Paris pumpt Milliarden Euro in ein Verkehrsnetz der Zukunft.
Wer Paris als Tourist besucht, schlendert vielleicht die Champs-Élysées entlang, gönnt sich ein leckeres Croissant oder erhascht einen Blick auf die Mona Lisa. Doch keiner macht sich groß Gedanken über das Verkehrsnetz. Bei David Pena und anderen Bewohnern der riesigen Metropole sieht das ganz anders aus.
Für Pena, der etwa 30 Kilometer westlich von Paris in einer kleinen Stadt am Fluss wohnt, ist Mobilität jeden Tag ein Thema. Mangels alternativer Verkehrsverbindungen fährt er gewöhnlich mit dem Auto in die Stadt. „Die Straßen und die sonstige Infrastruktur sind recht gut. Doch über die Züge wird viel geschimpft“, so Pena, 42, Hubschraubertechniker, verheiratet und vierfacher Vater. „Oft stehe ich am Bahnhof und der Zug hat Verspätung oder fällt gleich ganz aus.“
„Der öffentliche Verkehr stellt so manchen Fahrgast vor eine ziemliche Herausforderung“, so Laurence Debrincat, Mobilitätsexpertin bei Île-de-France Mobilités, dem Betreiber des regionalen Verkehrsnetzes. „Wir müssen heute Probleme lösen, die seit mehr als einem Jahrhundert bestehen.“
Angebot und Nachfrage – ein Wettlauf mit der Zeit
Die Pariser Métro zählt regelmäßig zu den besten U-Bahnen der Welt. In einer weltweiten Umfrage zur städtischen Mobilität schaffte es Paris kürzlich unter die besten Zehn. Die Region dagegen steht vor zwei großen Herausforderungen: Der größte Teil des Verkehrsnetzes entstand vor mehr als 100 Jahren. Es ist schwierig, das Netz instand zu halten und gleichzeitig der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.
Das dichte Netz von Zügen, Straßenbahnen und Bussen bildet ein komplexes System labyrinthartiger Verkehrsadern und breiter Straßen. Es beruht auf einem Restrukturierungsplan, der unter der Federführung von Georges-Eugène Haussmann im späten 19. Jahrhundert erstellt wurde.
„Ähnlich wie London hat auch Paris ein sehr altes Verkehrssystem“, sagt Caroline Lemoine, Verkehrsingenieurin bei der Europäischen Investitionsbank. „Das Netz muss modernisiert und gleichzeitig ausgebaut werden, um den Service und die Anbindung zu verbessern. Dies erfordert umfangreiche Investitionen. Hier kommen wir von der EIB ins Spiel.“
Die Île-de-France – der Großraum Paris – zählt zwölf Millionen Einwohner – dreimal so viele wie noch vor hundert Jahren. Im Verkehrsnetz der Region Paris werden täglich mehr als acht Millionen Fahrten zurückgelegt. Mit der Bevölkerungszahl sind auch die Immobilienpreise rasant in die Höhe geschossen, so dass viele Pariser 30 bis 40 Kilometer außerhalb der Stadt in Gegenden mit schlechterer Anbindung ziehen mussten. Fahrrad-Sharing, Carsharing, fahrerlose Züge oder Elektrobusse kann ein Großteil der Bevölkerung gar nicht nutzen. Auch die Fortbewegung zwischen den einzelnen Vororten gestaltet sich schwierig, da die meisten Züge direkt nach Paris fahren. Wer auf dem Weg zur Arbeit den Vorortzug verpasst, wartet oft mindestens eine halbe Stunde auf den nächsten.
In der Île-de-France verkehren 16 U-Bahnlinien auf einer Länge von 214 Kilometern sowie etwa 350 Buslinien. Paris hat auch ein Schnellbahnnetz – das Réseau Express Régional (RER). Mit fünf Linien und einer Gesamtlänge von 587 Kilometern verbindet es die Stadt mit den entfernteren Vororten. Auch die Straßenbahnen erleben ein Revival. Neun Linien sind bereits wieder in Betrieb, nachdem die Tram Mitte des 20. Jahrhunderts größtenteils eingestellt wurde. Die Instandhaltung dieser ganzen Infrastruktur erfordert jahrelange Planung und Milliarden von Euro.
Vorausschauend planen
„Wie für die meisten Weltstädte sind auch für uns Investitionen besonders wichtig“, sagt Nicolas Blain, Head of International Relations and European Affairs bei der RATP, der Betreiberin der Pariser Métro, Straßenbahnen und Busse. „Wir müssen uns auf die Zukunft vorbereiten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Qualität unseres öffentlichen Verkehrsnetzes mit den steigenden Fahrgastzahlen Schritt hält. Daran führt kein Weg vorbei.“
„Wir müssen uns auf die Zukunft vorbereiten. Daran führt kein Weg vorbei.“
Es gibt noch viel zu tun
Die Bank der EU unterstützt Frankreich bereits seit Jahrzehnten bei Investitionen im Verkehrssektor. Nennenswerte Finanzierungen der jüngeren Zeit sind:
- 800 Millionen Euro für die Wiederinbetriebnahme von Straßenbahnlinien in Paris,
- 200 Millionen Euro für die Elektroautos von Autolib‘ in Paris,
- 2,5 Milliarden Euro für das ehrgeizige Projekt „Grand Paris Express“ – eines der größten U-Bahn-Ausbauprojekte der Welt.
Viele der innovativsten Pariser Verkehrsprojekte wurden erst im letzten oder vorletzten Jahrzehnt angestoßen. Jahrelang wurde beispielsweise nicht ausreichend in den Schienenverkehr investiert, so offizielle Quellen.
„Ende des 20. Jahrhunderts kamen Wartung und Instandhaltung zu kurz“, so Debrincat. „Das hat sich mittlerweile zwar geändert, doch müssen wir jetzt in kürzester Zeit Probleme bewältigen, die sich über Jahre angehäuft haben.“ Sie erklärt, dass früher vor allem der Staat für die Instandsetzung und Finanzierung zuständig war. In Zeiten politischer Konflikte oder Haushaltsbeschränkungen kam es daher nicht selten zu Verzögerungen. Heute übernehmen diese Aufgabe größtenteils die Regionen oder Kommunen, die schneller entscheiden können.
„Über Jahre angehäufte Probleme sollen nun in kürzester Zeit bewältigt werden.“
Das Vorhaben Grand Paris Express liegt überwiegend in lokaler Hand. Im Rahmen des ehrgeizigen Projekts wird das Métro-Netz mit 200 zusätzlichen Gleiskilometern und mehr als 70 neuen Bahnhöfen auf die doppelte Größe ausgebaut. Das Ziel:
- isolierte Vororte miteinander verbinden,
- die täglichen Staus verringern, die zum Smog beitragen,
- Geschäftsviertel, Flughäfen und Universitäten besser aneinander anbinden,
- die sonst abgeschnittenen Vororte besser mit Paris verbinden.
„Das Grand-Paris-Projekt zieht sich zwar noch etwas hin, doch dafür haben wir dann eines der besten Verkehrsnetze der Welt“, so Debrincat.
„Auch der Pariser Verkehrsbetrieb RATP hat ein enormes Investitionsprogramm geplant“, sagt Blain. Gemeinsam mit der Île-de-France Mobilités-Gruppe, für die Debrincat arbeitet, will er 8,5 Milliarden Euro investieren. Von 2016 bis 2020 sollen Métro- und Straßenbahnlinien ausgebaut, Bahnhöfe modernisiert und rollendes Material verjüngt werden. „Das ist unser bislang umfangreichstes Investitionsprogramm“, präzisiert Blain.
Auch die RER-Pendlerzüge für die Vororte sollen modernisiert werden. Geplant sind neue Züge und Signalanlagen. Die mehr als 100 Kilometer lange Linie RER A ist mit 1,2 Millionen Fahrgästen pro Tag die am meisten genutzte Bahnlinie Europas. Sie führt mitten durch das Pariser Zentrum in die westlichen und östlichen Vororte und wird von 2015 bis 2020 saniert. Die Gleise werden auf einer Strecke von 24 Kilometern erneuert.
„Das Bahnnetz für die Vororte muss unbedingt instand gehalten werden“, so Debrincat. „Der Austausch der Gleise und Signalanlagen kostet zwar Milliarden, ist aber schon seit Jahren überfällig.“
Vorreiter bei der geteilten Mobilität
Man kann Paris nicht vorwerfen, dass es die Widrigkeiten tatenlos hinnimmt. Vélib‘, das 2007 eingeführte Fahrrad-Sharing-Programm, zählt weltweit zu den erfolgreichsten seiner Art. Es stellt an 1 230 Stationen 14 500 Fahrräder zur Verfügung. Seit Ende der 1990-er Jahre baut Paris seine Fahrradwege aus: Das Radnetz erstreckt sich derzeit über rund 700 Kilometer.
Darüber hinaus treibt die Stadt den Ausbau ihrer Elektrobuslinien voran. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Busse elektrisch und die restlichen 20 Prozent mit Biogas angetrieben werden. Auf einer Buslinie setzt Paris bereits ausschließlich Elektrobusse ein – 23 an der Zahl.
Autolib‘, ein Carsharing-Dienst mit Elektroautos, existiert seit 2011. Nahezu 4 000 reine Elektroautos stehen im Ballungsraum Paris für mehr als 100 000 registrierte Nutzer bereit. Die Bank der EU finanzierte die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für die Autobatterien sowie die Inbetriebnahme des Dienstes.
Nach Ansicht von Steve Newsome, Head of International and European Affairs bei Transport for London, der für das Verkehrsnetz der britischen Hauptstadt zuständigen Behörde, wird die Mobilität in Paris oft zu Unrecht in ein so schlechtes Licht gerückt.
„Paris steht vor denselben Herausforderungen wie die meisten Großstädte. Meiner Meinung nach ist das Pariser Netz alles andere als heruntergekommen oder verwahrlost“, sagt er. „Paris war in zahlreichen Verkehrsbereichen Vorreiter und investiert viel in sein Verkehrsnetz. Schauen Sie sich den Grand Paris Express an. Das ist ein Riesenprojekt!“
„Das Pariser Verkehrsnetz ist alles andere als heruntergekommen oder verwahrlost.“
Newsome sieht die wahre Herausforderung für Städte wie Paris darin, die Menschen mehr für öffentliche Verkehrsmittel sowie fürs Laufen und Radfahren zu begeistern.
„Eine wachsende Stadt braucht nicht nur Investitionen. Sie muss die Leute auch dazu bewegen, mehr mit dem Rad zu fahren oder zu laufen, statt ins Auto zu steigen“, betont er. „Die meisten europäischen Großstädte müssen mit steigenden Einwohnerzahlen fertig werden und dabei gleichzeitig die Modernisierung und den Ausbau ihrer Verkehrsnetze stemmen.“
Pena, der in einem der westlichen Vororte wohnt, ist in puncto Mobilität zuversichtlich. Der RER-Pendlerzug soll irgendwann auch seine kleine Stadt Villennes bedienen. Dann wird es einfacher sein, sich fortzubewegen. Außerdem findet er, dass die Region sich stets um eine bessere Mobilität bemüht.
„Verglichen mit dem Personennahverkehr in anderen europäischen Städten schneidet Paris mindestens gleich gut, wenn nicht sogar besser ab“, sagt er. „Frankreich ist definitiv ein Vorreiter beim Einsatz neuer Technologien. Doch gibt es noch Luft nach oben.“