Nachdem in Spanien ein Erdrutsch einen Zug zum Entgleisen brachte, rettet nun ein Fernüberwachungssystem Leben und hilft bei der Klimaanpassung.
Die Zugfahrt von Lleida nach La Pobla de Segur nördlich von Barcelona führt durch schroffe Felsen und über tiefe Schluchten. In dieser abgelegenen, zerklüfteten Region, in der Straßen selten geradlinig verlaufen, ist die Bahnstrecke eine wichtige Verkehrsverbindung.
Doch am 12. März 2021 passierte das Unglück. Kurz nach einer Tunnelausfahrt ereignete sich ohne jede Vorwarnung ein Erdrutsch. Als der erste Zug an jenem Morgen aus dem Tunnel fuhr, prallte er auf einen Haufen loser Gesteinsbrocken und entgleiste. Direkt an einem steilen Abhang.
Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Doch die Strecke blieb über Wochen gesperrt, und der Zug musste für viel Geld umfangreich repariert werden.
Als der Bahnbetreiber Ferrocarrils de la Generalitat de Catalunya mit dem Wiederaufbau der Gleise begann, entschloss er sich zu etwas Neuem. Er beauftragte das in Barcelona ansässige Unternehmen Worldsensing, ein ausgeklügeltes Sensorsystem mit Geräten zur drahtlosen Datenerfassung zu installieren. Sie sollen die Bedingungen außerhalb des Tunnels künftig fortlaufend überwachen.
Die Geräte registrieren jede Veränderung an bestehenden Rissen in der Felswand oberhalb der Bahnstrecke. Weitere Sensoren überwachen Gleise und Wetter. Denn extreme Hitze oder Kälte, massiver Regen oder Schnee beeinträchtigen mitunter die Sicherheit. Eine App sendet die Daten permanent an eine Cloud-Plattform und löst im Gefahrenfall eine Frühwarnung aus.
Fernüberwachungssysteme können Leben retten und die Nutzungsdauer kritischer, ziviler Infrastrukturen wie Straßen, Eisenbahnen, Brücken und Tunnel verlängern. Da extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel immer häufiger auftreten, werden solche Überwachungssysteme immer wichtiger.
Innovation im Internet der Dinge
Albert Tortajada, beim katalonischen Bahnbetreiber für die Infrastruktur zuständig, setzt große Hoffnungen in die drahtlose Überwachung seiner drei Strecken: „Bei der Bahn ist Sicherheit das A und O. In den kommenden Jahren wollen wir mehr Sensoren installieren. Damit können wir die Strecken besser überwachen und mehr Daten übertragen. Das erhöht die Sicherheit – für unsere Fahrgäste und für unsere Züge.“
Worldsensing ist ein Pionier in Sachen „Internet der Dinge“. Das Unternehmen baut Netzwerke auf, die Daten über den Zustand kritischer Infrastrukturen und industrieller Großprojekte wie Bergwerke sammeln und übermitteln. Seine Lösungen kommen sogar an historisch und kulturell bedeutenden Orten zum Einsatz, etwa auf einem Friedhof in Barcelona, der 2017 durch einen Erdrutsch teilweise zerstört wurde.
Mit seinen Netzwerken schafft das Unternehmen Konnektivität, oft an entfernten Standorten. Seine „Edge-Geräte“ erfassen drahtlos die Daten von Sensoren Dritter. Die Low-Power-Wide-Area-Netze (LPWAN) von Worldsensing haben eine große Reichweite (Long Range, LoRa) und können bis zu zehn Jahre wartungsfrei betrieben werden.
Ingenieur Marc Janeras arbeitet am katalanischen Institut für Kartographie und Geologie, das gemeinsam mit der Bahnbetreibergesellschaft die Streckensicherheit überwacht. Er war an den Planungen beteiligt, wie weitere Unfälle im Außenbereich des Tunnels zu verhindern sind. Nachdem die Felswand mit Kabeln und einem Metallnetz physisch gegen weitere Erdrutsche gesichert war, machten sich Janeras und weitere Fachleute des Instituts daran, gemeinsam mit Worldsensing die Überwachungslösung zu planen.
Es werde etwa ein Jahr dauern, bis die Basisdaten zum „Normalverhalten“ der Felswand vorliegen, räumt Janeras ein. Erst dann wisse man, welche ungewöhnlichen Signale Anlass zur Sorge geben. Insgesamt sei es überwältigend, was sich mit solchen Systemen alles machen lasse.
Schutz kritischer Infrastrukturen
„Bisher wurde bei einem Abhang etwa untersucht, wie stabil er ist. Dann war das Projekt beendet und es ging zum nächsten Standort“, erklärt Janeras. „Mit den neuen Überwachungsnetzwerken ist das ganz anders. Was wir bei einem Projekt lernen, können wir beim nächsten wieder anwenden.“
Die Europäische Investitionsbank hat das Potenzial der Innovationen von Worldsensing erkannt, die wegen der klimabedingten Extremwetterereignisse enorm an Bedeutung gewinnen. Mit einem Kredit über zehn Millionen Euro hilft die Bank der EU dem Unternehmen, seine Technologie weiterzuentwickeln.
Nach Ansicht von Ignasi Garcia-Milà Vidal, Projektmanager für Innovation bei Worldsensing, haben solche Lösungen vor allem den Vorteil, dass die Messwerte nicht manuell erfasst und ausgelesen werden und die Teams viel seltener zum Standort fahren müssen. So werden Zeit, Geld und CO2-Emissionen gespart. Außerdem liefern die Systeme Echtzeitdaten und komplexere Messungen. Das ändert alles, findet er. „Mit solchen energiesparenden IoT-Geräten könnten wir die gesamte Branche der geotechnischen, georäumlichen und Bauwerksüberwachung komplett digitalisieren.“