Nach dem Herztod eines geliebten Menschen machten sich die Brüder Mohammadi die Früherkennung von Herzerkrankungen zur Lebensaufgabe
Von Chris Welsch
Die Geschichte von Heartstrings begann mit einem traumatischen Erlebnis.
Es war vor sieben Jahren. Bei einer Familienfeier erlitt die Großmutter der beiden Stockholmer Ingenieure Allen und Max Mohammadi einen tödlichen Herzanfall.
„Das ist unfassbar, du freust dich auf den Geburtstag, und kurz darauf stehst du am Grab“, sagt Max. „Sie war 63. Sie hatte kein Übergewicht. Sie hatte nie im Leben geraucht. Es gab kein äußeres Anzeichen für ein Problem.“
Für Allen und Max war die tiefe Trauer der Anlass zu einem Neustart. Sie fragten sich, ob so etwas auch ihren Eltern passieren könnte, und wenn ja, wie man das herausfinden kann. Also machten sie sich erst einmal schlau, wie Ärzte die Herzgesundheit einschätzen. Das Ergebnis erstaunte sie.
„Herzkrankheiten sind weltweit die Todesursache Nummer eins. Alle zwei Sekunden stirbt ein Mensch daran“, erklärt Allen. „Laut der Weltgesundheitsorganisation fallen jedes Jahr mehr als 17 Millionen Menschen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Opfer. Sehr oft führt jedoch nicht die Erkrankung selbst zum Tod, sondern die Tatsache, dass man sie zu spät erkennt.“
Die persönliche Tragödie gab den Anstoß für ein Produkt zur besseren Früherkennung von Herzkrankheiten: Heartstrings, eine hochinnovative Software, die mit einem von den Brüdern selbst entwickelten Verfahren auf der Grundlage von künstlicher Intelligenz arbeitet.
Die Herzen der Investoren erobert
Heartstrings hat die Herzen der Investoren erobert und macht vielen in der Gesundheitsbranche große Hoffnung.
2017 zählten die Brüder zu den Gewinnern im Wettbewerb für soziale Innovation des EIB-Instituts. Auch das Forbes-Magazin wählte sie unter die dreißig einflussreichsten Sozialunternehmer und nahm sie in sein illustres Ranking „Forbes 30 under 30“ auf. Außerdem gewannen sie einen Start-up-Wettbewerb des schwedischen Kommunikationsunternehmens Tele2, bei dem sie sich gegen 4 300 andere Start-ups durchsetzten. Der Preis: eine Million schwedische Kronen (rund 100 000 Euro) und die Schlüssel zu einem modernen Büro im angesagten Stockholmer Stadtviertel Södermalm – ausgestattet mit Vollspektrum-Beleuchtung, Fitnessgeräten und extra unbequemen Stühlen, auf denen man nicht länger als 15 Minuten stillsitzen kann (damit man aufsteht und sich bewegt).
Aber der Weg zu all diesen Auszeichnungen war steinig. Allen und Max mussten lange kämpfen, bis andere an ihre Idee glaubten.
Max zufolge erfahren die meisten Leute erst dann von ihren Herzproblemen, wenn sie mit Schmerzen in der Brust oder Atemnot zum Arzt gehen. Diese Symptome können aber auch auf viele andere Krankheiten hindeuten, sodass Tausende Klinikstunden mit der Untersuchung von Menschen draufgehen, die vielleicht gar keine Herzprobleme haben. Gleichzeitig erkranken eine Milliarde Menschen, ohne es zu wissen.
Wie Ingenieure vorgegangen
„Wir sind erst relativ spät auf die Idee gekommen, das kommerziell anzugehen. Zuerst wollten wir nur eine Lösung finden“, stellt Max klar.
Dabei näherten sie sich dem Problem nicht wie Ärzte.
„Bei der Gründung unseres Unternehmens dachten wir wie Ingenieure“, erklärt Max. Und Allen ergänzt: „Ingenieure betrachten die Systeme und ihre Komponenten. Wenn eine Komponente nicht richtig arbeitet, funktioniert das ganze System nicht zuverlässig. Der menschliche Körper ist auch so ein System – und jedes Organ ist eine Komponente. Wenn wir also Parameter prüfen, die miteinander zusammenhängen, können wir Herzkrankheiten vielleicht in einem früheren Stadium erkennen.“
Unter Nutzung diverser Informationen – von persönlichen und demografischen Daten bis hin zu geografischen Angaben und Krankenakten – entwickelten die Brüder einen Algorithmus auf der Basis von künstlicher Intelligenz, der plausible Hinweise darauf geben kann, ob die wichtigste Komponente (das Herz) im System (dem Körper) gefährdet ist.
Sie erkannten, dass ihre Idee gewaltige soziale Auswirkungen haben könnte: Leben retten, für die Ärzte wertvolle Zeit gewinnen, Kosten sparen, Krankenhausbetten frei machen, die Zahlenden (Patienten, Versicherungsgesellschaften, Kommunen) entlasten. Und die Entwicklung könnte sich auch geschäftlich lohnen.
Durchhaltevermögen zahlt sich aus
Hindernisse gab es, aber die überwanden die Brüder.
Nachdem sie ihren Ansatz verfeinert hatten, musste er sich in einer klinischen Studie bewähren. Sie mussten die Technologie erproben, das Programm optimieren und Mängel beheben. Aber dafür hatten sie kein Geld.
„Sechs Monate lang lehnten alle Krankenhäuser ab. Eine klinische Studie sei zu teuer“, erinnert sich Allen. „Aber dann trafen wir eine Kardiologin, deren Vater an einem ähnlichen Problem litt. Sie glaubte an uns und an unsere Vision.“
Sie schloss sich dem Heartstrings-Team an und führte die Studie mit ihren Patienten durch. Das war der Durchbruch, auf den die Brüder gewartet hatten. Die Studie mit mehreren Hundert Patienten belegte, dass sich mit Heartstrings koronare Herzerkrankungen besser erkennen lassen als mit bestehenden Verfahren – und ohne hochinvasive angiografische Operationen.
Das System wurde weiter verfeinert und wird mittlerweile in mehreren Krankenhäusern in Europa und Asien eingesetzt. Aber die Brüder wollen nicht zu schnell expandieren, wie sie sagen. Dabei wird das Programm selbst immer besser, je öfter es verwendet wird – das ist der Vorteil von „maschinellem Lernen“. Jedes Mal, wenn die Daten eines neuen Patienten in das „Gehirn“ von Heartstrings eingespeist werden, lernt das Programm. Dadurch kann es immer besser die Korrelationen herstellen, die Herzprobleme bestätigen oder ausschließen.
Große Wirkung
Die Brüder waren mit dem Ziel gestartet, jedes Jahr eine Million Menschenleben zu retten. Ihren Berechnungen zufolge haben schon jetzt mindestens so viele Personen von dem Programm profitiert (sowohl direkt als auch indirekt, also Patienten, ihre Familien und medizinische Fachkräfte). Jetzt haben sie sich ein neues Ziel gesetzt: Heartstrings soll weltweit verfügbar sein und für alle fester Bestandteil des jährlichen Check-ups werden. Die Technologie soll so günstig wie möglich angeboten werden, damit sie breit eingesetzt werden kann.
„Nigeria zum Beispiel hat eine Bevölkerung von rund 190 Millionen, aber nicht einmal 200 Kardiologen – das heißt einen Herzspezialisten für eine Million Menschen!“, sagt Allen. „Mit Heartstrings aber kann auch ausgebildetes Pflegepersonal die Daten sammeln“, ergänzt Max.
„Untersuchungen haben ergeben, dass bei rund der Hälfte der Weltbevölkerung über vierzig gerade jetzt eine Herzerkrankung entsteht. Es gibt also einen gewaltigen Bedarf für bezahlbare digitale Technologien, um den Betroffenen zu helfen.“
Max und sein Bruder wissen, dass alle diese Menschen eine ähnliche Geschichte wie ihre Großmutter haben. Für sie wäre es ein Erfolg, wenn diese Geschichten nicht tragisch enden.