Wer mit der Gender-Brille investiert, tut nicht nur etwas für die Gesellschaft, sondern auch für den Geldbeutel
Von Christina Juhasz und Stephen O’Driscoll
Seit gut zehn Jahren interessieren sich Investoren zunehmend für gendersmarte Investitionen – zu Recht. Wenn sie die Gleichstellung der Geschlechter und das Empowerment von Frauen fördern, dient dies aber nicht nur einem gesellschaftlichen Zweck. Denn Investitionen in genderdiverse Organisationen, Unternehmen in Frauenhand und Firmen, die die Vorlieben und Bedürfnisse von Frauen ansprechen, bringen nachweislich ansehnliche Renditen.
Auch für Investoren, denen es nicht primär um die gesellschaftliche Wirkung geht, tun sich hier interessante Chancen auf. Dem Wachstum genderfokussierter Investitionen stehen aber einige Mythen im Wege. Dabei hat das vergangene Jahrzehnt klar gezeigt: Frauen als Kundinnen und Arbeitnehmerinnen nützen der Wirtschaft.
Fünf Investitionsmythen
Mythos Nummer eins: Die Teilhabe und Selbstbestimmung von Frauen sind nur ein gesellschaftliches Anliegen, kein wirtschaftliches.
- Würden Frauen „die gleiche Rolle am Arbeitsmarkt wie Männer“ spielen, stiege das jährliche globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2025 um zwölf Billionen US-Dollar – so Schätzungen von McKinsey aus dem Jahr 2015.
- Nach Prognosen von BNY Mellon und der United Nations Foundation aus 2018 könnten sich die jährlichen Einnahmen um 330 Milliarden US-Dollar erhöhen, wenn Frauen weltweit besser an Finanzprodukte und -dienstleistungen kämen.
- Eine Untersuchung von Women’s World Banking – einem globalen Netzwerk von Mikrofinanzinstituten und Banken – ergab 2020: Die Portfoliounternehmen mit den meisten Kreditnehmerinnen erzielten im Durchschnitt sechs Prozent mehr Wachstum bei Erträgen und Vermögenswerten und drei Prozent mehr Eigenkapitalrendite als die mit den wenigsten Kreditnehmerinnen.
Mythos Nummer zwei: Eine Strategie mit Genderfokus bringt privaten Investoren keine marktübliche Rendite ein. Immer mehr Untersuchungen belegen dagegen eine direkte Korrelation zwischen größerer Genderdiversität und finanzieller Outperformance. Eine Entrepreneurin erhält im Schnitt 935 000 US-Dollar Kapital von Investoren, ein Entrepreneur dagegen 2,1 Millionen. Trotzdem erwirtschaften von Frauen gegründete Firmen doppelt so viel Ertrag je investierten Dollar wie von Männern gegründete. Auch die Wahrscheinlichkeit, besser als die Konkurrenz abzuschneiden, ist bei Firmen mit hohem Frauenanteil in den Leitungsgremien 28 Prozent höher. Gemischte Führungsteams erhöhen die Aufsicht auf mehr Erfolg um 25 Prozent.
Mythos Nummer drei: Es gibt nicht genug geeignete Projekte, um Gender-Lens-Investing zu einer aussichtsreichen Strategie zu machen. Dahinter steckt eher mangelnde Sichtbarkeit als mangelndes Angebot. Erste Brancheninitiativen rücken gendersmarte Investitionschancen weltweit ins Rampenlicht: Die Entwicklungsfinanzierungsinstitute der G7-Länder riefen 2018 die 2X Challenge ins Leben, um drei Milliarden US-Dollar für die wirtschaftliche Selbstbestimmung von Frauen in Entwicklungsländern zu mobilisieren.
Laut dem Projekt Sage 4.0 stieg die Zahl der Fonds, die Kapital mit Genderfokus einsetzen, von 58 im Jahr 2017 auf 206 im Jahr 2021. Konservativen Schätzungen zufolge wurden bis Mitte 2021 sechs Milliarden US-Dollar für genderfokussierte Fonds eingeworben. In der ersten Hälfte 2021 brachten von Frauen gegründete Unternehmen mehr Risikokapital auf als jemals zuvor im zurückliegenden Jahrzehnt. Kein Zweifel: An geeigneten Projekten mangelt es nicht. Vielleicht muss man nur genauer hinsehen.
Mythos Nummer vier: Ein Genderfokus ist für den Erfolg eines Unternehmens operativ nicht relevant. Frauen als Kundinnen sind ein riesiger potenzieller Markt – dieser könnte weltweit bis 2028 Verbraucherausgaben von rund 15 Billionen US-Dollar ausmachen. Frauen stellen etwa 40 Prozent des weltweiten Reichtums und eine weitgehend unerschlossene Quelle finanzieller und sozialer Rendite dar, so ein Bericht der Credit Suisse von 2018.
Werden Mitarbeiterinnen und weibliche Führungskräfte firmenintern entschlossen gefördert, dann nützt das auch den Kundinnen. Der Thinktank Coqual hat ermittelt, dass Teams mit 158 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit die Kundschaft verstehen, wenn ihre Mitglieder den Zielmarkt repräsentieren. Weiter heißt es in der Studie: Unternehmen mit Vielfalt bei Beschäftigten und Führungskräften haben im Vorjahr 45 Prozent häufiger ihren Marktanteil erhöht und 70 Prozent häufiger einen neuen Markt erschlossen.
Und Mythos Nummer fünf: Gendersmarte Investitionen lassen sich aufgrund der starken Fokussierung nicht skalieren. Der Definition nach bietet sich Gender-Lens-Investing für viele Finanzierungsstrategien an. Genderaspekte lassen sich nämlich in alle Phasen eines Investitionsprozesses und in bereits vorhandene Strategien einbauen. Deshalb arbeiten auch immer mehr wirkungsorientierte Investoren am Business Case für gendersmarte Investitionen mit.
Die Power von Genderstrategien
Der Erfolg der EIB-Initiative SheInvest veranschaulicht das transformative Potenzial von Genderstrategien. Als 2X Challenge-Mitglied (und erste multilaterale Entwicklungsbank, die die genderorientierten 2X-Investitionskriterien anwendet) hat die EIB allein im ersten Jahr des Programms eine Milliarde Euro (1,1 Milliarden US-Dollar) mobilisiert. Damit erhielten Frauen in Afrika leichter Zugang zu Finanzierungen und zu maßgeschneiderten Dienstleistungen und Produkten. Die 2X Challenge hat sich vorgenommen, weltweit 15 Milliarden US-Dollar für Investitionen in Unternehmen einzuwerben, die Frauen gehören oder von ihnen geleitet werden.
Gender-Lens-Investing wird immer attraktiver und beliebter, und für seinen sozialen und wirtschaftlichen Nutzen gibt es immer mehr Belege. Im Gegensatz zu anderen Impact-Strategien ist es jedoch noch relativ unbedeutend. Dabei fehlt es nicht an guten Wachstumschancen für sein finanzielles und soziales Potenzial. Etwas ist in Bewegung gekommen. Die Gründung von 2XCollaborative, eines weltweiten Branchenverbands, der ein breites Spektrum genderaffiner Investoren abbildet, beweist es.
Wenn wir Mythen entzaubern und Irrglauben widerlegen, lassen künftig noch mehr Social-Impact-orientierte – und konventionelle – Investoren Genderaspekte in ihre Allokationsentscheidungen einfließen.
Christina Juhasz ist Chief Investment Officer für Women’s World Banking Asset Management,
Stephen O’Driscoll Leiter der Abteilung Ökologische, klimatische und soziale Aspekte bei der EIB.