Renewcell macht aus Altkleidern neues Garn. Mit seiner patentierten Recycling-Technologie gestaltet das schwedische Unternehmen die Modeindustrie nachhaltiger.
Alles begann mit einem einfachen gelben Kleid aus ausrangierten Jeans.
Es war das erste Kleidungsstück, das komplett aus Alttextilien bestand. Hergestellt hatte es vor sieben Jahren das damalige Start-up Renewcell. „Das Kleid hat alles auf den Kopf gestellt“, sagt Tahani Kaldéus, bei Renewcell für Forschung und Entwicklung verantwortlich. „Damit haben wir die Gleichung des Konsums in der Modebranche verändert.“
Als das Stockholmer Textilrecycling-Unternehmen sein gelbes Kleid im Juni 2014 auf den Laufsteg brachte, war die Branche begeistert. Denn das Produkt hätte genauso gut von einer der renommierten Modemarken stammen können. Der Unterschied liegt jedoch in der Herstellung.
Renewcell gehört zu den ersten Unternehmen, die in einem umweltfreundlichen chemischen Recyclingverfahren aus Altkleidern industriell Neutextilien herstellen. Die Firma will zeigen, dass Kleider-Recycling funktioniert. Mit ihrer patentierten Technologie zerkleinert sie Altkleidung zu Zellstoff, der in Fasern umgewandelt und anschließend zu Garn verarbeitet wird.
„Bekleidung aus recyceltem Material ist an sich nicht neu“, so Harald Cavalli-Björkman, Chief Marketing Officer bei Renewcell. „Es gibt schon jede Menge Textilien, die mit Polyester aus recycelten Flaschen hergestellt werden. Aber beim Recycling von Textilien zu Textilien sind wir Vorreiter. Aus alten Teilen produzieren wir neue Produkte gleicher Qualität.“
Wiederverwenden statt wegwerfen
Im Juni unterzeichnete die Europäische Investitionsbank mit Renewcell einen Finanzierungsvertrag über 311 Millionen schwedische Kronen oder rund 30 Millionen Euro. Mit dem Kredit, der durch eine Garantie der Europäischen Kommission besichert ist, will das Unternehmen die erste kommerzielle Textilrecycling-Großanlage bauen. Das neue Werk im schwedischen Sundsvall kann pro Jahr 60 000 Tonnen Zellstoff produzieren.
Renewcell hat mit namhaften Modeunternehmen bereits Tausende Kleidungsstücke aus recycelten Textilien auf den Markt gebracht.
„Die Teile waren sofort ausverkauft. Schließlich sehen sie wie normale Kleidung aus und fühlen sich auch so an“, freut sich Kaldéus. „Unsere Artikel sind schön, haben einen vernünftigen Preis und machen es leicht, sich für ein Kreislaufprodukt zu entscheiden.“
Das von Renewcell entwickelte Recycling-Verfahren kommt auch dem Klima und der Umwelt zugute. Genau wie andere Stoffhersteller produziert das Unternehmen Textilfasern aus Zellulose. Doch die stammt nicht aus Holz, sondern aus Textilabfällen. So müssen weniger Bäume gefällt werden, Lebensräume bleiben erhalten, und die biologische Vielfalt wird geschützt.
„Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Baustein des europäischen Grünen Deals“, erklärt Branchenspezialist Darragh Mac Neill von der Europäischen Investitionsbank. „Vor allem Textilabfälle sind zunehmend ein Problem. Über die Hälfte aller Alttextilien in Europa landen auf Mülldeponien oder in Verbrennungsanlagen. Nur ein Prozent wird recycelt. Mit wertvollen natürlichen Ressourcen müssen wir unbedingt anders umgehen.“
Außerdem wird bei der Herstellung von Naturtextilien wie Leinen und Baumwolle enorm viel Wasser verbraucht.
„Die Weltbevölkerung wächst, und alle brauchen etwas zum Anziehen“, sagt Céline Rottier von der Europäischen Investitionsbank, die an der Kreditvergabe an Renewcell beteiligt war. „Aber die Modeindustrie muss nachhaltiger und zukunftsfähiger werden. Wiederverwenden und recyceln – nur damit schaffen wir eine Produktion im Kreislauf.“
Sprung nach vorn durch Covid-19
Die Coronakrise könnte diesen Übergang beschleunigen.
Lockdowns und andere Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben die Lieferketten in der Modebranche empfindlich gestört und dem Online-Vertrieb weiteren Auftrieb gegeben. Gleichzeitig wird den Kundinnen und Kunden immer stärker bewusst, wie sich ihre Kaufentscheidungen auf die Umwelt auswirken. Deshalb erwarten sie nun von den Unternehmen höhere ethische und ökologische Standards. Die Krise hat viele Modemarken hervorgebracht, die verstärkt auf Nachhaltigkeit achten.
Auch Innovationen beschleunigen diesen Trend. „Und da kommen wir ins Spiel“, so Elsa Lopez Formoso, ebenfalls Kreditreferentin bei der Europäischen Investitionsbank. „Wir überbrücken bei Innovationen das ‚Tal des Todes‘.“
Mit dem „Tal des Todes“ bezeichnen aufstrebende Unternehmen die schwierige Phase zwischen Forschung und Entwicklung und der erfolgreichen Umsetzung einer Innovation. In den frühen Phasen der Produktentwicklung erhalten sie oft Zuschüsse und verschiedene kleinere Finanzierungen. Kommt dann jedoch der Zeitpunkt, in die Großproduktion zu gehen, bekommen sie von privaten Investoren meist keine großen Beträge, weil diese das Risiko einer neuen Technologie fürchten.
„Aber die Beteiligung und das Gütesiegel der Europäischen Investitionsbank geben privaten Investoren das nötige Vertrauen, um Kreislaufpioniere bei ihrem nächsten Schritt zu unterstützen“, erklärt Cavalli-Björkman von Renewcell. „So nehmen wir bei der Reise in eine nachhaltige Zukunft alle mit.“