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2020 stand der Wiener Filmregisseur Arne Nostitz-Rieneck an der Supermarktkasse und wurde gefragt, ob er mit seinen gesammelten Treuepunkten bezahlen wolle. Bis dahin hatte er nicht einmal gewusst, wozu diese Punkte gut waren.

Zu seiner Überraschung deckten sie mehr als 40 Euro seines Einkaufs. Beim Hinausgehen bat ihn ein obdachloser Mann um ein paar Münzen vom Wechselgeld. Nostitz-Rieneck hat nie Bares bei sich und konnte ihm nichts geben. Aber er hatte einen Geistesblitz: Was, wenn er dem Mann die Punkte geben könnte, die ihm gerade noch so wertlos erschienen?

„Mir wurde schnell klar, dass in diesem Punktesystem viel Geld steckt“, erzählt er.

Tatsächlich: Die drei weltweit führenden Vielfliegerprogramme sind laut dem Bericht 2023 On Point Loyalty zusammen über 70 Milliarden US-Dollar wert.

„Man könnte so vielen obdachlosen Menschen helfen, wenn man ihnen den Wert dieser Punkte zur Verfügung stellen würde.“  

Ebenfalls 2020 veranstaltete die Wirtschaftsagentur Wien einen Kreativwettbewerb für ein besseres Leben in der Stadt. Aus einer Laune heraus reichte Nostitz-Rieneck seine Idee ein, den Barwert von Treuepunkten an Bedürftige zu spenden. Er gewann und bekam eine Starthilfe. Damit gründete er das Start-up SocialCard für Obdachlose, die kein Bankkonto und kein Smartphone haben und vom digitalen Zahlen ausgeschlossen sind.

SocialCard stand 2023 im Finale des Wettbewerbs für Soziale Innovation des EIB-Instituts. Dort werden Start-ups ausgezeichnet, die eine positive soziale oder ökologische Wirkung erzielen.

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Treuepunkte bringen soziale Integration

Nach Schätzungen der Europäischen Kommission geraten in jedem Jahr ungefähr vier Millionen Menschen in der EU in die Situation, kein Dach über dem Kopf zu haben. In den Vereinigten Staaten mit ihrem schwächeren sozialen Netz kann es passieren, dass jemand in nur wenigen Wochen auf der Straße landet.

An einem Sommertag in Los Angeles sah Nostitz-Rieneck eine junge Frau, die mit ihren zwei Kindern in einem Zelt lebte. Ein verstauchter Knöchel hatte zu einer Kettenreaktion geführt: Sie verlor ihr Auto, ihren Job und schließlich ihr Zuhause. „Wenn man einmal auf der Straße ist, versucht man nur noch zu überleben“, sagt Nostitz-Rieneck. „Dein Horizont rückt immer näher und schließt dich in eine Welt ein, aus der du nicht mehr rauskommst.“

Traditionelle Treueprogramme sind wie ein Spiel, bei dem man Dinge kauft und dadurch Punkte verdient, die einen dazu animieren, noch mehr zu kaufen und noch mehr Punkte zu sammeln. „In dieses Spiel bringen wir nun eine emotionale Bindung, weil wir die Treueclubs mit einer sozialen Wirkung koppeln“, erklärt er.

Und so funktioniert das System von SocialCard: Das Start-up verteilt Karten mit QR-Codes an Menschen, die auf der Straße leben. Konsumentinnen und Konsumenten, die beim Einkaufen oder Reisen Treuepunkte sammeln, können die Punkte in den tatsächlichen Geldwert umwandeln. Diesen spenden sie dann, indem sie mit dem Smartphone den QR-Code auf den Karten scannen.

Davon haben alle etwas: Die Obdachlosen können mit der Karte direkt bezahlen, etwa Essen, Unterkunft oder medizinische Versorgung. Die Spendenden können etwas Gutes tun, ohne ihr hart verdientes Geld auszugeben. Und die Händler gewinnen einen neuen Kundenstamm durch einen Treueclub mit sozialer Ader.

Brücken zwischen Universen

Das Team des Start-ups SocialCard SocialCard

Derzeit ist SocialCard noch in der Pilotphase. Nostitz-Rieneck steht in Gesprächen mit Treueclubs in Österreich, ist aber noch nicht am Ziel. Der Teufel steckt im Detail: Wie viel ist jeder Punkt wert, wie lässt sich das Programm in bestehende Kassensysteme integrieren, welche Transaktionsgebühren fallen an, und vieles mehr.

„Die Idee schien mir zuerst so einfach“, sagt er. „Zwei Wochen Programmieren, ein bisschen Networking, und fertig. Aber nein. Diese Welt der Online-Transaktionen, die Regeln und Vorschriften – das ist ein Universum für sich. Ein zweites Universum sind die Treueclubs – jeder ist anders. Und dann das dritte Universum: die Menschen auf der Straße. Zwischen diesen Universen wollen wir Brücken bauen.“

Derzeit testet Nostitz-Rieneck die QR-Karten in Salzburg, in Zusammenarbeit mit der Straßenzeitung Apropos, die von armutsbetroffenen Menschen verkauft wird. Laut Apropos-Redakteurin Verena Siller-Ramsl finden die ersten Testnutzerinnen und -nutzer das System effizient und einfach. Manche sind noch skeptisch, „aber wir hoffen, dass wir mit mehr Zeit und Erfahrung alle überzeugen können.“

Umdenken für eine bessere Welt

Nostitz-Rieneck arbeitet Vollzeit für SocialCard, bisher ohne Gehalt und gemeinsam mit sieben weiteren Freiwilligen. Er hoffte auf private oder staatliche Finanzspritzen in diesem Jahr, leider ohne Erfolg. „Derzeit ist es hart für uns“, gibt er zu. „Wir überlegen, wie wir weiter machen können. Immerhin rechnen wir erst in zwei Jahren mit zahlenden Kunden.“

Er glaubt: Wenn er diese schwierige Phase übersteht und zeigt, dass seine Idee funktioniert und sinnvoll ist, werden mehr Treueclubs mitmachen. Und dann wird SocialCard auch Geld verdienen. Irgendwann möchte er einen Treueclub für Treueclubs gründen. Dessen Mitglieder, die Unternehmen, zahlen eine Jahresgebühr: für die soziale Veränderung, die sie bewirken, für die bessere soziale Verantwortung der eigenen Firma und für einen größeren Kundenstamm.

Als er an die junge Mutter auf der Straße in Los Angeles zurückdenkt, ergänzt Nostitz-Rieneck: „Mir wurde klar: Dieses Umdenken, das wir erreichen wollen, würde der Frau enorm helfen. Sie hätte lang genug Unterstützung, um sich neu zu orientieren, einen Job zu finden und sich und ihre Kinder wieder versorgen zu können. Das war der Wendepunkt für mich. Ich wusste, dass ich einen Unterschied im Leben der Menschen machen kann: Statt ein bisschen Wechselgeld wollte ich einen Wechsel im Denken.“