Der Klimawandel bringt Luxemburg heftigere Überschwemmungen. Durch den Abbau künstlicher Flussbarrieren will das Land dies in den Griff bekommen – und die biologische Vielfalt stärken

Hochwasser ist für Luxemburg nichts Neues.

„Ich erinnere mich noch an die Angst im Gesicht meiner Mutter, als wir 1993 durch das Hochwasser vom Kindergarten nach Hause gingen“, erzählt Bruno Alves vom Ministerium für Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung des Landes. Er ist dort für die Wasserwirtschaft und die Anpassung an den Klimawandel zuständig.

Doch die Lage in Luxemburg hat sich mittlerweile verschärft.

Schuld daran sind mehrere Faktoren: künstliche Barrieren in den Flüssen, die Verengung oder Begradigung von Wasserstraßen und nicht zuletzt der Klimawandel. 6 500 Häuser fielen dem starken Hochwasser 2021 zum Opfer. Geschätzter Gesamtschaden: 125 Millionen Euro.

„Historische Karten liefern interessante Hinweise, weil man sofort sieht, dass mit dem Fluss etwas nicht stimmt. Irgendetwas läuft da falsch“, sagt Alves, der gerade an einem Projekt arbeitet, das Hindernisse in der Alzette beseitigen und ihre Flussauen wiederherstellen soll.

Immer weniger Platz für die Flüsse

Seit der Eiszeit greift der Mensch in die Landschaft ein. Er reguliert Flüsse, verändert ihren natürlichen Lauf und nimmt ihnen so immer mehr Platz. Um einen Fluss zu renaturieren, muss man also in der Zeit zurückgehen und sehen, wie sich der Flusslauf verändert hat.

Im Fall der Alzette prüften Ingenieure anhand von Karten zu Entwässerungsarbeiten im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Habsburger, wie sich der Verlauf der Alzette und ihre Flussauen verändert haben. Bei der Planung des Renaturierungsprojekts für den Alzette-Zufluss Petrusse in der Hauptstadt und entlang eines Flussabschnitts in Steinsel, nördlich von Luxemburg, kam modernste Technologie zum Einsatz.

„Wir wollen den Wasserläufen mit diesen Projekten wieder mehr Platz geben. So kann Hochwasser dorthin abfließen, wo es niemanden gefährdet und keinen Schaden anrichtet“, erklärt Alves.

Alves und sein Team beseitigen auch künstliche Hindernisse wie Dämme oder kleine Wasserfälle, damit Fische wieder ungestört wandern können. Ein natürlicherer Flusslauf verbessert die Wasserqualität und bietet Lebensraum für Wasserpflanzen und -tiere. Außerdem schützt er Städte und Dörfer.

„Diese Projekte zeigen klar, dass natürliche Lösungen zahlreiche Vorteile haben – für die Umwelt, aber auch für die Menschen“, so Alves.

Ein Kredit für Luxemburgs Flüsse

Im Dezember 2022 unterzeichnete die Europäische Investitionsbank mit dem Großherzogtum Luxemburg einen Kredit über neun Millionen Euro. Mit dem Geld sollen künstliche Hindernisse beseitigt werden, um Alzette und Petrusse wieder mehr Platz zu geben. Der Kredit fällt unter die Fazilität für Naturkapital, ein Finanzierungsinstrument der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Damit werden Projekte für Biodiversität und Klimaanpassung mit passenden Krediten und Investitionen gefördert, gestützt auf eine EU-Garantie.

Fragmentierte Flüsse

Forschungen der Europäischen Umweltagentur zeigen: Die meisten Flüsse in Europa sind durch künstliche Barrieren zerteilt und von ihren Uferlandschaften abgeschnitten. Die Europäische Kommission schätzt, dass mindestens 150 000 dieser Barrieren nicht mehr gebraucht werden. Sie zu beseitigen, wird zunehmend als wünschenswert, machbar und auch bezahlbar angesehen.

Früher war man der Ansicht, dass frei fließende Flüsse die Hochwassergefahr vergrößern. Deshalb wurden Biegungen begradigt und die Flüsse verengt – mit viel Beton. Heute weiß man: Flussbarrieren erhöhen das Hochwasserrisiko und die Schäden. Durch ihre Beseitigung hat man eine bessere Kontrolle über schwere Hochwasser, die wegen des Klimawandels immer häufiger werden. Zudem wird die biologische Vielfalt gestärkt, und auch Freizeitaktivitäten wie Angeln und der Tourismus profitieren.

Was kostet die Natur?

Über 80 Prozent der natürlichen Lebensräume in der EU, wie etwa Flüsse und Wälder, sind in einem schlechten Erhaltungszustand. Wir brauchen aber gesunde Ökosysteme: für sichere Lebensmittel, weniger CO2-Emissionen und den Schutz vor Extremwetter. Alles, was dazu führt, dass sich ihr Zustand nicht weiter verschlechtert oder sogar verbessert – wie die Beseitigung von Flussbarrieren – ist daher ein wichtiger Beitrag gegen den Klimawandel und für den Erhalt biologischer Vielfalt.

Angetrieben von der Konkurrenz um natürliche Ressourcen und vom Kampf gegen die Klimafolgen, wird derzeit versucht, die biologische Vielfalt in Europa wieder zu stärken. So werden Ökosysteme bewertet und die Vorteile der Wiederherstellung von Lebensräumen gegen die Kosten ihres Verlusts abgewogen.

Doch das ist alles andere als einfach.

„Natur lässt sich nicht so einfach bewerten“, weiß Marco Beroš, Lead Engineer in der Abteilung Wassermanagement der Europäischen Investitionsbank. „Ökonomisch ist das schwierig. In einem Wald wird das Holz bewertet, aber nicht die Vögel oder die kleinen Reptilien. Welchen Wert hat etwa eine Nachtigall?“

Naturkapital und Ökosystemleistungen

Die Konkurrenz um natürliche Ressourcen macht die Lage noch komplexer. Beispiel Wasser: Wasser ist ein knappes Gut, dessen Angebot wegen des Klimawandels abnimmt. Ein relativ kleiner Rückgang der Niederschlagsmenge kann sich unverhältnismäßig stark auf die Wassermenge auswirken, die für Trinkwasser, Sanitärversorgung, Land- und Viehwirtschaft, Industrie, Energiegewinnung und die Kühlung von Kraftwerken zur Verfügung steht – nicht zu vergessen das Wasser für die Schaffung und den Erhalt von Ökosystemen.

Eine Lösung für das Bewertungsproblem liegt darin, den Wert der kombinierten Vorteile von Ökosystemen zu bestimmen. Das nennt sich dann Naturkapital. Und Naturkapital kann hinsichtlich seiner sogenannten Ökosystemleistungen bewertet werden, also dem direkten und indirekten Beitrag zum Wohl des Menschen oder zur Lebensqualität, d. h. saubere Luft, Hochwasserschutz oder Tourismus.



Unterstützung gewinnen

Die Finanzierung ist bei der Renaturierung von Flüssen eher ein untergeordnetes Problem, denn die Kosten für die Beseitigung kleinerer Barrieren wie der im Petrusse-Tal im Zentrum Luxemburgs und in Steinsel sind relativ gering. 

Das eigentliche Problem besteht darin, die betroffenen Akteure für das Projekt zu gewinnen, also die nationalen oder lokalen Behörden, die Industrie, der die Barrieren gehören oder die das Wasser nutzt, sowie die Menschen, die in der Nähe des Flusses leben. Das kostet Zeit und Mühe.

„Kleine Flussbarrieren haben große Auswirkungen, und unnötige Barrieren zu beseitigen, kann enorme Vorteile bringen“, sagt Catherine McSweeney, die sich bei der Europäischen Investitionsbank mit dem Abbau von Dämmen befasst. „Doch das stößt oft auf erheblichen Widerstand, weil sich die Menschen so an eine Landschaft gewöhnt haben.“

Stephen Hart, Experte für Biodiversität bei der Europäischen Investitionsbank, weiß, worauf es ankommt: „Wichtig ist, die Beteiligten über die direkten Beiträge der Ökosysteme zu informieren, Wissen weiterzugeben und die Vorteile frei fließender Flüsse wie etwa Hochwasserschutz zu veranschaulichen. Danach können Sie die anderen Themen ansprechen, Natur und biologische Vielfalt, und dann verstehen die Leute das viel besser. Bei einem reinen Naturprojekt fällt das wahrscheinlich schwerer. Ein Hochwasserschutzprojekt, das zudem noch mehr Natur schafft, ist da besser geeignet.“

Die Europäische Investitionsbank hat das Projekt nicht nur finanziell unterstützt, sie hat auch die Luxemburger Behörden beraten und die Zivilgesellschaft eingebunden.

Langfristige Wirkung

Für die biologische Vielfalt und das Hochwassermanagement in Luxemburg hat die Beseitigung von Flussbarrieren eine erhebliche, langfristige Wirkung. 

Alves: „Wenn wir ein Umweltprojekt machen, und vor allem, wenn wir in Wasserprojekte investieren, dann tun wir auch etwas für die nächste Generation.“