NASA-Experte Rupak Biswas im Gespräch mit Shiva Dustdar, die bei der EIB Innovationsfinanzierungen betreut.
Dr. Rupak Biswas leitet die Abteilung Explorationstechnologie der NASA im Silicon Valley. Nach der Konferenz ISC High Performance in Frankfurt, bei der die EIB ihre Studie zur Finanzierung von Supercomputing in Europa vorgestellt hat, war er zu Besuch bei der Europäischen Investitionsbank. Im Gespräch mit EIB-Expertin Shiva Dustdar erklärt er, warum die NASA auf Hochleistungscomputer setzt.
Shiva Dustdar: Unserer Studie zufolge gibt es in mehreren europäischen Ländern regionale oder nationale Förderpläne für Investitionen in Supercomputer. Aber diese Pläne sind oft nicht aufeinander abgestimmt. Daher fließen in Europa nicht genügend Investitionen in die strategische Infrastruktur für Hochleistungscomputing (High Performance Computing, HPC). Warum lohnt es sich für die NASA, in Supercomputing zu investieren, und wie sieht es in den USA insgesamt in diesem Bereich aus?
Rupak Biswas: Die NASA hat schon vor vielen Jahren erkannt, dass sie Supercomputing braucht, um effizient arbeiten zu können. Andernfalls müssten wir physikalische Experimente durchführen. Aber die sind sehr schwierig und können äußerst gefährlich sein. Außerdem sind sie mitunter teuer und dauern lange. Und manche kann man einfach gar nicht durchführen. Wenn Sie wissen wollen, was passiert, wenn die Meerestemperatur um zwei Grad steigt, können Sie dazu ja nicht die Ozeane erwärmen. Stattdessen lassen Sie Simulationen auf Supercomputern laufen. Allerdings hängt das Ergebnis jeder Simulation vom Modell und von den Annahmen ab.
Geowissenschaftlern, Computerchemikern, Strömungsdynamikern und Luftfahrtexperten ist längst klar, wie wichtig und nützlich Supercomputing ist.
Und auch viele Großunternehmen haben den Wert von Hochleistungsrechnern erkannt. Unternehmen wie Airbus, Boeing und Lockheed Martin wollen sich mit Supercomputern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Zudem polieren einige Länder wie die USA und China mit ihrem Vorsprung bei Supercomputern nicht nur ihr Image auf. Sie wollen damit auch Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft voranbringen.
Das Problem ist die „Lücke in der Mitte“ – der Mittelstand hat das Potenzial solcher Superrechner nämlich noch nicht erkannt.
Die „Lücke in der Mitte“
Shiva Dustdar: In Europa läuft es ähnlich. Bei Großunternehmen in Schlüsselsektoren wie Luft- und Raumfahrt, Automobilbau, Energie, verarbeitendes Gewerbe und Finanzdienstleistungen steigt die Nachfrage nach HPC-Ressourcen rasant an. Die eher „traditionellen“ kleinen und mittelgroßen Unternehmen halten sich da hingegen sehr zurück. HPC-Vermittler könnten unserer Ansicht nach wesentlich dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Was meinen Sie?
Rupak Biswas: Zuallererst müssen wir diese Unternehmen davon überzeugen, wie wichtig Supercomputing für sie ist, und zwar anhand wirtschaftlicher Kennzahlen.
HPC-Fachleute wie ich würden sagen: „Der Supercomputer hat eine Rechenleistung von soundso vielen Petaflops. Damit braucht man nicht mehr zwei Tage, sondern nur noch 90 Minuten, um Ozeane zu simulieren.“
Branchenfremde verdrehen nur die Augen, wenn sie so was hören. Die wollen natürlich wissen, was das nun genau heißen soll. Die meisten haben keine Ahnung, was ein Petaflop ist, und sie sind sich nicht mal sicher, ob das was Gutes oder was Schlechtes ist.
Wenn ich aber hingehe und sage „Mit dem Großrechner können Sie Ihren Umsatz um zwei Prozent erhöhen“, dann sprechen wir auf einmal dieselbe Sprache.
So ist es offenbar bei einem Formel-1-Team gelaufen. Mit Supercomputing an sich konnten die nichts anfangen. Aber als es dann hieß, dass sie durch High-Fidelity-Modellierung und Simulation auf der Rennstrecke pro Runde zwei Sekunden gutmachen können – wow! Da waren sie sofort interessiert. Denn das heißt für sie Umsatz, Rentabilität, Wettbewerbsvorteil.
Wann ist ein Supercomputer tatsächlich super?
Sobald man den potenziellen Nutzen von High Performance Computing erkannt hat, steht man vor der nächsten Frage: Wie groß muss der Computer eigentlich sein?
Supercomputing ist kein klar definierter Begriff. „Super“ hat an sich keine Bedeutung. Es ist ein relativer Begriff. Genau wie „groß“ und „klein“ – die bekommen erst dann eine Bedeutung, wenn man einen Vergleichswert hat.
Shiva Dustdar: Derzeit wird viel über die Top500-Liste geredet und darüber, dass China in den letzten Jahren hier enorm an Boden gewonnen hat. Wie wichtig ist es Ihrer Ansicht nach, ganz oben auf der Top500-Liste zu stehen?
Rupak Biswas: Bei Supercomputer-Fachleuten ist die Top500 ein Thema. Auf der Liste stehen ganz viele Computer aus den USA und China. Die Europäer hinken da etwas hinterher. Mit dem Platz auf der Liste ist es allerdings noch lange nicht getan.
Die Top500 basiert nur auf Kenndaten. Sie geben die Rechenleistung an und bekommen einen Platz auf der Liste. Aber das hat an sich wenig Aussagekraft. Vielmehr kommt es darauf an, was Sie mit dieser Rechenleistung anfangen und was Sie letztlich damit erreichen.
Wer viel Geld hat, kann leistungsstarke Rechnersysteme einkaufen. So etwas bekommen Sie problemlos bei Intel, Lenovo, AMD oder ARM. Viel schwieriger ist es aber, diese Systeme in einem konkreten Bereich einzusetzen und damit etwas zu verbessern. Die Frage ist also eher, wie man Supercomputer sinnvoll nutzen kann.
Shiva Dustdar: Vielen Unternehmen fehlt das technische Wissen rund um Hochleistungsrechner. Deshalb wissen sie auch nicht, wie man sie einsetzen kann. Vor allem für mittelständische Unternehmen ist es oft schwer, den potenziellen wirtschaftlichen Nutzen von HPC-Dienstleistungen zu erfassen. Experten können ihnen aber genau erklären, welche Vorteile solche Anwendungen konkret für ihre Firma haben. Unsere Studie zeigt, dass HPC-Vermittler mit ihren Beratungsleistungen entscheidend dazu beitragen können, potenzielle Nutzer von HPC-Diensten mit HPC-Anbietern zusammenzubringen. Diese Vermittler beschäftigen Fachkräfte, die die Bedürfnisse der Nutzer analysieren und geeignete HPC-Lösungen dafür finden. Wie können wir denn die Nachfrage nach HPC-Dienstleistungen tatsächlich steigern?
Rupak Biswas: Wenn Sie viel Geld haben, können Sie jede Menge technischen Schnickschnack für zu Hause kaufen. Weil die Geräte aber so kompliziert sind, werden Sie sie nie verwenden. Sie können lediglich vor Ihren Freunden damit angeben, was Sie alles haben.
Das ist wie damals mit den Videorekordern. Da hieß es: „Wenn Sie einen Videorekorder kaufen, brauchen Sie Ihre Sendungen nicht mehr im Fernsehen abzupassen. Sie nehmen sie einfach auf und sehen sie später an, wenn Sie Zeit dazu haben.“ Ok, nun wussten wir, was ein Videorekorder ist, und brauchten nur noch das Geld, um einen kaufen zu können. Nehmen wir an, wir haben das Geld, kaufen den Videorekorder und kommen damit nach Hause. Aber dann wissen wir immer noch nicht, wie man ihn benutzt, weil er zu kompliziert ist.
Wir müssen also alle drei Hürden überwinden: Zuerst muss mir klar sein, dass ich einen Videorekorder brauche. Dann muss ich das Geld haben, um den Videorekorder kaufen zu können. Und dann brauche ich jemanden, der mir erklärt, wie man ihn benutzt. Alles andere ist sinnlos.
Bei Hochleistungsrechnern braucht man dafür Fachkräfte. Die setzen sich erst mit Physikern, Mathematikern, Chemikern oder anderen Fachleuten und dann mit Informatikern und Computer-Gurus an einen Tisch. Nur so kommt man zu einer sinnvollen Lösung. Solche Vermittler können die Lücke schließen, von der Sie gesprochen haben. Egal, ob das nun die Finanzmärkte sind oder die Pharmazie, selbstfahrende Autos oder Drohnensoftware. Das jeweilige Problem wird in Rechenaufgaben umgesetzt, die der Supercomputer schnell und effizient lösen kann. Ich denke, das ist das nächste Puzzleteil, und da holt China auf.
Shiva Dustdar: In Europa fehlen Fachkräfte. Das merken vor allem die kleineren Unternehmen. Sie können es sich oft nicht leisten, Mitarbeiter einzustellen, die sich Vollzeit mit HPC beschäftigen. Das kann die Einführung dieser Technologie erheblich behindern. Und da kommen die HPC-Vermittler ins Spiel. Unseren Recherchen zufolge haben viele Banken und Investoren noch nicht vollständig verstanden, welches Gewinnpotenzial in HPC steckt. Und deshalb geben sie ihren Kunden oft kein Geld für die Beschaffung von HPC-Systemen oder ‑Dienstleistungen. Viele hätten zudem gar keine geeigneten Finanzprodukte. Auch hier kann die EIB-Gruppe eine wichtige Rolle spielen und Banken Lösungen zur Risikoteilung anbieten.
Wie viel super ist super genug?
Rupak Biswas: Wenn ich zu meinen Chefs sage, ich brauche einen Supercomputer, werden sie fragen: „Was kostet der?“ Und genau da ist der Haken. Wie leistungsstark muss mein Computer eigentlich sein?
Wenn ich meine Wissenschaftler und Ingenieure nun nach den Anforderungen frage, werden die mir sagen: „Also für eine korrekte Computersimulation brauche ich bei diesem Flugzeug zehn Milliarden Gitterpunkte.“
Ja, klar.
Wenn Sie es den Wissenschaftlern und Ingenieuren recht machen wollen, könnten Sie eine Milliarde Dollar für Supercomputing ausgeben, und es wäre immer noch nicht genug.
Angenommen, ich will den Luftstrom in einem Gebäude modellieren. Ich kann so ein Gebäude mit einer Million Datenpunkten abbilden. Besteht die Aussicht, einen größeren Supercomputer zu bekommen, werde ich sagen: „Eigentlich brauche ich zehn Millionen Datenpunkte für eine höhere Auflösung. Ich will ja jede Türklinke und jeden Lichtschalter abbilden.“ Das würde endlos so weitergehen. Woran erkenne ich also, wann der Aufwand größer wird als der Nutzen? Dass man auf jeden Fall alle Fenster im Modell abbilden muss, ist klar, aber doch nicht jede Türklinke und jeden Lichtschalter. Natürlich wirkt sich jedes Detail auf den gesamten Luftstrom im Gebäude aus, aber nicht wesentlich. Man braucht profundes Fachwissen, um an einem bestimmten Punkt sagen zu können: „Das reicht jetzt.“
Ich könnte also einfach abwinken und sagen: „Diese Wissenschaftler und Ingenieure! Die wollen immer alles.“
Aber was würde jemand sagen, der nicht vom Fach ist? Der Laie weiß manchmal gar nicht, was er mit digitaler Transformation alles erreichen könnte, bis es ihm jemand zeigt.
Shiva Dustdar: Wie viel super ist super genug? Das ist die eigentliche Frage, nicht?
Rupak Biswas: Wenn es nur ums Angeben geht, reicht die Top500-Liste. Wer einen Petaflop-Supercomputer hat, erntet in der Branche viel Aufmerksamkeit. Jeder sagt dann: „Wahnsinn! Die Europäer haben diesen tollen Supercomputer.“
Aber das heißt nicht automatisch, dass derjenige damit auch wirklich etwas Tolles anstellt. Bei der NASA fragen wir uns deshalb immer, was wir damit konkret erreichen wollen. Beispielsweise könnte ein größerer Supercomputer Aufschluss darüber geben, wie sich die Zellen- und Triebwerksgeräusche von Flugzeugen verringern lassen, die beim Landeanflug besonders stark sind. Darum geht es im Wesentlichen bei der Konstruktion und Nachrüstung von Flugzeugen. Egal, wofür Sie eine Anwendung entwickeln: Es geht immer darum, mit der Rechenleistung eines Supercomputers etwas Konkretes zu entwickeln, das die Menschen begreifen und zu schätzen wissen.
Shiva Dustdar: Rupak, vielen Dank für diese ausführlichen Informationen! Jetzt ist klarer, warum die NASA in Supercomputing investiert und worum es ihr dabei geht. In allen Branchen – vor allem in der Finanzbranche – ist offenbar noch viel mehr Aufklärungsarbeit nötig, um zu vermitteln, wie wichtig Supercomputing für Unternehmen ist – ganz egal wie groß sie sind. Wir hoffen, dass unsere Studie für das Thema Supercomputing sensibilisiert. Dann kann der Markt künftig für solche Investitionen in Europa Finanzprodukte anbieten, bei denen das Risiko auf mehrere Schultern verteilt ist.