Corona könnte die Digitalisierung kleiner Unternehmen massiv beeinflussen. Beschleunigt das Virus den Umstieg? Wir haben unseren Experten gefragt.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Was das Coronavirus für die Digitalisierung bedeutet, erklärt uns Aris Pofantis, Lead Engineer in der Abteilung Digitalisierung und kleine Unternehmen bei der Europäischen Investitionsbank, der Bank der EU.


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Wie wirkt sich die Coronakrise auf das Digitalisierungstempo kleiner Unternehmen aus? Ändert sich jetzt alles?

Die Digitalisierung zieht sich durch sämtliche Branchen und Bereiche. Sie ist einfach überall. Der digitale Wandel hat in den letzten Jahren in unterschiedlichem Ausmaß jeden Winkel erreicht. Die Coronakrise wird daran nichts ändern, könnte aber zwei Konsequenzen haben. Zum einen in klassischeren Bereichen, wo viele noch Vorbehalte gegenüber digitalen Lösungen oder Teleanwendungen haben. Hier wird die Krise sozusagen rasche Überzeugungsarbeit leisten. Zum anderen hemmt sie aber wahrscheinlich auch Investitionen, die für die Entwicklung digitaler Lösungen und den digitalen Wandel dringend notwendig sind.

Kleine Unternehmen werden oft als Rückgrat der europäischen Wirtschaft bezeichnet. Sie machen fast 99 Prozent aller Unternehmen in der EU aus. Ihre Kundschaft kommt meistens ganz traditionell durch die Ladentür. Werden sie jetzt im Zuge der Krise digital?

Das kommt zunächst darauf an, welche Dienstleistungen sie anbieten. Manche müssen nun einmal physisch erbracht werden, erfordern also den direkten Kontakt. Bei anderen ist diese Nähe nicht erforderlich, dann geht es auch digital. Während der Krise werden digitale Kanäle wahrscheinlich weitaus mehr genutzt, und die Kundinnen und Kunden lassen sich bereitwilliger darauf ein. Damit ist sozusagen schon der Grundstein für die Digitalisierung nach der Krise gelegt. Dinge, die sich jetzt bewähren, werden bestimmt beibehalten. Was nur aus der Not geboren wurde, gerät vielleicht eher wieder in Vergessenheit.

Sie glauben also, dass manche kleine Unternehmen durch die Krise digital werden? Wenigstens die, die können?

Ja, das ist nun eine gute Gelegenheit. Viele fragen sich gerade: Was können wir anders machen als bisher? Können wir unser Produkt auf einem Weg anbieten, an den wir bisher noch nicht gedacht haben? Man muss überlegen: Was haben wir schon, was fehlt noch?

Ein großer Teil der Digitalisierung findet hinter den Kulissen statt: Wir digitalisieren die Bestände oder vernetzen sie mit der Lieferkette und automatisieren alles ein bisschen mehr. Auf diesen Bereich wird die Krise eher keinen Veränderungsdruck ausüben. Dafür umso mehr auf die kundenseitigen Interaktionen. Wenn sich hier Chancen auftun, müssen die Unternehmen sie ergreifen. Sonst ändert sich nicht wirklich etwas.

Ohne äußeren Anlass machen manche Menschen aber lieber weiter wie bisher. Da kann die Krise ein guter Impuls sein – denn wenn man gezwungen ist, neue Wege zu beschreiten, ist man hinterher eher bereit, sie weiterzugehen.

Für die einen ist also die Krise der Veränderungsmotor, für andere ist es die notwendige Effizienzsteigerung. Letzteres ist für mich bei der Digitalisierung der springende Punkt – Dinge effizienter zu machen und nicht einfach nur anders.

Können wir das vielleicht auch als Chance betrachten?

Tatsächlich bringt die Krise auch Chancen hervor. Ob sie Bestand haben, hängt davon ab, wie gut und effizient die neuen Wege waren: ob sie nur eine Notlösung waren oder eine sinnvolle Maßnahme. Das wird sich erst noch zeigen.

Aber wie schon gesagt, der Grundstein wäre gelegt. Immer mehr neue Lösungen werden sich durchsetzen. Vielleicht geraten manche nach der Krise wieder in Vergessenheit, weil die Menschen erstmal wieder ihre alten Gewohnheiten aufnehmen wollen. Aber langfristig werden sie sich durchsetzen, weil die Menschen nun mit ihnen vertraut sind.

Ändern die Kundinnen und Kunden ihre Gewohnheiten? Nutzen sie in Zukunft mehr digitale Dienste?

Digitale Dienste werden momentan vielleicht fünf- bis zehnmal mehr genutzt. Auf diesem Niveau werden wir wohl nicht bleiben. Aber die Menschen haben zumindest schon einmal erfahren, was alles möglich ist; also werden die Angebote auch stärker als früher akzeptiert. Sie wissen jetzt, wie bequem die „Click & Collect“-Dienste sind. Davon profitieren beide Seiten – die Verbraucher können Stoßzeiten vermeiden, die Läden ihre Arbeit effizienter einteilen.

Kleine Unternehmen wird die Krise schwer beuteln, soviel steht jetzt schon fest. Wie kann die EIB helfen?

Kleine Unternehmen leiden ebenso wie die großen. Unseren Bestandskunden könnten wir zum Beispiel längere Durchführungsfristen für Digitalisierungsprojekte anbieten. Oder wir finanzieren statt 50 Prozent einen höheren Anteil der Projektkosten (vielleicht 75 Prozent), damit die Projekte auch tatsächlich durchgeführt werden. Besonders bei KMU können wir den Betriebskapitalbedarf vorübergehend decken oder unsere Darlehen mit anderen Instrumenten kombinieren, vor allem mit staatlichen oder EU-Zuschüssen.

Wir könnten auch öffentliche Investitionen in die Digitalisierung fördern, weil das wiederum kleinere Akteure animiert, ebenfalls zu investieren. Wenn wir beispielsweise kommunale und staatliche Investitionen in den digitalen Wandel fördern, gibt es für kleine und große Akteure mehr zu tun.

Die EIB wird nicht untätig sein. Die besten Lösungen werden gerade noch lebhaft diskutiert, aber schauen wir einmal zurück auf die letzte Krise. Zwar war die Ausgangslage eine andere, aber wir waren zur Stelle, als man uns rief. Plötzlich hatten wir es mit Unternehmen zu tun, die uns vorher nicht als erste Anlaufstelle gesehen hätten. Wir sprangen ein, wo andere Banken nicht helfen konnten, und so entstanden enge Beziehungen. Jetzt ist es ähnlich. Kleine und mittlere Unternehmen haben zurzeit wohl höchste Priorität. Deswegen sollten wir uns auf sie konzentrieren. Dabei dürfen wir aber nicht unsere bestehenden und regelmäßigen Kunden vergessen. Was wir mit ihnen aufgebaut haben, setzen wir nicht aufs Spiel.

Wie können die Menschen kleine Unternehmen in ihrer Umgebung unterstützen?

Wenn kleinere Unternehmen dem Lieferriesen Amazon weichen müssten, wäre das ein Jammer. Wir müssen sie so gut es geht unterstützen. Aber wie soll das im Lockdown gehen, wenn man nirgendwo hin kann? Oder noch schlimmer, wenn die Läden gleich ganz geschlossen sind? Ja, das ist im Moment ein Problem, aber ausschlaggebender ist, wie bereitwillig wir lokalen Geschäftsleuten und Dienstleistern in krisenfreien Zeiten die Treue halten. Wenn wir die Sache einmal aus diesem Blickwinkel betrachten, denken wir hoffentlich auch nach der Krise weiter an sie.

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