Kleider recyceln leicht gemacht: Statt herkömmlicher Nähte nutzt ein belgisches Unternehmen hitzelösliches Garn

Die Atacama-Wüste in Chile ist zum Friedhof für Kleidungsstücke aus aller Welt geworden, viele davon ungetragen und noch mit Preisschild.

„Jede Sekunde wird irgendwo auf der Welt eine Lkw-Ladung Textilien entsorgt“, sagt Rawaa Ammar, die beim belgischen Start-up Resortecs für Nachhaltigkeit und Impact zuständig ist.

Diese Textilien könnten recycelt und zu neuer Kleidung verarbeitet werden. Die Technologie dafür existiert schon längst. Das Problem ist der Schritt davor, das sogenannte Pre-Recycling, also die Zerlegung der Kleidungsstücke. Um etwa eine Jeans zu recyceln, müssen zunächst Reißverschluss, Knöpfe, Nieten und das Etikett entfernt werden.

Cédric Vanhoeck, Mitgründer von Resortecs, studierte Industrie- und Modedesign, brach dann aber sein Studium ab. Stattdessen begann er, mit Verfahren der aktiven Demontage zu experimentieren, um Kleidung zu zerlegen.

„Aktive Demontage heißt, man verändert Verbindungen so, dass sie ihre Bindung verlieren, beispielsweise Schrauben ihr Gewinde. So fallen Produkte ohne manuelle Eingriffe auseinander“, erklärt Vanhoeck.

2017 gründeten Vanhoeck und seine Freundin Vanessa Counaert dann Resortecs. Seitdem hat das Start-up ein System zur thermischen Zerlegung von Kleidung entwickelt und hält zwei Patente.

Die Naht als Sollbruchstelle

Kleidungsstücke mechanisch zu zerlegen, ist wenig sinnvoll, denn der Stoff wird beim Schreddern zerstört, und das neue, qualitativ schlechtere Material muss trotzdem recycelt werden. Manuell ist das Ganze zu langsam und meist prohibitiv teuer.

Vanhoeck hat deshalb eine clevere Alternative gefunden: Er ersetzt das herkömmliche Nähgarn aus Polyester durch hitzelösliches Garn, das sich je nach Material bei 150–190 °Celsius auflöst.

>@Resortecs
© Resortecs

Resortecs‘ hitzelösliches Garn

Ein Kleidungsstück, das bei der richtigen Temperatur erhitzt wird, fällt an den Nähten einfach auseinander und kann dann sortiert und recycelt werden. Allerdings musste Resortecs tüfteln, um die richtige Temperatur zu finden: niedrig genug, um die Kleidungsstücke nicht zu zerstören, aber hoch genug, damit sie problemlos gebügelt oder in den Trockner gegeben werden können.

>@Resortecs
© Resortecs

Smart StitchTM

Zwei Patente hält Resortecs an seinen Innovationen. Erstens für das Nähgarn Smart StitchTM, das es an Modemarken und Hersteller verkauft, die damit ihre Kleidungsstücke nähen können.

Zweitens für den Smart DisassemblyTM-Ofen, um die getragenen Kleidungsstücke mit den smarten Nähten zu zerlegen. Die Öfen sind für die industrielle Nutzung ausgelegt und arbeiten in einem geschlossenen Kreislauf. So wird die Wärme bewahrt und die Energie zurückgewonnen.

Modemarken als Abnehmer gewinnen

Die Verkaufserlöse für das Nähgarn decken die Kosten für die Zerlegung, sodass die Sortierer und Recycler für den Betrieb der Öfen nicht zahlen müssen. Die zerlegten Stoffe gehören den Modemarken. Sie bekommen damit hochwertige Baumwolle oder Polyester, die immer stärker nachgefragt werden.

Diese Stoffe können sie an die Recycler verkaufen oder daraus wieder neue Kleidung herstellen.

Damit betreten die Modemarken Neuland, denn bisher hatten sie keinerlei Kontakt mit Sortierern oder Recyclern.

Jetzt aber, da sich die Welt zunehmend von linearer Produktion auf Kreislaufwirtschaft umstellt, stoßen Resortecs Produkte und Know-how in der Modebranche auf immer mehr Interesse.

„Modemarken kennen sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft nicht aus“, erklärt Ammar. „Sie wissen, was Nachhaltigkeit ist, und können mit Rohstoffen umgehen, aber sie haben bisher noch nie eine Lieferkette gemanagt.“

Die Idee von Resortecs – hitzelösliches Nähgarn – klingt einfach, könnte aber massive Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette haben. Resortecs schließt damit den Kreis. Vanhoeck: „Was wir bieten, ist eigentlich weniger ein Nähgarn, sondern eher ein Risikomanagement-Tool für die Lieferkette.“

Textilien enthalten gefährliche Chemikalien, und ihre Produktion verbraucht enorme Mengen an Rohstoffen und Wasser und ist für bis zu zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Eine extern geprüfte Lebenszyklusanalyse hat gezeigt: Die Resortecs-Lösung zusammen mit effektivem Recycling kann die CO2-Bilanz eines Kleidungsstücks aus Jeansstoff um bis zu 50 Prozent verbessern. Jede recycelte Jeans, die ein neues Leben bekommt, spart rund 3 000 Liter Wasser.

Resortecs gehörte 2022 zu den Finalisten des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Damit zeichnet das EIB-Institut jedes Jahr Unternehmen für ihr soziales, ethisches oder ökologisches Engagement aus.

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Smart DisassemblyTM

Stärkere Zusammenarbeit mit großen Modemarken

Inditex hat im Sommer 2022 mit dem Garn von Resortecs eine Jeans-Kollektion für seine Marke Bershka produziert.

Laura Dominguez, Designerin bei Bershka: „Schon beim Entwurf an das zweite Leben des Produkts zu denken und mit innovativen Verfahren und Materialien zu arbeiten, ist eine spannende Herausforderung. Wir haben mit Resortecs tolle Ergebnisse erzielt.“

2022 arbeitete Resortecs auch mit Decathlons Skimarke Wedze an einer recycelbaren Skijacke, ein besonders komplexes Kleidungsstück, weil es aus mehreren Materialien besteht.

2023 und 2024 heißt es für das Unternehmen: Skalieren. Außerdem sollen Abnahmeverträge mit anderen bekannten Modefirmen ausgehandelt werden, die Resortecs‘ Lösung in großem Maßstab einführen wollen.

Bis 2040 will das Unternehmen helfen, die CO2-Emissionen um 40 Milliarden Tonnen zu reduzieren. Langfristig soll Resortecs vor allem eins werden: „der neue Maßstab in der Modebranche – nicht mehr und nicht weniger“, so Vanhoeck.