Jordaniens erster großer Windpark ebnet den Weg für erneuerbare Energien
Die Wüstenstraße folgt dem Weg der alten Gewürzkarawanen, die sich in der nabatäischen Stadt Petra kreuzten, und der Route der Beduinen, die mit Lawrence von Arabien im Ersten Weltkrieg nach Süden zogen, um die Hafenstadt Akaba einzunehmen. Aus der Ebene erheben sich zerklüftete, rostrote Berge, die bis ans Tote Meer reichen. In dieser geschichtsträchtigen und malerischen Umgebung hat die Jordan Wind Project Company (JWPC) eine neue Anlage gebaut, die das Landschaftsbild prägt und für die Zukunft des Landes eine wichtige Rolle spielen könnte.
Die 55 Meter langen Rotorblätter der 94 Meter hohen JWPC-Windkraftanlagen drehen sich funkelnd im Wüstenwind. „Unsere Windräder sind einfach schön“, sagt der 49-jährige Samer Judeh, der das Unternehmen leitet.
Nach einer 21-monatigen Bau- und Testphase hat der Windpark Tafila – benannt nach dem jordanischen Gouvernorat – am 16. September seinen kommerziellen Betrieb aufgenommen. Trotz der Konflikte und zivilen Unruhen in den Nachbarländern Syrien, Irak und Ägypten und der damit einhergehenden regionalen Instabilität konnte die 287-Millionen-Dollar-Anlage erfolgreich fertiggestellt werden. Ihre Windräder drehen sich nun im Wüstenwind.
Für die Investoren des Projekts – darunter die Europäische Investitionsbank (die Bank der EU) – symbolisieren die Türme des Windparks eine neue Industrie, durch die sich die Wirtschaft des Landes grundlegend ändern wird. Bis 2020 will Jordanien zehn Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Für ein Land, in dem sich die Energiekosten auf 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen, spielt das eine wesentliche Rolle.
Ein Projekt in turbulenten Zeiten
Als die Sponsoren der Jordan Wind Project Company 2011 erstmals über ein Ökostromprojekt in Jordanien nachdachten, sah die Lage noch ganz anders aus. Das Königreich war damals noch dabei, Gesetze zur Förderung von Erneuerbare-Energien-Projekten auszuarbeiten. Außerdem mangelte es dem Land an natürlichen Ressourcen. Im Gegensatz zu seinen meisten arabischen Nachbarn hat Jordanien keine nennenswerten Erdöl- und Erdgasvorkommen. Das Land baute hauptsächlich Kali und Phosphate für die Düngemittelproduktion ab.
Dennoch entschied sich die Gesellschaft für das Projekt und wurde dabei von ihren Sponsoren unterstützt:
- Inframed Infrastructure, ein Fonds mit Sitz in Paris, der in Projekte im Mittelmeerraum investiert,
- Masdar Power, ein Entwickler und Eigentümer von Erneuerbare-Energien-Projekten in Abu Dhabi,
- EP Global Energy, ein Entwickler und Eigentümer von Erneuerbare-Energien-Projekten in Zypern.
Mit Tafila hat das Entwicklungsteam den perfekten Standort für den Windpark gefunden. Tafila ist das jordanische Gouvernorat mit den wenigsten Einwohnern und liegt mitten im biblischen Königreich Edom. Östlich des Dörfchens Gharandil hat das Unternehmen Land gepachtet, das bis dahin nur stellenweise als Weideland für Ziegen genutzt wurde. Da es dort keine Häuser, kaum Vegetation und keine Wasserquellen gab, konnte man davon ausgehen, dass der Bau der Anlagen weder Menschen noch Tiere groß beeinträchtigen würde.
Jedoch wurde das Umfeld unsicherer, als das Projekt weiter vorankam.
- 2011 brach in Syrien der Bürgerkrieg aus, und Jordanien musste 750 000 syrische Flüchtlinge aufnehmen.
- Im gleichen Jahr wurde Ägyptens Präsident Hosni Mubarak gestürzt. Daraufhin kam es zu Unruhen, und einheimische Beduinen verübten Anschläge auf die Gaspipeline, die durch die Wüste Sinai nach Israel und Jordanien verläuft. Die unterbrochene Gasversorgung war ein großes Problem für Jordaniens staatlichen Energieversorger NEPCO, der mit ägyptischem Gas etwa 58 Prozent des Strombedarfs im Königreich deckt.
- Gleichzeitig schossen die Strompreise in die Höhe, was 2012 in Jordanien zu schweren Unruhen führte. Aber auch nachdem die Pipeline wieder funktionierte, war die Versorgung oft nicht gesichert, da nicht genug Gas geliefert werden konnte oder weitere Anschläge auf die Leitung verübt wurden.
Wer braucht schon Öl?
Trotz aller Widrigkeiten begeisterte sich die Europäische Investitionsbank für das jordanische Windparkprojekt. Die EIB verfolgt die Strategie, ein Viertel ihrer Darlehen für Projekte zu vergeben, die den Klimawandel eindämmen oder zur Anpassung an seine Folgen beitragen. Windkraft ersetzt Energieträger, die Treibhausgase freisetzen.
Auf Anforderung der EIB führte das Unternehmen eine detaillierte Studie über die ökologischen Auswirkungen des Windparks durch. Eines Nachts um ein Uhr rief eine Verantwortliche der Jordan Wind Project Company bei Cathérine Barberis in Luxemburg an, die für die Darlehensoperationen der EIB in Jordanien zuständig ist. Sie befürchtete, dass solche strengen Auflagen das Projekt verzögern könnten. „Es ist zwar mehr Arbeit, aber es lohnt sich“, versicherte ihr Cathérine Barberis.
Die EIB erklärte sich im Gegenzug bereit, Tafila mit einem Darlehen von bis zu 72 Millionen US-Dollar zu unterstützen.
Das Projekt war Neuland für Jordaniens Regierung und Wirtschaft, und auch die Mitarbeiter der EIB bewegten sich auf unbekanntem Terrain. „Jeder Einzelne musste seine Wohlfühlzone verlassen“, so Barberis. „Wir mussten immer wieder aufs Neue kreativ werden.“
Durch die Anforderungen der EIB wurde das Projekt auf jeden Fall transparenter. Das Engagement der EIB und der International Finance Corporation (Weltbank), die bei dem Projekt auch eine führende Rolle übernahm, ermutigte andere Anleger, sich ebenfalls zu beteiligen. Tafila erhält Darlehen von folgenden Einrichtungen:
- EIB (26 Prozent)
- International Finance Corporation
- FMO, die niederländische Förderbank
- Europe Arab Bank
- OPEC-Fonds für Internationale Entwicklung
- EKF, die dänische Exportkreditagentur (Darlehensgarantie)
Als Zulieferer für die Windkraftanlagen von Tafila wurde Vestas Wind Systems, ein dänisches Unternehmen mit Sitz in Aarhus, ausgewählt. Die Windenergieanlagen vom Typ V112 ragen nun in den Wüstenhimmel.
Zugvögel und einheimische Arbeitskräfte
Die Route der Zugvögel stellte bei dem Projekt das größte Umweltproblem dar. Auf ihrer Reise von Afrika nach Europa durchqueren jedes Jahr eine halbe Milliarde Vögel Jordanien und seine Nachbarländer. Gemeinsam mit der Royal Society for the Conservation of Nature hat die Jordan Wind Project Company die Risiken ermittelt und geeignete Minderungsmaßnahmen ergriffen, um den Umweltanforderungen der EIB zu entsprechen.
Letztendlich wurden die Stromkabel des Windparks unterirdisch verlegt, damit keine Vögel durch Stromschlag verletzt werden. Außerdem werden die Windkraftanlagen abgestellt, wenn sich große Vogelschwärme nähern. Die Mitarbeiter der JWPC haben sich zudem bereit erklärt, besonders auf die Gänsegeier zu achten, die in diesem Gebiet nach Aas suchen.
Die Mitarbeiter der EIB zeigten sich beeindruckt, dass das Unternehmen unbedingt mit den Beduinenstämmen um Tafila zusammenarbeiten will. Dadurch entspricht das Projekt nun auch den sozialen Anforderungen der Bank. Die JWPC hat das Land für den Windpark von der einheimischen Bevölkerung gepachtet. Auch 85 Prozent ihrer Mitarbeiter stammen aus der Region. Zudem wurden die meisten Fahrzeuge und Anlagen für das Projekt bei Einheimischen gemietet. „Das Unternehmen hat wirklich kulturelles Feingefühl bewiesen“, erklärte Barberis.
Bald noch mehr Wind- und Solarkraft
Die 38 Windkraftanlagen in Tafila produzieren nun insgesamt 400 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Damit können mehr als 83 000 der 1,2 Millionen Haushalte in Jordanien mit Strom versorgt werden. Der Energieversorger NEPCO hat für die nächsten 20 Jahre einen Abnahmevertrag für den gesamten in Tafila erzeugten Strom unterzeichnet und ist damit weniger abhängig von Importstrom und ägyptischem Gas.
Gleichzeitig legt der Windpark in Jordanien den Grundstein für einen künftigen Erneuerbare-Energien-Sektor. In Zusammenarbeit mit der EIB und anderen Darlehensgebern haben die jordanischen Ministerien die administrativen Verfahren entwickelt, um neue Projekte zu prüfen und zu genehmigen. Außerdem wurden die Kapazitäten der Zollverwaltung gestärkt, um die Einfuhr der zahlreichen Geräte und Einzelteile abzuwickeln, die für den Bau der Windkraftanlagen in der Wüste erforderlich waren.
Die EIB engagiert sich bereits umfangreich für dieses zukünftige Wachstum. Sie wird voraussichtlich bald den Vertrag für ein Darlehen von 80 Millionen US-Dollar mit der jordanischen Regierung unterzeichnen. Damit soll die Infrastruktur für den Anschluss künftiger Erneuerbare-Energien-Projekte an das nationale Stromnetz finanziert werden. Dieses Projekt läuft unter der Bezeichnung „NEPCO Green Corridor“.
Laut Samer Judeh gibt es in Jordaniens Wüsten 14 Standorte mit ausreichendem Windaufkommen, für die bankfähige Projekte entwickelt werden könnten. Die EIB prüft inzwischen auch Möglichkeiten für neue Solarkraftprojekte in Jordanien. Die stolzen Windkraftanlagen in Tafila dürften also erst den Beginn einer völlig neuen Branche in dem Wüstenkönigreich markieren.