Ein Kraftwerk in Kiel wird auch heizen, wenn die Lichter aus sind – und CO2-Einsparungen von 70 Prozent ermöglichen.
Wenn Sie im Winter Auto fahren, heizt die vom Motor erzeugte Wärme das Wageninnere. Ist der Motor erstmal aus, werden Sie schnell frieren. Um das zu vermeiden, muss der Motor laufen, selbst wenn Sie am Straßenrand parken.
Stellen Sie sich jetzt einmal Ihr Auto als großes Kraftwerk vor. Dort erzeugen Gasmotoren Strom und nebenbei auch Wärme. In den meisten Kraftwerken zieht die Wärme durch die Schornsteine ab. Heizkraftwerke dagegen nutzen die überschüssige Wärme, genau wie Ihr Auto. Sie erhitzen Wasser, das dann in die Heizungen der Häuser und Büros fließt.
Was jedoch, wenn die Nachfrage nach Strom gering ist, die Nachfrage nach Wärme dafür aber umso höher? Zum Beispiel in Winternächten, wenn die Häuser dunkel sind und die Heizungen laufen. Wenn Heizkraftwerke nur deswegen Strom produzieren müssen, um Wärme zu generieren, ist dies eine ziemliche Verschwendung.
Nicht jedoch, wenn Energiedienstleistungsunternehmen einen innovativen Weg finden, um Wärme und Strom gezielt nur dann bereitzustellen, wenn sie wirklich benötigt werden. Dieses Konzept steckt hinter dem neuen Heizkraftwerk, das die Stadtwerke Kiel im Oktober 2018 in Betrieb nehmen möchten.
EFSI-Mittel für ein innovatives Kraftwerk
Unter dem Strich bringt dieses innovative Kraftwerk nur Vorteile für die Einwohner der norddeutschen Stadt: Dank der effizienteren Strom- und Wärmeerzeugung müssen sie keine höheren Rechnungen befürchten. „Das innovative und flexible Konzept des Heizkraftwerks erlaubt es uns, die Preise stabil zu halten“, so Sönke Schuster, Sprecher der Stadtwerke Kiel.
Das neue Kraftwerk wird auch 70 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen als das Kohlekraftwerk, das es ersetzt. Die Anlage ist eine innovative Lösung, um den Übergang von der herkömmlichen Stromerzeugung zum Einsatz erneuerbarer Energien einzuleiten. Aufgrund seiner Energieeffizienz ist es auch umweltfreundlich. Darum beteiligt sich die Europäische Investitionsbank an der Finanzierung des Baus. Im September wurde im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen, der Teil der Investitionsoffensive für Europa ist, ein Vertrag über ein Darlehen von 105 Millionen Euro unterzeichnet.
Klein und flexibel
Heizkraftwerke, auch Kombikraftwerke genannt, gibt es schon seit einigen Jahrzehnten. Was ist also das Besondere an dem neuen Kraftwerk in Kiel?
Das Kraftwerk der Stadtwerke Kiel unterscheidet sich durch seine modulare Bauweise. Die Stromerzeugung ist auf zwanzig recht kleine Gasmotoren verteilt und nicht auf ein massives thermisches Kraftwerk konzentriert. Wenn viel Strom benötigt wird, können alle zwanzig Motoren gleichzeitig laufen. Bei geringer Nachfrage können die Stadtwerke Kiel auch nur einen einzigen Motor in Betrieb nehmen. Die Umschaltung erfolgt in gerade einmal fünf Minuten.
„Das sorgt für mehr Flexibilität und bringt uns dem Ziel einer CO2-armen Wirtschaft in Deutschland ein Stück näher“, meint Andreas Heinz, leitender Ingenieur bei der EIB. „Außerdem wird die Technologie perfektioniert, die benötigte Wärme nur dann zu produzieren, wenn der Strompreis dies rentabel macht.“
Das Kraftwerk in Kiel ist die Antwort darauf, dass sich der Energiemix zunehmend verändert, weil die erneuerbaren Energien auf den Energiemärkten immer präsenter werden. Erneuerbare-Energien-Anlagen wie Wind- und Solarparks bieten eine eher unregelmäßige Versorgung. Sie liefern nur dann Strom, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Deswegen werden dauerhaft verfügbare Energiequellen wie z. B. Gas bei der Stromerzeugung noch eine Zeit lang eine Rolle spielen. Das Energienetz muss als Ganzes flexibel für einen Ausgleich sorgen können, wenn etwa Windstille herrscht oder die Sonne von Wolken verdeckt wird. Modulare, effiziente Kraftwerke wie das zukünftige Werk in Kiel reagieren schnell auf veränderte Bedingungen und passen ihren Output an. Sie sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer CO2-armen Zukunft.
Eine Wärmequelle für Kiel
Auch wenn die Motoren im Kieler Kraftwerk abgestellt sind, wird die überschüssige von den Motoren produzierte Wärme in einem 60 Meter hohen Wassertank gespeichert. Das heiße Wasser kann weitergeleitet werden, um die Einwohner der Stadt mit Fernwärme zu versorgen. In Kiel, wo die Temperatur fünf Monate im Jahr täglich unter den Gefrierpunkt sinkt, ist dies ein wichtiger Aspekt.
Die Stadtwerke Kiel haben viele Jahre lang unterschiedliche Möglichkeiten und Konfigurationen geprüft, bevor ihr Plan feststand. Das Kraftwerk mit einer Stromerzeugungsleistung von 190 Megawatt wird Strom für rund 250 000 Häuser und Wärme für 70 500 Kunden liefern.
„Dies ist ein wirklich wegweisendes Projekt“, meint Branko Cepuran, Kreditreferent bei der EIB, der mit den Stadtwerken Kiel bei der Finanzierung zusammengearbeitet hat. „Die Bank muss diese Art von Innovation in der europäischen Industrie unbedingt unterstützen.“