Ein Unternehmer macht Musik mit tiefen Frequenzen erstmals auch für Hörgeschädigte erlebbar
Francesco Spaggiari ist Unternehmer, in erster Linie aber ist er Künstler. Als professioneller DJ und Musikproduzent tüftelt er mit Tönen, seit er elf ist. 2019 gründete er die interdisziplinäre Firma Eufonia. Im gleichen Jahr veranstaltete er in Berlin sein erstes Festival an der Schnittstelle von Klang, Kunst und Wissenschaft.
„Damals“, sagt er, „habe ich erkannt, dass der Klang nicht ausreicht, um Menschen zu verbinden, weil er Gehörlose nicht einschließt.“
Für die meisten Menschen ist Musik allgegenwärtig und Teil ihres Lebens: Sie schafft die passende Atmosphäre im Café, bringt auf Konzerten die Menge zum Kochen und sorgt für die emotionale Untermalung von Filmen und Serien.
Mit seinem Projekt Sub_Bar öffnet Spaggiari die Welt der Musik für 70 Millionen taube und 430 Millionen hörgeschädigte Menschen weltweit, denen sie normalerweise verschlossen bleibt. Denn wenn die Musik nur einen Teil der Bevölkerung erreicht, ist das für ihn ein Verlust für alle. „Da fehlt etwas an Kommunikation, Vielfalt und künstlerischem Austausch“, findet Spaggiari.
Musik auf tiefen Frequenzen
Als ihm die Idee für Sub_Bar kam, nahm sich Spaggiari zweierlei vor: Erstens: „Ich wollte eine Hörsituation schaffen, bei der taube und hörende Menschen die Musik zusammen an einem Ort erleben können.“ Und zweitens: „Weil ich Künstler bin, wollte ich etwas Schönes kreieren.“
Mit Sub_Bar verändert er die Musik materiell, und zwar von hörbaren Tönen in Subfrequenzen zwischen 30 und 150 Hertz – die tiefsten körperlich wahrnehmbaren Frequenzen.
Diese Musik ohne Klang hören wir nicht akustisch, sondern innerlich. Wir nehmen sie haptisch wahr, über Rezeptoren auf unserer Haut und im Körper. Clubgänger kennen das Gefühl, wenn das Herz im Rhythmus der Bässe pocht – das kommt von den Subfrequenzen. Aber Spaggiari will mehr als nur hämmernde Beats.
Er wandte sich an hörende und taube Künstlerinnen und Künstler im Eufonia-Netzwerk und darüber hinaus und lud sie ein, Musik allein in Subfrequenzen zu komponieren. So versammelte er Leute mit ganz unterschiedlichem musikalischem Hintergrund, von Klassik über Elektronik bis hin zur Klangkunst.
Die Grenzen der tiefen Frequenzen sind eine Herausforderung, lassen aber Raum für immense Kreativität, so Spaggiari. „Viele finden das total spannend. Anfangs haben sie keine Ahnung, wie das gehen soll, aber sie finden immer eine Lösung.“ Einer komponierte beispielsweise ein Stück mit Gitarre und Mikrofon, wandelte dann mit einem Effektpedal die Tonhöhe in Subfrequenzen um und brachte mit einem Subwoofer mehr Volumen rein.
Sub_Bar stand 2022 im Finale des Wettbewerbs für Soziale Innovation der Europäischen Investitionsbank. Dort werden Start-ups ausgezeichnet, die eine positive soziale, ethische oder ökologische Wirkung erzielen. Da das Team von Eufonia keinen Geschäftshintergrund hat, schätzte es besonders die praktische Hilfe in dieser Hinsicht.
Sub_Bar Events in Europa
Eufonia arbeitet an einem Katalog zu Musik in Subfrequenzen und schafft ein Umfeld für diese neue Art von Musik. Im Rahmen von Sub_Bar managt das Unternehmen Künstlerinnen und Künstler und kümmert sich um Veröffentlichungen, Copyrights, Lehrmaterial, Playlists und Veranstaltungen.
Ende 2021 richtete Eufonia sein erstes Sub_Bar Event in Berlin aus. Seither folgten weitere Events in Lissabon, Leipzig, Reggio Emilia und Porto.
Im Juli 2023 kommt Sub_Bar zum Awakenings-Festival für elektronische Musik, mit dem tauben DJ Kikazaru. Spaggiari glaubt, dass Sub_Bar-Projekte bis 2027 mehr als eine Million Menschen erreichen könnten, mit viel Luft nach oben. „Bislang gab es keinen Markt dafür, weil niemand dachte, dass es möglich ist“, sagt er.
Mittlerweile zeigen auch Schulen Interesse. Die Universität Lissabon prüft, ob sie einen Sub_Bar-Kurs anbietet, und Schulen in Lissabon und Süditalien haben Spaggiari angesprochen, ob er für sie etwas zusammenstellen kann.
Auch wenn sich die Wirkung von Sub_Bar jetzt noch nicht messen lässt: Musik ist psychologisch, neurologisch und soziologisch sehr wertvoll. So schrieb der Forscher Mark D. Fletcher 2021 in einem Artikel in Frontiers in Neuroscience über haptische Simulation: „Neue Ansätze, durch die hörgeschädigte Menschen Musik besser wahrnehmen, können die Lebensqualität erheblich steigern.“
Spaggiari stimmt dem zu. „Keine Musik zu haben, ist ein bisschen wie keine Freiheit zu haben“, sagt er. „Du kannst ohne sie überleben und dich damit abfinden. Aber wenn du einmal Freiheit erlebt hast, willst du nicht mehr darauf verzichten.“