, um das wirtschaftliche und soziale Gefüge Europas zu stärken und um Einheit, Solidarität und Konvergenz seiner verschiedenen Regionen zu fördern. Die Europäische Investitionsbank stellt in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sicher, dass eines der wirksamsten Politikinstrumente der EU auch weiterhin im Sinne unserer gemeinsamen Ziele eingesetzt wird – von der Regionalentwicklung über Klima und Innovation bis hin zur Wettbewerbsfähigkeit. Dabei müssen wir uns künftig noch enger abstimmen als zuvor. Was wir brauchen, ist ein systematischer Ansatz. Damit wir sämtliche Finanzierungsinstrumente ausschöpfen und so die Widerstandsfähigkeit unserer Regionen und Städte stärken.