Dämme können schlecht für Flüsse sein. Preisgekrönte Projekte zeigen, wie sich Europas fragmentierte Flüsse erholen, wenn Barrieren beseitigt werden. Davon profitieren Ökosysteme und Wirtschaft

Von Catherine McSweeney

Der Natur am Fluss Cabrillas in der spanischen Provinz Guadalajara ging es nicht gut. Zwei große, jeweils drei Meter hohe und längst veraltete Wehre unterbrachen seinen natürlichen Lauf, wodurch sein Fischbestand zurückging.

Aber ein Projekt schuf Abhilfe: Durch den Wehrrückbau wurde der Cabrillas wieder mit dem Fluss Tajo verbunden, sodass die Fische auf dem 50 Kilometer langen, frei fließenden Abschnitt nun wieder ihren natürlichen Wanderrouten folgen.

Allerdings war das Ganze nicht einfach. Aktivisten mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, weil die Kommune den Rückbau zunächst ablehnte. In Spanien hat sich der Fluss durchgesetzt und auch europaweit zeichnet sich ein Trend zur Beseitigung von Barrieren und zur Flussrenaturierung ab.

Es ist wichtig, dass wir die besten Rückbauprojekte auszeichnen, damit mehr Kommunen diesen entscheidenden Schritt zu mehr Artenvielfalt gehen. Das Projekt zur Beseitigung der Wehre am Cabrillas erhielt im Mai 2023 auf der internationalen Konferenz „Dam Removal Europe“ in Manchester den Dam Removal Europe Award 2022. Die Europäische Investitionsbank prämierte das beste Projekt mit einem Preisgeld von 10 000 Euro, das die Preisträger in künftige Dammrückbau-Projekte reinvestieren müssen. Die Bank der EU sponserte den Preis das zweite Jahr in Folge.

Damit Flüsse frei fließen können

In Europa gibt es nur noch wenige frei fließende Flüsse und mehr als eine Million Barrieren. Dam Removal Europe zählt im Schnitt fast ein Hindernis pro Flusskilometer. Die Gruppe von sieben Organisationen (WWFThe Rivers TrustThe Nature ConservancyThe European Rivers NetworkRewilding EuropeWetlands International Europe und The World Fish Migration Foundation) will Flüsse und Bäche in Europa wieder frei fließen lassen.

Dam Removal Europe engagiert sich für die Beseitigung von Barrieren, damit Fische wandern können und sich Wasserqualität und Artenvielfalt verbessern. Durch die Renaturierung fungieren Flüsse wieder als natürlicher Puffer. Das führt zu weniger Überschwemmungen, stärkt die Klimaresilienz und schafft neue Naherholungsmöglichkeiten.

Dämme und andere Bauwerke zum Aufstauen von Flüssen (also zum Anheben des Wasserspiegels über den natürlichen Pegel) sind Teil unseres industriellen Erbes. Sie dienten wichtigen Zwecken wie der Wasserspeicherung, Wasserversorgung, Bewässerung, Energieerzeugung, Navigation, Flussregulierung und dem Hochwasserschutz. Einige Flussbarrieren erfüllen noch immer einen Zweck und müssen instand gehalten werden. Sehr viele sind jedoch veraltet.

Warum Barrieren schlecht für die Artenvielfalt sind

Wenn Flüsse nicht frei fließen können, treten eine Reihe von Problemen auf. Einzelne oder mehrere Hindernisse entlang eines Flusslaufs behindern den Transport von Sedimenten. Die Sedimente stauen sich flussaufwärts, wodurch es flussabwärts an Sand und Kies mangelt. Sie halten organisches Material und Nährstoffe zurück, was Algenblüten und eine Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge hat. Zudem verändern sie die Geschwindigkeit und das Volumen des Wasserflusses. Dadurch steigt das Hochwasserrisiko bei Starkregen.

Die Auswirkungen großer Staudämme lassen sich am einfachsten erkennen. Aber auch kleinere Bauwerke wie Wehre, Schleusen, Durchlässe, Furten und Rampen verändern die Wasserläufe. Und davon gibt es weit mehr.

Die EU-Biodiversitätsstrategie will bis 2030 überflüssige Barrieren auf 25 000 Flusskilometern beseitigen, damit Flüsse wieder frei fließen können. Auch dank Dam Removal Europe wurden im Jahr 2022 ca. 325 Staudämme und andere Barrieren rückgebaut, 36 Prozent mehr als 2021.



Nominierungen für den 2023 Dam Removal Europe Award

Erster Platz: Rückbau der Wehre Molino Bajo und Molino de Cabrillas, Spanien

  • Das Projekt hat gezeigt, dass sorgfältige Planung und Zusammenarbeit mit den Behörden und der Bevölkerung vor Ort zum Erfolg führen. Informationen, Dialog und Partizipation sind entscheidend.
  • Die Renaturierung des Flusses wird dokumentiert, um die Wiederherstellung seiner Artenvielfalt zu verfolgen.

Rückbau des Snake-Lane-Wehrs, Fluss Ecclesbourne, Derbyshire, Vereinigtes Königreich

  • Durch die Beseitigung eines großen Betonwehrs wurden 28 Kilometer des Flusses für die Fischwanderung freigegeben
  • Wenig später wurde flussaufwärts ein Atlantischer Lachs entdeckt, der kurz zuvor gelaicht hatte
  • Durch eine spezielle Schneidetechnik, die Vibrationen und Schäden minimierte, konnte der Flussbereich offen bleiben, sodass Einheimische das Projekt aus der Nähe beobachten und sich über Dämme und Fischpassagen austauschen konnten
  • Der Erfolg des Projekts resultierte daraus, dass die örtliche Bevölkerung (670 Schulkinder und Gemeindegruppen) schon lange vor Beginn der Arbeiten einbezogen wurde. Die Ziele – allem voran der Schutz des Lebenszyklus des Lachses – wurden erläutert und einheimische Kenntnisse und Erfahrungen genutzt

Renaturierung des Flusses Salantas, Litauen

  • Rückbau eines 94 Meter breiten und 4 Meter hohen Staudamms, um 67 Flusskilometer für die Fischwanderung in einem Naturschutzgebiet zu öffnen
  • Das Projekt wirkte sich äußerst positiv auf die Artenvielfalt aus. Flüsse erholen sich schnell, wenn die in ihnen lebenden Arten ohne Barrieren gedeihen können
>@Dam Removal Europe
© Dam Removal Europe

Der Fluss Salantas vor dem Dammrückbau

>@Dam Removal Europe
© Dam Removal Europe

Der Fluss Salantas nach dem Dammrückbau

Rückbau des Ackers-Wehrs, Fluss Cole, Vereinigtes Königreich 

  •  Beseitigung eines 2,4 Meter hohen Wehrs, das 500 Kubikmeter Schlamm aufgestaut hatte, der mit Schwermetallen, Erdöl und anderen Schadstoffen kontaminiert war
    • Fische können nun wandern und Sedimente werden abtransportiert
    • Die Wasserqualität verbessert sich, und es entstehen neue Lebensräume
  • Durch Green Engineering wird das Flussufer stabilisiert und mit natürlichen Gräsern bepflanzt
  •  Ökologischer Fußabdruck und Projektkosten wurden möglichst klein gehalten

Rückbau des Bowston-Wehrs, Fluss Kent, Cumbria, Vereinigtes Königreich

  • Das Bowston-Wehr wurde 1874 für die Papierindustrie gebaut
  • Dies war der erste Wehrrückbau an dem Fluss, der Lebensräume für gefährdete Arten bietet und deshalb unter besonderem Schutz steht
  • Der Dialog mit der ortsansässigen Bevölkerung war wichtig und umfasste nicht-technische Erklärungen zum Hochwasserschutz, Frage-und-Antwort-Dokumente, öffentliche Treffen, Visualisierungen dessen, was zu erwarten ist, und regelmäßige Updates während der Planung und des Rückbaus

Veraltete Flussbarrieren müssen weg

Laut Europäischer Umweltagentur ist die Fragmentierung von Flüssen eine der Hauptursachen für den 80-prozentigen Rückgang der Süßwasser-Artenvielfalt und den Verlust von 55 Prozent der überwachten wandernden Fischpopulationen in Europa. Da nur ein Drittel der europäischen Flüsse einen „guten ökologischen Zustand“ aufweisen, sind sie wahrscheinlich stärker verändert als alle anderen Flusssysteme der Welt.

Die Europäische Kommission schätzt, dass mindestens 150 000 Barrieren in europäischen Flüssen veraltet sind und daher ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen. Der Rückbau von Flussbarrieren wird zunehmend als tragfähige, erschwingliche und wünschenswerte Option angesehen, die zu den Zielen der EU-Wasserrahmenrichtlinie beiträgt. Letztere will die Wasserverschmutzung reduzieren und sicherstellen, dass genügend Wasser für Tier und Mensch vorhanden ist.

Frei fließende Flüsse fördern die regionale Wirtschaft durch:

  • Wiederherstellung einer hochwertigen Landschaft
  • Schaffung von Naherholungsmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten wie Angeln und Ökotourismus
  • Stärkung der lokalen Beschäftigung
  • Stärkere Verbundenheit mit der Region
>@Dam Removal Europe
© Dam Removal Europe

Snake-Wehr, Vereinigtes Königreich, nach dem Dammrückbau

Erfolgreiche Dammrückbau-Projekte im Rampenlicht

Viele Projekte zur Beseitigung von Flussbarrieren sind auf lokaler Ebene entwickelte Bottom-up-Initiativen. Dam Removal Europe will lokale Projekte mit Know-how unterstützen und Fachleute miteinander vernetzen.

Die Europäische Investitionsbank unterstützt die Ziele von Dam Removal Europe und sponsert den Dam Removal Europe Award. Damit werden erfolgreiche lokale Projekte zur Beseitigung veralteter Flussbarrieren ausgezeichnet und ähnliche Initiativen in ganz Europa gefördert.

Für den diesjährigen Award gingen 17 Rückbauprojekte aus 7 Ländern ein: 2 aus Spanien, 1 aus Deutschland, 1 aus Litauen, 6 aus Frankreich, 5 aus dem Vereinigten Königreich, 1 aus Finnland und 1 aus Luxemburg. Dank dieser Initiativen wurden insgesamt 600 Flusskilometer wieder verbunden.

Das Siegerprojekt wurde über eine öffentliche Abstimmung ermittelt, an der fast 4 000 Personen teilnahmen.