Die wichtigste Zutat für leistungsfähige Energiespeicher waren bislang karbonisierte Kokosnussschalen. Einem Unternehmen im eisigen Estland ist es jetzt gelungen, Ultrakondensatoren ohne tropische Früchte herzustellen.
„Das Problem bei Kokosnussschalen ist, dass Größe und Verteilung der Poren stark schwanken“, erklärt Taavi Madiberk, CEO von Skeleton Technologies. Die Qualität der Schalen als Hauptschwierigkeit des Tallinner Unternehmens verwundert auf den ersten Blick. Ein Außenstehender würde eher vermuten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Kokosnüssen in Estland könnte kritisch sein. Das eigentlich Erstaunliche ist jedoch, dass ausgerechnet ein Unternehmen aus dem hohen Norden das Kokosnussproblem löst.
Die Suche nach einer Alternative zur Kokosnuss birgt – angesichts der Größe des Marktes für Ultrakondensatoren – ein immenses Potenzial. Ultrakondensatoren werden zur Energiespeicherung eingesetzt, und Schätzungen zufolge dürfte das Marktvolumen bis 2024 auf sechs Milliarden Euro steigen. Bislang basierten Hochleistungskondensatoren weitgehend auf Aktivkohle, die aus karbonisierten Kokosnussschalen produziert wird. Bis Skeleton Technologies eine anorganische – und wesentlich effizientere – Alternative entwickelte. Vergangene Woche erhielt das Unternehmen für die Fortführung seiner FuE in diesem Bereich ein Darlehen der Europäischen Investitionsbank über 15 Millionen Euro, das durch die EU-Haushaltsgarantie im Rahmen des Investitionsplans für Europa besichert ist.
Doch was spricht eigentlich gegen die Nutzung der Kokosnussschalen, die in der Kokosnussindustrie als Abfallprodukt anfallen?
Wenn die durch die Karbonisierung von Kokosnüssen entstehende Kohle dünn auf eine Folie aufgetragen und elektrisch geladenen Ionen ausgesetzt wird, kann sie die Ionen in ihren Poren speichern. Je höher die Porendichte und je idealer die Porengröße, umso mehr Energie speichert diese Kohle je Gramm. Das Problem: Je nach Wetter und Erntezeitpunkt variiert die Porenverteilung der karbonisierten Kokosnüsse. „Die Größe und Dichte von Kokosnussporen lässt sich nicht wirklich steuern“, unterstreicht Madiberk.
„Ultrakondensatoren sind das Skelett der Energiesysteme“
Skeleton Technologies verfügt über eine proprietäre Technologie, um Kohle aus anorganischen Karbiden zu erzeugen. Damit ist es möglich, die Poreneigenschaften zu beeinflussen. Das Ergebnis: ein nanoporöser Kohlenstoff mit der Dicke nur eines Atoms, einer Oberfläche von knapp 2 000 m²/g und einer einheitlichen, mit den Ionen übereinstimmenden Karbonporengröße. Skeleton beschichtet Aluminiumfolie mit dem Kohlenstoff, wickelt sie auf oder stapelt sie zu Kondensatorzellen. So entstehen Ultrakondensatoren mit der vierfachen Leistungsdichte im Vergleich zu den Produkten von Konkurrenten, die auf Kokosnuss setzen. Der Name „Skeleton“ ist übrigens darauf zurückzuführen, dass der Werkstoff des Unternehmens unter dem Mikroskop an ein menschliches Skelett erinnert, so Madiberk. „Und außerdem sind Ultrakondensatoren das Rückgrat, das Skelett der Energiesysteme.“
Ultrakondensatoren versus Batterien
Ultrakondensator und Batterie – wo liegt der Unterschied?
„Stellen Sie sich eine Flasche mit einem Ausgießer und ein kleines Glas vor“, beginnt Madiberk. Ich bin gedanklich noch in den Tropen und denke an Piña Colada. Er meint es jedoch nur im übertragenen Sinne ... „Die Batterie verhält sich zum Ultrakondensator so wie eine Flasche mit Ausgießer zu einem kleinen Glas“, erklärte er. „Es dauert lange, bis die Flasche geleert oder aufgefüllt ist, während sich das Glas im Handumdrehen leeren und füllen lässt. Andererseits passt in die Flasche mehr hinein.“
Ein Ultrakondensator hat eine geringere Speicherkapazität als eine Batterie, aber er kann die Energie blitzschnell entladen und laden (in 2-3 Sekunden). Für viele Anwendungen ist dies entscheidend. Fahrzeugmotoren benötigen beim Beschleunigen beispielsweise innerhalb kürzester Zeit sehr viel Energie, während beim Bremsen reichlich Energie entsteht, die in einem Ultrakondensator gespeichert werden könnte. Oder Containerkräne in Häfen: Beim Anheben der Container wird sehr viel Energie gebraucht, während beim Senken der Last Energie produziert wird. Dies gilt für eine ganze Reihe von Maschinen, die Bewegungsenergie erzeugen, Bagger zum Beispiel.
„Batterien entladen Energie durch chemische Reaktionen – Ultrakondensatoren speichern Energie statisch in einem elektrischen Feld. Durch die chemischen Prozesse entsteht ein größerer Innenwiderstand. Dieser drosselt die Energieübertragung und sorgt für eine allmähliche Abnutzung der Batterie. Deshalb können Batterien nicht so viele Lade- und Entladezyklen verkraften wie Ultrakondensatoren“, führt Madiberk aus. Während Batterien nach einigen Tausend Lade- und Entladezyklen ersetzt werden müssen, können Ultrakondensatoren eine Million wegstecken. Genau aus diesem Grund sind Ultrakondensatoren beispielsweise für Anwendungen in der Raumfahrt interessant. Die Europäische Weltraumagentur setzt Skeletons Ultrakondensatoren ein, um Sonnenenergie einzufangen oder um Geräte zur Positionierung von Solarkollektoren und von Antennen auf Satelliten mit Strom zu versorgen. Wer möchte schon extra für einen Batteriewechsel in den Weltraum fliegen?
„Mit der Finanzierung der EIB erhält das Unternehmen einen großen Betrag, den es für weitere FuE-Investitionen, zur Ausweitung der Produktion und für die Markteinführung nutzen kann“
Doch es gibt noch mehr Einsatzgebiete für Ultrakondensatoren. Zum Beispiel die Stabilisierung der Energie, die Solarkraftwerke ins Netz einspeisen. „Die Leistung von Solarkraftwerken schwankt stark, sodass Spannung und Frequenz im Netz variieren. Die Stromübertragung muss jedoch gleichmäßig erfolgen. Selbst kleine Schwankungen in der Qualität des Stroms können erheblichen Schaden anrichten, vor allem im produzierenden Gewerbe“, betont Madiberk.
Ein europäischer Akteur in einem wachsenden Markt
Angesichts dieser vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten dürfte die Marktnachfrage nach Ultrakondensatoren steigen, so die Einschätzung der EIB. Hinzu kommt, dass Skeleton Technologies eine überlegene Technologie entwickelt hat und Europas einziger großer Akteur am Markt ist.
Wegen des besonderen Charakters des Unternehmens hat die EIB eine Quasi-Eigenkapitalfinanzierung bereitgestellt, ein am Markt einzigartiges Produkt. Die gleichmäßige Tilgung eines klassischen Darlehens würde die Firmenkasse nämlich genau in dem Moment belasten, in dem Investitionen in Forschung und Entwicklung oberste Priorität haben. Eine Eigenkapitalbeteiligung würde hingegen die Anteile der Gründer und anderer Schlüsselpersonen, die die Risiken der Frühphasenfinanzierung übernommen haben, verwässern. Mit dem Quasi-Eigenkapital der EIB erhält das Unternehmen einen großen Betrag, den es für FuE-Investitionen, zur Ausweitung der Produktion und für die weitere Vermarktung der Erfindung nutzen kann. Die Vergütung des Investors hängt jedoch vom Unternehmenserfolg ab – wie bei Eigenkapital.
Im März dürfte die Fertigung im neuen Skeleton-Werk in Deutschland starten. Die künftige FuE soll den Übergang von der Produktion von Energiespeicherkomponenten hin zu Komplettlösungen vorantreiben – beispielsweise die Nachrüstung kompletter LKW-Flotten mit Ultrakondensatormodulen zusammen mit Wechselrichtern und der entsprechenden Software, um einen sparsameren und folglich auch umweltfreundlicheren Betrieb zu ermöglichen, so Madiberk. „Wir werden das Darlehen nutzen, um in der Wertschöpfungskette aufzusteigen.“
Während die Hersteller von Batterien weiter an einer schnelleren Auf- und Entladung arbeiten, wird im Bereich der Superkondensatoren an einer höheren Speicherkapazität geforscht. Aus Sicht von Madiberk dürften beide Produkte jedoch komplementär bleiben. „Es wird bei der Energiespeicherung nie so weit kommen, dass ein Universalprodukt alle Anwendungsanforderungen erfüllen kann“, so seine Überzeugung. Als Beispiel führt er Hybridbusse an. Hier werden Kondensatoren für die Spitzenlastversorgung und für die Rückgewinnung der Bremsenergie genutzt, während die Hersteller auf Batterien setzen, um die Geschwindigkeit in den Zwischenphasen stabil zu halten. „Wir stehen nicht in Konkurrenz“, fügt er hinzu.
Genau wie Kokosnüsse und Limetten.