Der Gründer von „Adopta un Abuelo“ wollte etwas gegen die Einsamkeit älterer Menschen tun und gleichzeitig ihren Erfahrungsschatz nutzen.
Von Chris Welsch
Alberto Cabanes hatte einen gut bezahlten Job bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Madrid, mit sicheren Aufstiegsmöglichkeiten. Aber irgendetwas fehlte ihm.
Als er in seiner Heimatstadt Ciudad Real wieder einmal seinen Großvater Clemente im Seniorenheim besuchte, ging ihm plötzlich auf, was es war.
Bei seinen Besuchen kam er regelmäßig mit einem anderen Heimbewohner ins Gespräch, und die beiden freundeten sich an. „In diesen Heimen bist du wie ein Magnet“, erzählt Alberto. „Alle wollen sich mit dir unterhalten. So entstand auch meine Freundschaft mit Bernardo.“
Der meinte einmal: „Alberto, ich habe keine Kinder, also auch keine Enkel. Dabei habe ich mir immer einen Enkelsohn gewünscht.“ „Kein Problem", antwortete ich, „dann adoptiere ich Dich einfach als meinen Großvater.“
Für Alberto Cabanes waren die Besuche bei seinem Großvater und Bernardo eine Bereicherung, und den beiden ging es genauso. Diese Win-win-Situation brachte ihn auf die Idee, daraus ein Geschäft zu machen.
„Einsamkeit ist für ältere Menschen heutzutage ein großes Problem“, weiß Alberto. Mit seiner Lösung kann er „Geld verdienen und etwas Soziales tun.“
Für ein stärkeres Miteinander
„Zuerst experimentierte ich ein bisschen. Meiner Freundin Véronica stellte ich eine ältere Dame namens Rosario vor. Die beiden hatten gleich einen Draht zueinander. Dann startete ich im Internet einen großen Aufruf zum Mitmachen und erhielt Hunderte von Antworten. Da wusste ich, dass es funktionieren würde.“
Vor zweieinhalb Jahren kündigte Alberto seinen Job bei der KPMG, um sich ganz seinem Programm Adopta un Abuelo („Adoptiere einen Großvater“) zu widmen.
Sein Ziel ist es, Alt und Jung zusammenzubringen, damit ältere Menschen in Senioren- und Pflegeheimen wieder stärker an der Gesellschaft teilhaben. Wichtig ist für ihn auch, dass die jungen Leute dabei von den älteren Generationen lernen. „Für mich gehören diese Menschen nicht zum alten Eisen – sie sind Lebensprofis, die unglaublich viel Wissen und Werte mit uns teilen können.“
Das Projekt stieß auf großen Anklang. Alberto ist mit „Adopta un Abuelo“ einer der Gewinner des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Damit zeichnet das EIB-Institut jedes Jahr europäische Unternehmen aus, die in erster Linie soziale, ethische oder ökologische Ziele verfolgen. Im Februar erhielt „Adopta un Abuelo“ außerdem eine Förderung von Google, damit er sich weitere Innovationen ausdenken kann. Im Madrider Büro arbeitet Alberto mit drei Angestellten, und seit Januar gibt es ein weiteres Büro in Lissabon, in dem eine Person tätig ist. Damit ist Portugal das erste Land nach Spanien, in dem das Programm läuft.
„Mittlerweile sind wir in 35 Städten vertreten“, sagt er. „Wir haben 2 000 Freiwillige, die älteren Menschen mehr als 18 000 Stunden Gesellschaft leisten. Jetzt brauchen wir dringend noch mehr Seniorinnen und Senioren. Etwa 12 000 junge Menschen aus zwölf Ländern wollen mitmachen. Daher müssen wir neue Verträge mit Senioreneinrichtungen unterzeichnen.“
Bei seinem Geschäftsmodell musste Alberto Cabanes immer wieder umdenken. Zunächst erschien es ihm logisch, von den Seniorenheimen eine Gebühr für den Kontakt mit Freiwilligen zu verlangen. Doch zu solchen Extraausgaben waren nicht genug Heime bereit oder in der Lage. Deshalb fragte er die Freiwilligen, ob sie dafür zahlen würden. „Alle erklärten sich dazu bereit“, so Alberto. Er ist derzeit damit beschäftigt, die Gebühr anzupassen, die aktuell bei unter 100 Euro pro Jahr liegt. Die Freiwilligen erhalten auch eine App fürs Handy, über die „Adopta un Abuelo“ die Übersicht behält und Unterstützung bieten kann, sowie ein Begrüßungs-Kit und eine Schulung.
Neue Kontakte
Die 26-jährige Mai Vuong meldete sich bei „Adopta un Abuelo“ an, nachdem sie im Februar 2019 im Internet darüber gelesen hatte. Die Studentin aus Hanoi lebt als Au-pair in Madrid. Die Idee einer spanischen Großmutter gefiel ihr gleich aus mehreren Gründen.
„Zum einen kann ich damit mein Spanisch verbessern, zum anderen kann ich jemandem helfen. Außerdem höre ich einfach gerne zu und lerne von anderen“, erzählt sie.
Jeden Dienstag trifft sie sich anderthalb Stunden mit Clara, ihrer „adoptierten“ Großmutter.
„Sie ist total nett und erzählt von ihrem Leben und ihrer Familie“, berichtet Vuong. „Dadurch vermisse ich meine eigene Großmutter und meine Familie ein bisschen weniger.“
Der 30-jährige Alberto Cabanes freut sich, mit seinem Projekt etwas Sinnvolles zu tun. Das treibt ihn an.
„In den Achtziger- und Neunzigerjahren maß man Erfolg noch an Autos, Häusern und guten Jobs. Unsere Generation will dagegen etwas für die Gesellschaft tun. Ich freue mich, wenn mich in 60 Jahren jüngere Menschen als ihren Großvater adoptieren. Denen gebe ich dann alles weiter, was Bernardo mir erzählt hat. Das ist im 21. Jahrhundert echter Erfolg.“