Rund 15 Jahre ist es her, dass Hugo Furtado als Doktorand ein Gerät für die Chirurgie entwickelte, mit dem man einen Katheter im Körper von Patienten „sehen“ kann. Das ermöglichte Herzoperationen, ohne den Brustkorb zu öffnen. Die Technologie war eine Frühform von Augmented Reality.

„Das hat uns buchstäblich die Augen geöffnet“, erinnert sich Furtado, der seinerzeit in Wien und Ljubljana promovierte. „Mit Augmented Reality lassen sich viele Dinge leichter bewältigen.“

Vor zehn Jahren kam Furtado auf die Idee, Augmented Reality mit seiner zweiten Leidenschaft zu kombinieren, dem Sound Design. Das gab den Anstoß zu waveOut – einer App, die Blinde über das Mobiltelefon navigiert. Das Motto der App: „Die Welt mit den Ohren sehen.“

Blinde und sehbehinderte Menschen haben weniger Bildungs- und Beschäftigungschancen. Hinzu kommen andere Nachteile, wie die eingeschränkte Mobilität und ein höheres Sturzrisiko. So fühlen sich diese Menschen oft abhängig und isoliert.

Ende 2017 baute Furtado zunächst einen Prototyp für waveOut und testete die App dann im Frühjahr bei einer Veranstaltung. Ende 2018 bekam er das nötige Startkapital für sein österreichisches Unternehmen Dreamwaves. 2022 gewann er den ersten Preis für das beste Sozialunternehmen in der allgemeinen Kategorie des Social Innovation Tournament der EIB. „Das war ein fantastisches Gefühl!“, erinnert sich Furtado. „Eine große Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Teil dieses Netzwerks zu sein und all diese tollen Menschen zu treffen, ist unglaublich wertvoll.“

Besser als GPS

Hinter waveOut steckt eine ausgefeilte Spitzentechnologie. Die App nutzt den räumlichen Klang, der laut Furtado genauer navigiert als GPS. Sie simuliert mit Tönen, wie Menschen Geräusche in der Umgebung wahrnehmen – wie wir etwa wissen, von wo aus jemand nach uns ruft.

„Wenn Sie mit GPS navigieren, heißt es: ,In 100 Metern links abbiegen‘“, erklärt Furtado. Aber wer weiß schon genau, wie lang 100 Meter sind und wo man abbiegen muss?  „Ist es diese Straße? Oder die nächste? Ob man falsch abbiegt, erfährt man erst hinterher.“

Bei waveOut gibt man den Zielort ein, richtet die Handykamera nach vorne und wird dann per Ton von Punkt zu Punkt dorthin geleitet. Mit der App kann man gesuchte Adressen und Wege speichern, weiß immer genau, wo man ist, und kann Interessantes in der Umgebung erkunden.

waveOut funktioniert mit Kopfhörern aller Art, die Umgebungsgeräusche durchlassen. Die App navigiert, statt vor Hindernissen zu warnen, weil das am besten zu Blindenstöcken passt.

Mit offenen Ohren unterwegs

In die Entwicklung der App flossen Erfahrungen und Hinweise von 120 Blinden und sehbehinderten Menschen ein. Einer davon war Daniele Marano, Projektleiter bei der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs. Für Marano ist waveOut „der erste Versuch, Menschen mit dieser Technologie und diesem Ansatz zu navigieren. So etwas habe ich bislang noch nicht gesehen. Es gibt schon viele Apps, die angeblich Blinde navigieren, aber letztendlich sind sie immer eine Adaption von Google Maps.“

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© Dreamwaves

V.l.n.r.: Hugo Furtado, CEO, Alessandro Mulloni, CTO, Liliana Calapez, UX Designerin und Elke Mattheiss, Data Scientist

Ein weiter Tester war Mike Busboom, selbst blind und Mitgründer des Unternehmens Tetragon, das ein neuartiges Braille-Display entwickelt. Er findet waveOut „weniger aufdringlich“ als andere Apps. „Die spricht nicht pausenlos mit dir“, sagt Busboom. „Wir Blinde brauchen unsere Ohren ständig, um Informationen aufzunehmen. Bei waveOut kann man sich weiter unterhalten, während man im Kopf den Ton hört. Das ist einfach angenehmer für die Ohren. Wenn man sich an die App und ihre Funktionsweise gewöhnt hat, vergisst man fast, dass man sie nutzt.“

Als nächstes will Dreamwaves zur Navigation die Bewegungssensoren des Handys statt der Kamera nutzen. Wenn das gelingt, kann das Mobiltelefon unterwegs in der Tasche bleiben, und die App funktioniert auch nachts.

Furtado möchte, dass waveOut kostenlos bleibt. Seine Idee ist, Lizenzen an Städte oder Unternehmen zu vergeben, die die Technologie in ihr Angebot integrieren wollen. „Wenn wir damit helfen, dass Menschen Arbeit finden und aktiv werden, dann ist das mehr als sechs bis zehn Euro pro Monat für ein Abo wert“, ist er sich sicher.